BGH Beschluss v. - V ZB 167/16

Rücküberstellungshaftsache: Anordnung der Haftfortdauer bei Nichtteilnahme des Bevollmächtigten an der persönlichen Anhörung des Betroffenen

Gesetze: § 425 Abs 3 FamFG

Instanzenzug: Az: 329 T 25/16vorgehend Az: 219e XIV 71/16

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, der sich zuvor in Norwegen aufgehalten hatte, reiste am in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den von ihm gestellten Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Norwegen an. Der hiergegen erstrebte verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz blieb ohne Erfolg.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen bis zum an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück.

3Nachdem die geplante Rücküberstellung des Betroffenen am nicht erfolgen konnte, hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom die Haft bis zum verlängert. Die hiergegen seitens des Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Der Senat hat die Vollziehung der Sicherungshaft mit Beschluss vom einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene beantragt nunmehr, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

4Das Beschwerdegericht meint, der Haftverlängerungsantrag sei zulässig. Auch lägen die materiellen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Sicherungshaft vor. Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen sei abzusehen gewesen, weil seit der Anhörung durch das Amtsgericht nur ein geringer Zeitraum vergangen und nicht ersichtlich sei, dass seitdem neue, eine abermalige Anhörung erforderlich machende Umstände eingetreten seien. Ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens, weil der Bevollmächtigte des Betroffenen an dessen Anhörung durch das Amtsgericht nicht habe teilnehmen können, liege nicht vor. Es sei nicht erkennbar, welcher Gesichtspunkt bei Anwesenheit des Bevollmächtigten oder bei vorheriger Zusendung des Haftantrags zusätzlich hätte vorgebracht werden können. Es sei lediglich um die Verlängerung der Haft gegangen; die Tatsachen und Umstände seien aus dem vorherigen Verfahren bekannt gewesen.

III.

5Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet.

61. Die Anordnung der Haftfortdauer durch das Amtsgericht hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil ihm bei dessen Anhörung ein schwerer Verfahrensfehler unterlaufen ist.

7a) Einem Verfahrensbevollmächtigten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Termin zur Anhörung des Betroffenen teilzunehmen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; Beschluss vom - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 und 20 mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft bzw. - soweit es um das Verfahren vor dem Beschwerdegericht geht - zur Rechtswidrigkeit der Aufrechterhaltung der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 7 f.; Beschluss vom - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 13; Beschluss vom - V ZB 89/16, juris Rn. 5). Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (Senat, Beschluss vom - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7).

8b) Das Amtsgericht hat gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. Es hat, nachdem ihm der Haftverlängerungsantrag am um 10.33 Uhr per Fax übermittelt wurde, für den gleichen Tag um 13.30 Uhr einen Anhörungstermin bestimmt. Der Verfahrensbevollmächtigte hat daraufhin noch vor dem Anhörungstermin dessen Verlegung beantragt, wobei er darauf hingewiesen hat, dass ihm weder der Haftverlängerungsantrag übermittelt worden noch ein Erscheinen um 13.30 Uhr möglich sei. Letzteres war im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe und die räumliche Entfernung - der Verfahrensbevollmächtigte hat seinen Sitz in Hannover, während die Anhörung in Hamburg stattfinden sollte - offenkundig. Vor diesem Hintergrund durfte das Amtsgericht den Verlegungsantrag nicht zurückweisen und die Anhörung des Betroffenen ohne dessen Verfahrensbevollmächtigten durchführen.

92. Eine Heilung des Verfahrensfehlers - die mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 25) - ist auch in der Beschwerdeinstanz nicht eingetreten. Sie setzt eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen voraus, die nicht erfolgt ist.

103. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:111017BVZB167.16.0

Fundstelle(n):
ZAAAG-78161