BAG Urteil v. - 5 AZR 853/15

Annahmeverzug - zweistufige Ausschlussfrist - Jugend- und Auszubildendenvertreter

Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 615 S 1 BGB, § 78a Abs 2 S 1 BetrVG, § 78a Abs 4 S 1 Nr 2 BetrVG, § 294 BGB

Instanzenzug: ArbG Chemnitz Az: 5 Ca 3089/13 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 8 Sa 71/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

2Der Kläger, Mitglied der IG Metall, absolvierte bei der Beklagten eine Berufsausbildung zum Kfz-Mechatroniker. Er gehörte der Jugend- und Auszubildendenvertretung an. Am verlangte der Kläger gemäß § 78a Abs. 2 BetrVG seine ausbildungsgerechte Weiterbeschäftigung als Kfz-Mechatroniker. Im August 2012 bestand er die Abschlussprüfung.

3Mit Schreiben vom begehrte der Kläger erneut die Weiterbeschäftigung und bot seine Arbeitskraft an.

4Die Beklagte beantwortete beide Schreiben nicht. Den Betriebsrat unterrichtete sie am schriftlich, es sei beabsichtigt den Kläger nach Ende der Ausbildung am „“ nicht in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen bzw. das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

5Mit einer beim Arbeitsgericht Chemnitz eingereichten, gegen den Kläger gerichteten, am zugestellten Klage vom , beantragte die Beklagte, das nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses am „“ begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen. Eine Beschäftigung des Beklagten (im vorliegenden Verfahren Kläger) sei ihr unzumutbar, weil ein freier Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehe. Es bestehe ein Personalüberhang an Mechanikern. Andere Arbeitsaufgaben, mit denen der Beklagte beschäftigt werden könne, gebe es nicht.

6Das Arbeitsgericht Chemnitz hat - nach Überleitung in ein Beschlussverfahren - den Antrag zurückgewiesen ( - 12 BV 55/12 -). Auf die Beschwerde der Beklagten hat das Sächsische Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis aufgelöst ( - 2 TaBV 11/13 -). Mit Urteil vom (- 5 Ca 262/13 -) hat das Arbeitsgericht Chemnitz die auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom bis zum gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom (- 6 Sa 686/13 -) die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten ist als unzulässig verworfen worden ( -).

7Der zwischen der Beklagten und der IG Metall geschlossene Haustarifvertrag vom (im Folgenden HTV) regelt ua.:

8Nach erfolgloser Geltendmachung hat der Kläger mit der vorliegenden, am eingereichten, der Beklagten am zugestellten Klage Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 1. Juli bis zum verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, ein Angebot der Arbeitsleistung sei, wie nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung, entbehrlich gewesen. Jedenfalls habe sich die Beklagte im Annahmeverzug befunden, weil sie seine Arbeitsleistung trotz Angebots mit Schreiben vom nicht angenommen habe. Als Kfz-Mechatroniker stehe ihm eine tarifliche Monatsvergütung von 2.179,00 Euro brutto zu. Hierauf lasse er sich anderweitigen Verdienst in Höhe von monatlich 732,89 Euro brutto anrechnen.

9Der Kläger hat nach teilweiser Klagerücknahme zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe nach Begründung des Arbeitsverhältnisses seine Arbeitsleistung nicht angeboten. Das noch während des Ausbildungsverhältnisses erklärte Angebot genüge nicht. Zudem hätte der Kläger die Arbeitsleistung vor Ort tatsächlich, so wie geschuldet, anbieten müssen. Den Bestand des Arbeitsverhältnisses habe sie zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt.

11Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

12Die Revision des Klägers ist zum Teil begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts zu Unrecht in vollem Umfang zurückgewiesen. Die Klage ist zum Teil begründet.

13I. Der Kläger hat gemäß § 615 Satz 1, § 611 Abs. 1 iVm. §§ 293 ff. BGB für die Zeit vom 1. bis zum Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe von 698,56 Euro brutto nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe ab .

141. Der Arbeitnehmer kann die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug kommt, weil er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt, § 615 Satz 1, § 293 BGB.

