BFH Urteil v. - VIII R 90/98

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist seit 1995 von ihrem ehemaligen Ehemann, dem Beigeladenen, geschieden. Die gemeinsame Tochter lebt in ihrem Haushalt. Das Kindergeld von 2 400 DM wurde deshalb an die Klägerin ausgezahlt. Der Beigeladene zahlte für das Kind Unterhalt. Die Klägerin erzielte im Streitjahr 1996 einen Bruttoarbeitslohn von ... DM. In ihrer Einkommensteuererklärung für 1996 beantragte sie mit Zustimmung des Beigeladenen die Übertragung des auf diesen entfallenden (halben) Kinderfreibetrages. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte lediglich den auf sie entfallenden (halben) Kinderfreibetrag (3 132 DM). Er wies darauf hin, dass die Übertragung des Kinderfreibetrags mit Zustimmung des betroffenen Elternteils ab dem Veranlagungszeitraum 1996 nicht mehr möglich sei.

Die Klägerin machte mit ihrer Klage geltend, die gesetzliche Regelung sei verfassungswidrig, soweit die Möglichkeit entfallen sei, den Kinderfreibetrag einvernehmlich auf einen Elternteil zu übertragen. Die Gewährung des vollen Kinderfreibetrages werde seit dem Jahr 1996 von der Wohn- und Lebenssituation der Eltern abhängig gemacht. Bei zusammenlebenden Eltern werde der volle Freibetrag berücksichtigt, während getrennt lebenden Eltern dies verwehrt werde. Dies führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Nach der Gesetzesbegründung sei die Möglichkeit der einvernehmlichen Übertragung des Kinderfreibetrages abgeschafft worden, um ein Auseinanderfallen von Kindergeldberechtigung und Anspruch auf Kinderfreibetrag und damit Missbrauchsgestaltungen zu vermeiden (BTDrucks 13/3084, S. 20). Die Abschaffung der bisherigen Wahlmöglichkeit diene der Steuervereinfachung und sei daher nicht willkürlich. Dass der Wegfall der Wahlmöglichkeit nicht zwingend notwendig erscheine oder das Ziel der Steuervereinfachung durch die völlige Beseitigung der Übertragung des Kinderfreibetrags möglicherweise besser hätte verwirklicht werden können (vgl. hierzu Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 32 EStG Anm. 180), führe nicht zur Verfassungswidrigkeit. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 28 veröffentlicht.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Der Zweck des Kinderfreibetrages sei die steuerliche Freistellung des Existenzminimums von Kindern im Falle einer hohen Steuerprogression der Eltern. Durch die seit 1996 gültige Regelung würden Kinder erster und zweiter Klasse geschaffen, weil bei den einen der Kinderfreibetrag voll berücksichtigt werde und bei den anderen nicht. Es liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Eltern vor, die getrennt veranlagt werden müssten, und solchen, die nach § 26 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammen veranlagt werden könnten. Die Möglichkeit der einvernehmlichen Übertragung des Kinderfreibetrages würde nicht zu einer Ungleichbehandlung führen, wenn sichergestellt würde, dass pro Kind nur ein Kinderfreibetrag gewährt werde.

Die Klägerin beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu ändern und hierbei unter Übertragung des halben Kinderfreibetrages des Vaters den vollen Kinderfreibetrag zu berücksichtigen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass Eltern, die nicht zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden (§ 26 Abs. 1, § 26b EStG), im Streitjahr 1996 nicht mehr die Möglichkeit hatten, den (halben) Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 EStG) einvernehmlich auf einen Elternteil zu übertragen.

1. § 32 Abs. 6 Satz 5 2. Halbsatz EStG in der vor dem gültigen Fassung, der einem nicht zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Elternpaar die Möglichkeit eingeräumt hatte, den Kinderfreibetrag einvernehmlich auf nur einen Elternteil zu übertragen, ist durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. d aa des Jahressteuer-Ergänzungsgesetzes 1996 (JStErgG 1996) vom (BGBl I 1995, 1959, BStBl I 1995, 786) gestrichen worden. Diese Streichung ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz 1996 (JStG 1996) vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) das bisherige duale System, nach dem Kindergeld und Kinderfreibetrag kumulativ gewährt wurden, geändert hat.

