Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch den Pflichtverteidiger: Vorliegen eines "offenkundigen Mangels" der Verteidigung und Erforderlichkeit der Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers mit anschließender Entscheidung über eine Wiedereinsetzung
Gesetze: Art 6 Abs 3 Buchst c MRK, § 44 StPO, § 45 StPO, § 140 StPO, §§ 140ff StPO, § 300 StPO, § 346 Abs 2 StPO
Instanzenzug: Az: 31 KLs 70/16
Gründe
1Der Senat stellt die Entscheidung über das fristgerecht eingegangene, gemäß § 300 StPO analog als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das auszulegende Gesuch des Angeklagten vom sowie gegebenenfalls über den form- und fristgerecht angebrachten Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO zurück.
2Die Sache ist zur Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers an das Landgericht zurückzugeben. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom – Az.: 38830/97 – liegt hier ein „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung vor. Der am in laufender Revisionsbegründungsfrist neu beigeordnete Verteidiger hat nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre (vgl. BVerfG, NJW 1983, 2762, 2765), die Revision des Angeklagten form- und fristgerecht begründet und auch auf spätere Anschreiben des Vorsitzenden der Jugendkammer sowie des Generalbundesanwalts nicht reagiert. In dieser Situation verlangt Art. 6 Abs. 3c MRK nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (aaO) „positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden“, um diesem Zustand abzuhelfen (vgl. auch , StraFo 2016, 382). Dies wird das Landgericht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 141 Rn. 6, 6a mwN) mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung durch Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers zu veranlassen haben.
3Der Senat weist darauf hin, dass der neu beizuordnende Pflichtverteidiger ab seiner Bestellung form- und fristgerecht die Revision zu begründen haben wird. Das wird den Senat in die Lage versetzen, über das anhängige Wiedereinsetzungsgesuch und gegebenenfalls auch über den Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO zu befinden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:180118B4STR610.17.0
Fundstelle(n):
QAAAG-78271