152. Zwischen den Parteien wurde durch das form- und fristgerechte Übernahmeverlangen des Klägers im Anschluss an das beendete Berufsausbildungsverhältnis nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG kraft Gesetzes ein unbefristetes Arbeitsverhältnis im Ausbildungsberuf begründet. Das Arbeitsverhältnis bestand bis zur Rechtskraft des dem Auflösungsantrag der Beklagten stattgebenden Beschlusses des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom (- 2 TaBV 11/13 -) und damit im gesamten Streitzeitraum fort.

163. Die Beklagte ist in Annahmeverzug geraten, indem sie die vom Kläger angebotene Arbeitsleistung ablehnte, §§ 293, 294 ff. BGB.

17a) Ein tatsächliches Angebot iSv. § 294 BGB, wie es im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis regelmäßig erforderlich ist, war entbehrlich.

18aa) Nach § 295 BGB genügt ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen, oder wenn zur Bewirkung der Arbeitsleistung eine Handlung des Arbeitgebers erforderlich ist (§ 295 BGB).

19bb) Die Beklagte hat zwar nicht wörtlich erklärt, sie werde die Arbeitsleistung des Klägers nicht annehmen. Sie hat dies jedoch zum Ausdruck gebracht, als sie - letztlich im Beschwerdeverfahren erfolgreich - ihren Antrag, das Arbeitsverhältnis nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG aufzulösen, darauf stützte, die Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeit unzumutbar. Der Kläger musste dies als Weigerung, ihn zu beschäftigen, verstehen, zumal die Beklagte seine Schreiben vom 12. Juni und unbeantwortet ließ. Die Beklagte kann hiergegen nicht erfolgreich einwenden, ihre Ausführungen hätten sich lediglich auf die fehlende Möglichkeit bezogen, den Kläger auf einem ausbildungsgerechten Dauerarbeitsplatz zu beschäftigen. Sie hat die Möglichkeit einer vorübergehenden ausbildungsgerechten oder anderweitigen Beschäftigung - unbeschadet der Frage, ob der Kläger verpflichtet gewesen wäre, letztere auszuüben - nicht aufgezeigt. Auch hat sie nicht dargelegt, eine ggf. bestehende Bereitschaft zu einer solchen vorübergehenden Beschäftigung gegenüber dem Kläger bekundet zu haben.

20b) Der Kläger hat seine Arbeitsleistung für den Streitzeitraum den Anforderungen des § 295 BGB entsprechend angeboten.

21aa) Das Schreiben des Klägers vom konnte die Beklagte noch nicht in Annahmeverzug setzen. Vor Beendigung des Ausbildungsverhältnisses und gesetzlicher Begründung des Arbeitsverhältnisses nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG bestand keine Obliegenheit der Beklagten, die Arbeitsleistung des Klägers anzunehmen (vgl.  - Rn. 17, 45).

22bb) Dahingestellt bleiben kann, ob der Beklagten das vom Kläger mit Schreiben vom erklärte wörtliche Angebot erst nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses zugegangen ist. Es besteht allerdings Anlass, an der Feststellung des Landesarbeitsgerichts zu zweifeln, der Kläger habe die Abschlussprüfung erst am bestanden. Sie steht nicht nur im Widerspruch zu den Erklärungen der Beklagten in der Unterrichtung des Betriebsrats vom und in der beim Arbeitsgericht Chemnitz eingereichten Klage vom , sondern auch zu den durch Bezugnahme auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Chemnitz vom (- 12 BV 55/12 -) getroffenen Feststellungen des Sächsischen Landesarbeitsgerichts im Beschluss vom (- 2 TaBV 11/13 -). Danach endete das Berufsausbildungsverhältnis schon am . In diesem Fall wäre im Schreiben vom ein im bestehenden Arbeitsverhältnis erklärtes, den Anforderungen des § 295 BGB genügendes Angebot zu sehen.

23cc) Der Kläger hat die Arbeitsleistung jedenfalls durch sein Festhalten am Weiterbeschäftigungsverlangen nach Begründung des Arbeitsverhältnisses konkludent angeboten.