In dem neu eingefügten § 31 EStG ist geregelt, dass die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch Kindergeld bewirkt wird. Nach § 31 Satz 4 EStG ist bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wird. Das bedeutet, dass der Kinderfreibetrag bei der Veranlagung zur Einkommensteuer nur dann abgezogen wird, wenn der Steuerpflichtige dadurch bessergestellt wird als durch das Kindergeld. Das ist nur bei Steuerpflichtigen der Fall, deren Grenzsteuersatz über 38,31 v.H. liegt (Freibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG von 261 DM x 12 Monate = 3 232 DM; 3 232 DM x 38,31 v.H. = aufgerundet 1 200 DM). Dies gilt unabhängig davon, dass das Kindergeld gemäß § 64 Abs. 1 EStG nur an einen Berechtigten und nicht an beide Eltern anteilig ausgezahlt wird. Denn dem anderen Elternteil steht ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zu (vgl. im Streitjahr § 1615g und ab dem § 1612b des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB—), der kraft ausdrücklicher Anordnung in § 31 Satz 5 EStG im Falle der Inanspruchnahme des Kinderfreibetrags in gleicher Weise wie Kindergeld bei der Veranlagung zur Einkommensteuer verrechnet wird.

2. In der Literatur (Nolde, Finanz-Rundschau —FR— 1995, 845, 849) war die Auffassung vertreten worden, dass die im JStG 1996 noch weiterhin vorgesehene Möglichkeit, den Kinderfreibetrag einvernehmlich zu übertragen, nach der Systemumstellung so zu verstehen sei, dass ein Elternteil den ihm zustehenden Kinderfreibetrag nur dann übertragen könne, wenn er sowohl bei ihm als auch bei dem anderen Elternteil tatsächlich zum Abzug komme - wobei die Übertragung dann aber wenig Sinne ergebe. Andererseits müsse bei dem Elternteil, bei dem dann der volle Kinderfreibetrag zum Abzug komme, auch das volle Kindergeld verrechnet werden, unabhängig davon, wie viel er tatsächlich erhalten habe. Um ”Missbrauchsversuche und Streit” zu vermeiden, und im Hinblick darauf, dass die Übertragung ihre Bedeutung verloren habe, wurde die Streichung der Vorschrift vorgeschlagen.

Im Gesetzgebungsverfahren zum JStErgG 1996 ist die Abschaffung der einvernehmlichen Übertragung des Kinderfreibetrages dann damit begründet worden, dass ein Auseinanderfallen von Kindergeldberechtigung und Anspruch auf Kinderfreibetrag und damit Missbrauchsgestaltungen vermieden werden sollten (BTDrucks 13/3084, S. 20).

3. a) Die Möglichkeit, einen Anspruch zu übertragen, setzt voraus, dass der Übertragende Inhaber dieses Anspruchs ist oder wird. Während nach der früheren Rechtslage jeder Elternteil Anspruch auf den (halben) Kinderfreibetrag hatte, steht nach der Systemumstellung ab dem Kalenderjahr 1996 einem Elternteil mit einem Kind und einem Grenzsteuersatz von unter 38,31 v.H. ein Kinderfreibetrag gar nicht mehr zu. Wenn aber das zu versteuernde Einkommen eines Elternteils höher und deshalb auch bei der Veranlagung zur Einkommensteuer ein (halber) Kinderfreibetrag zu berücksichtigen ist (vgl. § 31 Satz 4 EStG), dann ist es konsequent, diesen auch bei ihm abzuziehen. Daher hat die Abschaffung der einvernehmlichen Übertragungsmöglichkeit zu einer systemgerechten Besteuerung geführt. Es ist sichergestellt, dass bei dem einzeln oder getrennt zur Einkommensteuer veranlagten Steuerpflichtigen die verfassungsrechtliche Vorgabe, das Existenzminimum seines unterhaltsberechtigten Kindes von der Einkommensteuer frei zu stellen (vgl. dazu Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; vom 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174), verwirklicht wird (vgl. auch Ramisch in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 EStG Rz. 194).

