BFH Urteil v. - VIII R 67/01

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau haben drei Kinder, die 1970, 1974 und 1981 geboren sind. Seit dem ist der Kläger in der Schweiz als Arbeitnehmer beschäftigt. Er bezog auch danach weiterhin Kindergeld in Deutschland.

Durch ein Schreiben des Finanzamts X vom erhielt der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) Kenntnis von dem Arbeitsverhältnis des Klägers in der Schweiz. Er hob mit Bescheid vom die Kindergeldfestsetzung ab Januar 1998 auf. Zur Begründung führte er an, der Kläger habe vorrangig Anspruch auf Kinderzulage nach den in der Schweiz geltenden Rechtsvorschriften.

Am erließ der Beklagte zwei Bescheide, und zwar

1. den ”Aufhebungs- und Erstattungsbescheid” für die Zeit von März 1990 bis Dezember 1995 über 21 420 DM (Rechtsbehelfsbelehrung: Widerspruch) sowie

2. den ”Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestset- zung” für die Zeit von Januar

1996 bis Dezember 1997 mit einer Rückforderung von

10 080 DM (Rechtsbehelfsbelehrung: Einspruch).

Mit Schreiben vom legte der Kläger gegen den Bescheid vom ”Einspruch” ein. Der Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid über 21 420 DM und wies diesen Widerspruch als unbegründet zurück. Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht verständigten sich die Beteiligten darauf, dass den Kläger hinsichtlich der Verletzung der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit treffe (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches SozialgesetzbuchSGB X— i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I). Deswegen erklärte sich der Beklagte bereit, die Rückforderung auf 11 420 DM zu reduzieren.

Mit Schreiben vom 2. und schlug der Kläger dem Beklagten vor, wegen der Rückforderung von 10 080 DM entsprechend zu verfahren und diesen Betrag auf die Hälfte zu reduzieren. Der Beklagte wertete dies als erstmaligen Einspruch gegen den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für Januar 1996 bis Dezember 1997. Er verwarf den Einspruch wegen seiner Verspätung als unzulässig.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger die Aufhebung des Aufhebungsbescheides für die Zeit von Januar 1996 bis Dezember 1997 begehrte, als unbegründet ab. Es entschied, dass der Einspruch zwar zulässig gewesen sei, aber die Kindergeldfestsetzung zu Recht gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aufgehoben worden sei, da sich die Verhältnisse für die Gewährung von Kindergeld durch die Aufnahme einer Beschäftigung in der Schweiz geändert hätten. Auf ein Verschulden komme es nach § 70 Abs. 2 EStG im Unterschied zur früheren sozialrechtlichen Regelung nicht mehr an. Soweit der (BFH/NV 2001, 21) die Auffassung vertreten habe, dass die maßgeblichen Veränderungen nach dem eingetreten sein müssten, vermöge der Senat sich dem nicht anzuschließen. Außerdem habe die Änderung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auch auf eine sinngemäße Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt werden können, da der Beklagte erst nachträglich von der Beschäftigung des Klägers in der Schweiz Kenntnis erlangt habe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1153 veröffentlicht.

Der Kläger trägt zur Begründung der Revision vor, dass er tatsächlich in der Schweiz keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erhalten habe; vielmehr sei ihm durch einen ”Entscheid der vorgesetzten Dienststelle” vom mitgeteilt worden, dass er keinen Anspruch auf die schweizerische Kinderzulage habe. Auf jeden Fall seien auch nach dem keine Änderungen i.S. des § 70 Abs. 2 EStG eingetreten, da er bereits seit dem in der Schweiz berufstätig gewesen sei.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und seiner Klage stattzugeben.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision der Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Zeit von Januar 1996 bis Dezember 1997 rechtmäßig war.