24(1) Sind die Voraussetzungen von § 295 BGB gegeben, muss der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich erklären, er biete die Arbeitsleistung an. Ein Angebot ist, ohne dass hieran hohe Anforderungen zu stellen sind, konkludent möglich ( - Rn. 23, BAGE 126, 316). Es genügt, wenn der Arbeitnehmer gegen die Ablehnung seiner Arbeitsleistung oder das Unterlassen einer erforderlichen Mitwirkungshandlung protestiert und damit seine Leistungsbereitschaft zum Ausdruck bringt (st. Rspr.,  - Rn. 42, BAGE 151, 45; - 5 AZR 491/14 - Rn. 23, BAGE 153, 256; - 5 AZR 814/14 - Rn. 51).

25(2) Indem der Kläger dem Antrag der Beklagten, das Arbeitsverhältnis nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG aufzulösen, entgegengetreten ist, hat er nicht nur sein Weiterbeschäftigungsverlangen fortlaufend aktualisiert. Er hat damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, an der in den Schreiben vom und vom enthaltenen Aufforderung festzuhalten, die Beklagte möge ihn im bestehenden Arbeitsverhältnis tatsächlich beschäftigen.

264. Der Kläger hat die nach § 18 HTV einzuhaltenden tariflichen Ausschlussfristen, die als rechtsvernichtende Einwendungen von Amts wegen zu beachten sind (vgl.  - Rn. 14), hinsichtlich seines für die Zeit vom 1. bis zum bestehenden Anspruchs auf Vergütung wegen Annahmeverzugs gewahrt.

27a) Der betriebliche und der persönliche Geltungsbereich des Haustarifvertrags sind eröffnet. Die Bestimmungen des Tarifvertrags finden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung (§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG). Die Geltung des Tarifvertrags setzt nach § 1 HTV lediglich ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus.

28b) Die streitgegenständlichen Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs werden als solche aus dem Arbeitsverhältnis (vgl.  - Rn. 15, BAGE 150, 88; - 5 AZR 1000/13 - Rn. 21, BAGE 152, 221), die nicht § 18 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 2 HTV unterfallen, von § 18 Abs. 4 HTV erfasst.

29c) Zur Vermeidung ihres Erlöschens musste der Kläger die Ansprüche nach der dort geregelten ersten Stufe der tariflichen Ausschlussfrist innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend machen. Diese Frist hat der Kläger mit seinem schriftlichen Weiterbeschäftigungsverlangen nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG gewahrt.

30aa) Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wann die Beklagte das Weiterbeschäftigungsverlangen erhalten hat. Ein Zugang vor Beendigung des Ausbildungsverhältnisses im August 2012 steht jedoch zwischen den Parteien außer Streit.

31bb) Das Schreiben vom wahrte die erste Stufe der tariflichen Ausschlussfrist, obwohl es den Regelanforderungen zur Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen (hierzu näher  - Rn. 24 mwN, BAGE 144, 210; - 5 AZR 1000/13 - Rn. 24, BAGE 152, 221) nicht genügte.

32(1) Mit dem form- und fristgerechten Weiterbeschäftigungsverlangen nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG wahrt ein Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs, der entsteht, weil der Arbeitgeber die Begründung eines Arbeitsverhältnisses leugnet (vgl.  - Rn. 27, BAGE 152, 221) oder die Beschäftigung unter Berufung auf die in § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG genannten Gründe als unzumutbar ablehnt. Denn das Recht eines Mitglieds der Jugend- und Auszubildendenvertretung, mit dem Verlangen auf Weiterbeschäftigung ein Arbeitsverhältnis zu begründen, soll auch gewährleisten, dass die weitere Amtsausübung auf gesicherter wirtschaftlicher Grundlage erfolgen kann. Das Weiterbeschäftigungsverlangen des Klägers war damit nicht nur auf seine Beschäftigung in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gerichtet, sondern für die Beklagte erkennbar auch auf die Erhaltung der Vergütungsansprüche, die ggf. aus der Ablehnung seiner Weiterbeschäftigung resultieren.

33(2) Der Kläger musste seine Ansprüche weder ausdrücklich bezeichnen noch beziffern. Für den Arbeitgeber ist aufgrund der gesetzlichen Vorgaben in § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ersichtlich, dass das Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung verlangt, sowohl hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses als auch der Vergütung einem Arbeitnehmer, den der Arbeitgeber für eine entsprechende Tätigkeit ausgewählt und eingestellt hat, gleichgestellt zu werden ( - Rn. 28, BAGE 152, 221). Damit ist dem Zweck einer einstufigen tariflichen Ausschlussfristenregelung Genüge getan. Die Vergütungsregelungen des von ihr abgeschlossenen Haustarifvertrags waren der Beklagten bekannt.