b) Die Klägerin erstrebt dagegen eine —systemwidrige— gesetzliche Regelung, die es einem nicht zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Elternpaar ermöglicht, bei entsprechendem Einvernehmen eine steuerliche Meistbegünstigung zu erreichen. Das Verlangen der Klägerin nach einer entsprechenden Gesetzesänderung findet jedoch in der Verfassung keine Grundlage. Ein Anspruch gegenüber dem Gesetzgeber auf die von der Klägerin erstrebte Wahlmöglichkeit lässt sich insbesondere nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG ableiten.

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 88; vom 1 BvL 38, 40, 43/92, BVerfGE 88, 87, 96; ständige Rechtsprechung). Der unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung. Kommt als Maßstab allein das Willkürverbot in Betracht, so kann ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nur festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (vgl. BVerfGE 55, 72, 90). Dagegen prüft das BVerfG bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, im Einzelnen nach, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl. Beschlüsse vom 1 BvL 2/83, 9,10/84, 3/85, 11,12,13/89, 4/90 und 1 BvR 764/86, BVerfGE 82, 126, 146; in BVerfGE 88, 87, 97; vom 1 BvL 20/87, 20/88, BVerfGE 91, 389, 401).

Die steuerliche Verschiedenbehandlung von zusammenlebenden Ehegatten einerseits und alleinstehenden, getrennt lebenden oder geschiedenen Steuerpflichtigen andererseits (vgl. §§ 25, 26, 26a, 26b, § 32a EStG) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Splittingverfahren knüpft an die wirtschaftliche Realität der intakten Durchschnittsehe an, in der ein Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit zwischen den Partnern stattfindet. Es ist eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung (, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, 727, unter C. I. 4. der Gründe). Daraus folgt aber, dass auch kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf bestehen kann, dass nicht zusammenlebende Elternteile im Rahmen ihrer Veranlagung zur Einkommensteuer bei der steuerlichen Entlastung wegen eines unterhaltberechtigten Kindes in der Summe betragsmäßig genauso oder etwa gar besser gestellt werden, als würden sie zusammen mit dem anderen Elternteil zur Einkommensteuer veranlagt werden. Vielmehr ist den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt, wenn sichergestellt ist, dass jeder Elternteil im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer die ihm unter Berücksichtigung der Höhe seines Einkommens verfassungsrechtlich zustehende Entlastung wegen des für sein Kind geleisteten Unterhalts erhält. Dies trifft im Streitfall zu.

Im Übrigen hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, dass auch der höhere Verwaltungsaufwand, den die Übertragungsmöglichkeit zur Folge hätte, im Verhältnis zu dem mit ihr verbundenen Vorteil ein ausreichender sachlicher Grund für deren Abschaffung war. Dagegen spricht nicht die Auffassung Kanzlers (in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 32 EStG Anm. 180), die Missbrauchsanfälligkeit sei nicht als überzeugender Grund für den Wegfall der Übertragungsmöglichkeit anzusehen, weil die Hinzurechnung auch des einem Dritten gezahlten Kindergeldes bei Abzug des Freibetrages Missbrauchsgestaltungen ausschließen dürfte. Denn die Hinzurechnung des dem anderen Elternteil gezahlten Kindergeldes würde nichts daran ändern, dass zur Vermeidung der Benachteiligung zusammenlebender Ehegatten wiederum sichergestellt werden müsste, dass der mit der Übertragung verbundene Vorteil insgesamt nicht größer sein dürfte als im Falle einer Zusammenveranlagung (vgl. zum Verbot der steuerlichen Benachteiligung von Ehegatten den , 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1137 Nr. 9
XAAAA-68908