1. Zwar konnte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach der Rechtsprechung des BFH nicht auf § 70 Abs. 2 EStG gestützt werden. Denn der VI. Senat des BFH hat mit dem vom FG zitierten Urteil in BFH/NV 2001, 21 und erneut mit Urteil vom VI R 163/00 (BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174, unter 3. a. der Gründe) entschieden, die Aufhebung oder Änderung einer Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG setze voraus, dass die Änderung der Verhältnisse, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sei, nach dem eingetreten sein müsse. Im Streitfall kommt als i.S. des § 70 Abs. 2 EStG erhebliche Änderung der Verhältnisse allein die Aufnahme einer Beschäftigung in der Schweiz in Betracht. Diese Beschäftigung hat der Kläger jedoch bereits im Jahr 1990 und damit vor dem aufgenommen.

2. Der VI. Senat des BFH hat nach Ergehen des mit der vorliegenden Revision angefochtenen finanzgerichtlichen Urteils außerdem entschieden, dass § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht durch § 70 Abs. 2 und 3 EStG verdrängt werde, sondern dass diese Vorschriften nebeneinander anwendbar seien (Urteile vom VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2001, 81; in BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt dieser Entscheidungen Bezug genommen.

Im Streitfall hat das FG sein Urteil hilfsweise auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt (unter Nr. 3 der Entscheidungsgründe), so dass es sich aus diesem Grund als zutreffend erweist. Eine sinngemäße Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auf die Kindergeldfestsetzung als einer Steuervergütung (vgl. § 31 EStG i.V.m. § 155 Abs. 6 AO 1977, nunmehr: § 155 Abs. 4 AO 1977) bedeutet, dass die bisherige Festsetzung aufzuheben oder zu ändern ist, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer geringeren Festsetzung des Kindergeldes führen. Die Ausführungen, mit denen das FG das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht hat, lassen keine Fehler erkennen. Der Umstand, dass der Kläger in der Schweiz beschäftigt war, hatte zur Folge, dass kein Kindergeld in Deutschland zu zahlen war. Denn nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen im Ausland gewährt werden, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Die kantonalrechtlichen Familienzulagen in der Schweiz sind mit dem deutschen Kindergeld vergleichbar (vgl. Schreiben des Bundesamts für Finanzen vom , BStBl I 2000, 1128, 1133, 1143 f.; Beschluss des FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 27. Mai 1997 11 K 194/96, EFG 1997, 998).

Das FG hat festgestellt, dass der Kläger in der Schweiz nach dortigem Recht Anspruch auf Kinderzulagen hatte. Da ausländisches Recht nicht revisibel ist (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO), ist das Revisionsgericht an die Feststellungen des FG über Bestehen und Inhalt der Vorschriften des ausländischen Rechts wie an tatsächliche Feststellungen gebunden (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 560 der ZivilprozessordnungZPO— n.F. bzw. § 562 ZPO a.F.). Soweit ausnahmsweise eine Bindung dann nicht bestünde, wenn das FG bei der Ermittlung des ausländischen Rechts gegen § 293 ZPO i.V.m. § 155 FGO verstoßen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rn. 61) oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze nicht beachtet hätte (vgl. z.B. , BFHE 177, 263, BStBl II 1995, 502), hat der Kläger eine derartige Verfahrensrüge nicht erhoben und ist ein derartiger Fehler des FG auch nicht ersichtlich. Der Hinweis des Klägers, dass sein Antrag auf Kinderzulage im März 1990 abgelehnt worden sei, bedeutet nicht, dass er keinen Anspruch auf Kinderzulagen gehabt hätte, wenn er in seinem Antrag angegeben hätte, dass er in Deutschland aufgrund der Aufnahme seines Beschäftigungsverhältnisses in der Schweiz kein Kindergeld mehr erhält. Aus diesem Grund kann auch keine Bindung der deutschen Behörden an die ablehnende Entscheidung der vorgesetzten Dienststelle des Klägers in der Schweiz bestehen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1294 Nr. 10
UAAAA-68893