34cc) Der Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist steht nicht entgegen, dass die Vergütungsansprüche, als der Kläger nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG seine Weiterbeschäftigung verlangte, weder entstanden noch fällig waren.

35(1) Eine Ausschlussfrist, die die Geltendmachung von „Ansprüchen“ verlangt, setzt voraus, dass die rechtserzeugenden Anspruchsvoraussetzungen bei der Geltendmachung erfüllt sind. Fehlt es daran, liegt regelmäßig kein Anspruch vor, der geltend gemacht werden könnte (vgl.  - zu III 1 a der Gründe; - 10 AZR 863/11 - Rn. 29, BAGE 144, 210). Ausschlussfristen unterliegen jedoch einer einschränkenden Auslegung, wenn der mit der Ausschlussfrist verfolgte Zweck, dem Schuldner zeitnah Gewissheit zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er zu rechnen hat, durch eine Geltendmachung erreicht wird (vgl.  - Rn. 31, aaO). Die einschränkende Auslegung ist insbesondere dann geboten, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage ein Anspruch aus einem ständig gleichen Grundtatbestand entsteht (vgl.  - zu III 1 b der Gründe) und der Wortlaut des Tarifvertrags die Geltendmachung künftiger Ansprüche nicht von vornherein ausschließt (vgl.  - Rn. 31, aaO).

36(2) So verhält es sich hier. Mit dem Weiterbeschäftigungsverlangen nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG war die Beklagte ausreichend vom Ziel des Klägers unterrichtet, sich ggf. aus der unter Berufung auf § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG erfolgten Versagung einer den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Beschäftigung fortlaufend entstehende Vergütungsansprüche zu erhalten. Eine weitere Geltendmachung kann nach dem Sinn und Zweck der tariflichen Ausschlussfristen regelmäßig nicht verlangt werden.

37d) Der Kläger hat die Vergütung für September 2013 rechtzeitig iSv. § 18 Abs. 6 HTV gerichtlich geltend gemacht.

38aa) Er war nicht gehalten, seine Ansprüche nach § 18 Abs. 6 Alt. 2 HTV innerhalb von einem Monat nach der Geltendmachung durch sein Weiterbeschäftigungsverlangen vom und damit vor deren Fälligkeit einzuklagen. Die Frist für die gerichtliche Geltendmachung läuft grundsätzlich nicht vor der Fälligkeit des Anspruchs. Durch die Normierung der Verpflichtung zur gerichtlichen Geltendmachung soll alsbaldige Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs geschaffen werden. Ein Zwang zur Anrufung des Arbeitsgerichts ist allerdings nur sinnvoll, wenn der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auch durchsetzbar ist ( - Rn. 27, BAGE 145, 8).

39bb) Die zweite Stufe der tariflichen Ausschlussfrist wurde nach § 18 Abs. 6 Alt. 1 HTV in Lauf gesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat zwar nicht festgestellt, wann die Beklagte - die den Forderungen des Klägers stets entgegengetreten ist - die Ansprüche erstmals ablehnte. Doch spätestens der mit Schriftsatz vom im Verfahren beim Arbeitsgericht Chemnitz (- 12 BV 55/12 -) gestellte Auflösungsantrag bedeutete eine Ablehnung der Erfüllung der mit dem Weiterbeschäftigungsverlangen geltend gemachten Ansprüche (vgl. zum Klageabweisungsantrag im Kündigungsschutzprozess  - Rn. 18, BAGE 118, 60; bei einer Beschäftigungsklage  - Rn. 29, BAGE 150, 88). Die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung iSv. § 18 Abs. 6 HTV begann dementsprechend nach der am erfolgten Zustellung des Auflösungsantrags an den Kläger für zu diesem Zeitpunkt bereits fällige Ansprüche zu laufen, für die übrigen Ansprüche - so die hier streitgegenständlichen - mit deren Fälligkeit (vgl.  - Rn. 27, BAGE 145, 8; - 5 AZR 121/13 - Rn. 29, aaO).

40cc) Die Fälligkeit der Vergütung wegen Annahmeverzugs bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Vergütung bei tatsächlicher Beschäftigung in den einzelnen Abrechnungsperioden fällig geworden wäre (st. Rspr., vgl.  - Rn. 33, BAGE 149, 169). Nach § 18 Abs. 1 HTV ist die monatliche Vergütung spätestens am 10. Kalendertag des Folgemonats fällig. Die Vergütung für September 2013 war danach am fällig. Der für die gerichtliche Geltendmachung vorgesehene Drei-Monats-Zeitraum endete mit Ablauf des (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB). Diese Frist hat der Kläger eingehalten, indem er die Vergütung für September 2013 im vorliegenden Verfahren mit Klageschrift vom einklagte. Die fristwahrende Wirkung der am an die Beklagte bewirkten Zustellung ist nach § 253 Abs. 1, § 167 ZPO bereits am eingetreten (vgl.  - Rn. 32).

415. Gegen die Höhe der vom Kläger zuletzt eingeklagten Forderung hat die Beklagte in der Revision keine Angriffe mehr erhoben.

426. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Leistung war am zu bewirken. Die Beklagte befand sich ab dem Folgetag im Verzug. Der Kläger kann Zinsen ab Verzugseintritt verlangen. Der weiter gehende Zinsantrag ist unbegründet.

43II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 1. Juli bis . Die vom Kläger erhobenen Ansprüche sind gemäß § 611 iVm. § 615 Satz 1 BGB entstanden, aber verfallen. Der Kläger hat zwar mit seinem Weiterbeschäftigungsverlangen die in § 18 Abs. 4 HTV geregelte erste Stufe der tariflichen Ausschlussfrist gewahrt. Er hat die Ansprüche jedoch, nachdem die Beklagte deren Erfüllung mit dem beim Arbeitsgericht Chemnitz (- 12 BV 55/12 -) gestellten Auflösungsantrag ablehnte, nicht rechtzeitig innerhalb der nach § 18 Abs. 6 Alt. 1 HTV in Lauf gesetzten zweiten Stufe der tariflichen Ausschlussfrist (vgl. Rn. 38) gerichtlich geltend gemacht.

441. Die gerichtliche Geltendmachung im vorangegangenen Klageverfahren (- 5 Ca 262/13 und 6 Sa 686/13 -) beschränkte sich auf den Zeitraum bis .

452. Eine Auslegung von § 18 Abs. 6 HTV, der Kläger habe die streitgegenständlichen Ansprüche gerichtlich geltend gemacht, indem er dem Antrag der Beklagten entgegentrat, das Arbeitsverhältnis nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG aufzulösen, ist weder möglich noch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.

46a) Tarifliche Ausschlussfristen, die in ihrer zweiten Stufe eine „gerichtliche Geltendmachung“ verlangen, sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die vom Erfolg der Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche gerichtlich geltend gemacht sind (st. Rspr., vgl.  - Rn. 28, BAGE 149, 169; - 5 AZR 509/13 - Rn. 28, BAGE 152, 75). Der Wortsinn einer „gerichtlichen Geltendmachung“ verlangt nicht zwingend, dass gerade der Streitgegenstand „Vergütung“ zum Inhalt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gemacht wird ( - Rn. 25; zur Auslegung der zweiten Stufe einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Ausschlussfrist  - Rn. 22, BAGE 126, 198). Es genügt eine prozessuale Auseinandersetzung über den Anspruch ( - Rn. 31).

47b) Es kann dahingestellt bleiben, ob in dem vom Arbeitgeber einzuleitenden Beschlussverfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG eine prozessuale Auseinandersetzung in diesem Sinne zu sehen ist. Hierfür könnte sprechen, dass der betroffene Jugend- und Auszubildendenvertreter, wenn er dem Antrag des Arbeitgebers entgegentritt, sein individual-rechtliches Interesse an der Fortsetzung seiner Tätigkeit bei dem Arbeitgeber aufgrund eines Arbeitsverhältnisses wahrnimmt, das infolge seines schriftlichen Weiterbeschäftigungsverlangens entstanden ist, und er ausschließlich zur Wahrung dieses Interesses am Beschlussverfahren zu beteiligen ist (vgl.  - zu B I 3 c der Gründe).

48c) Die geltend gemachten Ansprüche waren aber nicht vom Ausgang des Beschlussverfahrens abhängig.

49aa) Während im Bestandsschutzverfahren (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollverfahren) bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung ungeklärt ist, ob das Arbeitsverhältnis über den vom Arbeitgeber behaupteten Beendigungstermin hinaus fortbestanden hat und Annahmeverzugsansprüche bestehen, steht im Beschlussverfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung fest. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG zielt nicht auf eine feststellende, sondern eine rechtsgestaltende gerichtliche Entscheidung. Diese entfaltet erst mit ihrer Rechtskraft Wirkungen für die Zukunft. Der Auflösungsbeschluss löst das Arbeitsverhältnis erst mit Rechtskraft auf (vgl.  - zu B II 1 b der Gründe, BAGE 63, 319; - 7 AZR 574/94 - zu II 2 a der Gründe; Fitting 28. Aufl. § 78a Rn. 39 ff.; ErfK/Kania 16. Aufl. § 78a BetrVG Rn. 10). Bis zu diesem Zeitpunkt besteht das Arbeitsverhältnis mit allen sich hieraus ergebenden rechtlichen Folgen. Hat der Arbeitgeber während dieses Zeitraums die angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen, ist er wegen Annahmeverzugs zur Entgeltzahlung verpflichtet (Fitting 28. Aufl. § 78a Rn. 39).

50bb) Die Ansprüche des Klägers für die Zeit vom 1. Juli bis zum sind zwar sukzessive im Verlauf des Auflösungsverfahrens entstanden, waren aber in ihrem Bestand unabhängig vom Ausgang des Verfahrens.

51d) Dem Arbeitnehmer wird mit dieser Auslegung des § 18 Abs. 6 HTV keine im Widerspruch zu Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 GG stehende übersteigerte Obliegenheit auferlegt.

52aa) Bei der Auslegung und Anwendung tariflicher Ausschlussfristen ist das in zivilrechtlichen Streitigkeiten durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz zu beachten. Danach darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dem Arbeitnehmer dürfen keine übersteigerten Obliegenheiten zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche auferlegt werden. Die Beschreitung des Rechtswegs und die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeiten kann vereitelt werden, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht ( - Rn. 21 f.).

53bb) Der Zugang zu den Gerichten wird durch § 18 Abs. 6 HTV nicht unzumutbar erschwert. Der Tarifvertrag verlangt vom Arbeitnehmer nicht, Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs einzuklagen, bevor der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geklärt ist. Auch werden dem Arbeitnehmer mit der Obliegenheit, während des noch laufenden Auflösungsverfahrens nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG entstandene Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs einzuklagen, keine zusätzlichen, vermeidbaren Kostenrisiken auferlegt. Das auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung gerichtete Beschlussverfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG, mit dessen Einleitung der Arbeitgeber den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zur Rechtskraft des Auflösungsbeschlusses nicht in Abrede stellt, bietet keine Grundlage für die Klärung im Verlauf des Verfahrens entstandener Vergütungsansprüche.

543. Der Kläger hat die Ansprüche für die Monate Juli und August 2013 erstmals mit der Klage vom gerichtlich geltend gemacht. Diese Klage wahrte die zweite Stufe der tariflichen Ausschlussfrist nicht. Ausgehend von den Ausführungen in Rn. 36 bis 38 wurde die zweite Stufe der Ausschlussfrist im Zeitpunkt der Fälligkeit der Ansprüche für Juli und August 2013 in Lauf gesetzt (vgl.  - Rn. 27, BAGE 145, 8; - 5 AZR 121/13 - Rn. 29, BAGE 150, 88). Der für die gerichtliche Geltendmachung vorgesehene Zeitraum von drei Monaten nach Fälligkeit war bei Einreichung der Klage am bereits verstrichen. Die Vergütung für den Monat Juli 2013 wurde nach § 18 Abs. 1 HTV iVm. § 193 BGB am Montag, dem , fällig. Die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nach § 18 Abs. 6 HTV lief am Dienstag, dem , ab (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Die Vergütung für August 2013 wurde am Dienstag, dem , fällig. Die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nach § 18 Abs. 6 HTV lief am Dienstag, dem , ab (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Die Ansprüche sind deshalb verfallen (§ 18 Abs. 6 HTV).

55III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:240816.U.5AZR853.15.0

Fundstelle(n):
QAAAG-73002