BAG Urteil v. - 7 AZR 712/15

Befristung - Erprobung - Orchestermusiker

Gesetze: § 14 Abs 1 S 2 Nr 5 TzBfG, § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 35 Ca 11866/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 4 Sa 370/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am geendet hat.

2Der beklagte Freistaat stellte die Klägerin durch Arbeitsvertrag vom für die Zeit vom bis zum und durch Arbeitsvertrag vom für die Zeit vom bis zum als Tuttistin der 1. Geigen des Orchesters des Staatstheaters G zur Vertretung verhinderter Orchestermitglieder ein. Nachdem sich die Klägerin auf die Planstelle einer Violinistin beworben und das nach der Probespielordnung durchgeführte Probespiel erfolgreich absolviert hatte, schlossen die Parteien unter dem einen befristeten Arbeitsvertrag „zwecks Erprobung“ für die Zeit vom bis zum . Danach wurde die Klägerin als Tuttistin der 1. Violine beschäftigt. Die Klägerin war während der gesamten Dauer der befristeten Beschäftigung in die Vergütungsgruppe A/F2 eingruppiert. In allen Arbeitsverträgen ist vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom in der jeweils geltenden Fassung bestimmt.

3Der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom (im Folgenden TVK) lautet auszugsweise:

4In der Probespielordnung des Orchesters des Staatstheaters G, die aufgrund eines Beschlusses der Orchesterversammlung vom in Kraft getreten ist (im Folgenden Probespielordnung), heißt es auszugsweise:

5Der Beklagte teilte der Klägerin im Juni 2014 mit, dass der befristete Arbeitsvertrag nicht verlängert werde, da die am erfolgte Abstimmung des Orchesters negativ verlaufen sei.

6Mit ihrer am beim Arbeitsgericht eingereichten und dem Beklagten am zugestellten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Befristungsabrede vom sei unwirksam. Die Befristung zum sei nicht durch den Sachgrund der Erprobung gerechtfertigt. Die vereinbarte Erprobungszeit sei unangemessen lang, da der Beklagte im Rahmen ihrer Beschäftigung vor dem hinreichend Gelegenheit gehabt habe, ihre Eignung für die Tätigkeit als Tuttistin der 1. Violine zu beurteilen.

7Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt

8Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei durch den Sachgrund der Erprobung gerechtfertigt. Bei Orchestermusikern finde eine Erprobung iSd. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG nur dann statt, wenn das Orchester nach § 57 TVK iVm. den von ihm als Arbeitgeber zu beachtenden Regularien der Probespielordnung in den Auswahl- und Entscheidungsprozess einbezogen sei. Daher könnten die vor dem Probespiel liegenden Beschäftigungszeiten keine Berücksichtigung als Erprobungszeit finden. Zudem sei eine Beurteilung der Eignung der Klägerin während ihrer Beschäftigung vor dem nicht möglich gewesen. Im Rahmen der Beschäftigung zur Vertretung anderer Orchestermitglieder seien weitaus geringere künstlerische Anforderungen an die Klägerin gestellt worden als an planmäßig beschäftigte Musiker. Eine hinreichende Erprobung habe während der Vorbeschäftigung außerdem deshalb nicht stattfinden können, weil eine Beurteilung der künstlerisch/musikalischen Integration des Musikers in den Klangkörper eine ununterbrochene Tätigkeit während einer kompletten Spielzeit voraussetze und weil der Chefdirigent C - unstreitig - erst seit dem bei dem Orchester des Staatstheaters G tätig sei. Außerdem habe die Klägerin während der vorausgegangenen Beschäftigung nicht im Fokus gestanden; das Augenmerk der Musikalischen Leitung habe sich erst im Probejahr auf die Klägerin gerichtet.

9Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

10Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Befristungskontrollklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund der im Arbeitsvertrag vom vereinbarten Befristung am geendet. Die Befristung ist mangels eines sie rechtfertigenden Sachgrunds unwirksam.

11I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die im Arbeitsvertrag vom vereinbarte Befristung nicht durch den Sachgrund der Erprobung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG gerechtfertigt ist, da die Dauer der Erprobungszeit in keinem angemessenen Verhältnis zu der in Aussicht genommenen Tätigkeit steht.

121. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG nennt keine konkrete zeitliche Vorgabe zur Erprobungsdauer. Allerdings kann der vereinbarten Vertragslaufzeit Bedeutung im Rahmen der Prüfung des Befristungsgrunds zukommen. Sie muss sich am Sachgrund der Befristung orientieren und so mit ihm im Einklang stehen, dass sie nicht gegen das Vorliegen des Sachgrunds spricht. Aus der vereinbarten Vertragsdauer darf sich nicht ergeben, dass der Sachgrund tatsächlich nicht besteht oder nur vorgeschoben ist ( - Rn. 16; - 7 AZR 907/07 - Rn. 29; - 7 AZR 101/88 - zu III der Gründe mwN, BAGE 59, 265). Steht die vereinbarte Dauer der Erprobungszeit in keinem angemessenen Verhältnis zu der in Aussicht genommenen Tätigkeit, trägt der Sachgrund der Erprobung nicht. Im Allgemeinen werden nach dem Vorbild des § 1 KSchG und der Kündigungsfristenregelung für Kündigungen während der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) sechs Monate als Erprobungszeit ausreichen. Einschlägige Tarifverträge können Anhaltspunkte geben, welche Probezeit angemessen ist ( - Rn. 16; - 5 AZR 831/76 - zu I 2 b der Gründe). Längere Befristungen zur Erprobung aufgrund besonderer Einzelfallumstände sind aber - vorbehaltlich entgegenstehender einschlägiger und für das Arbeitsverhältnis geltender Tarifvorschriften - möglich ( - Rn. 16). An einem sachlichen Grund der Erprobung fehlt es hingegen, wenn der Arbeitnehmer bereits ausreichende Zeit bei dem Arbeitgeber mit den von ihm zu erfüllenden Aufgaben beschäftigt war und der Arbeitgeber die Fähigkeiten des Arbeitnehmers hinreichend beurteilen kann ( - Rn. 16; - 7 AZR 636/03 - zu II 3 a der Gründe; - 7 AZR 983/93 - zu IV der Gründe; - 2 AZR 1108/78 - zu B IV 2 b der Gründe). Ein vorheriges befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitnehmer mit den gleichen Arbeitsaufgaben betraut war, spricht daher regelmäßig gegen den Sachgrund der Erprobung ( - Rn. 16). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die zu erprobende Tätigkeit höherwertiger ist als die frühere ( - zu II 3 a der Gründe; vgl. auch  - zu B IV 2 b der Gründe), andere Anforderungen stellt oder wenn das frühere Arbeitsverhältnis längere Zeit zurückliegt (vgl. etwa Dörner Der befristete Arbeitsvertrag 2. Aufl. Rn. 174; ErfK/Müller-Glöge 17. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 50).

132. Danach spricht die in dem Arbeitsvertrag der Parteien vom vereinbarte Vertragsdauer gegen das Vorliegen des Sachgrunds der Erprobung.

14a) Nach § 3 Abs. 2 TVK kann mit dem Musiker ein befristetes Probearbeitsverhältnis von bis zu 18 Monaten abgeschlossen werden. Diese tarifvertraglich geregelte Befristungsdauer ist nicht unangemessen lang. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beurteilung der Eignung in dem künstlerischen Bereich der Orchestermusiker schwierig, wenig objektivierbar und maßgeblich auch von der Einordnung in den übrigen Klangkörper abhängig ist. Die Zulässigkeit einer langen Probezeit trägt dabei nicht nur dem Interesse des Arbeitgebers Rechnung, diese Beurteilung auf eine längere Zeit der Bewährung stützen zu können. Vielmehr soll dadurch auch dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben werden, in die Zusammenarbeit mit dem übrigen Orchester hineinzuwachsen, da ein künstlerischer Eingliederungs- und Bewährungsprozess ein sich im Zusammenspiel mit dem gesamten Klangkörper vollziehender Entwicklungsprozess ist, für den ausreichend Zeit gegeben werden soll ( - zu I 3 der Gründe - zu § 5 des Manteltarifvertrags für die Orchester- und Chormitglieder des Westdeutschen Rundfunks Köln vom in der geänderten Fassung vom ).

15b) Die Parteien haben zwar in dem zuletzt geschlossenen befristeten Arbeitsvertrag die in § 3 Abs. 2 TVK vorgesehene Höchstbefristungsdauer von 18 Monaten gewahrt. Sie haben eine zwölfmonatige Erprobungszeit vom bis zum vereinbart. Die vereinbarte Befristungsdauer erweist sich aber dennoch als unangemessen lang, da die Klägerin bereits in der Zeit vom bis zum und vom bis zum als Tuttistin der 1. Geigen beim Beklagten im Orchester des Staatstheaters G beschäftigt war. Eine Beschäftigungszeit von insgesamt 28 ½ Monaten steht nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu dem Erprobungszweck. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat die Vorbeschäftigungszeit von insgesamt 16 ½ Monaten bei der Dauer der zulässigen Erprobungszeit nicht außer Betracht zu bleiben. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass bereits während der beiden befristeten Arbeitsverträge zur Vertretung anderer Orchestermusiker Gelegenheit bestand, die Klägerin zu erproben.

16aa) Der Berücksichtigung der Vorbeschäftigungszeit steht nicht entgegen, dass das Orchester im Rahmen der zur Vertretung anderer Orchestermitglieder erfolgten Vorbeschäftigung nicht nach § 57 TVK iVm. den Regularien der Probespielordnung in den Auswahl-, Bewährungs- und Entscheidungsprozess über die Einstellung der Klägerin einbezogen wurde. § 57 TVK bestimmt nicht, dass eine Erprobung iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG die Einhaltung der Regularien einer vom Arbeitgeber zu beachtenden Probespielordnung voraussetzt.

17(1) Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Tarifnorm, von dem bei der Auslegung eines Tarifvertrags vorrangig auszugehen ist (vgl. etwa  - Rn. 51). Nach § 57 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b TVK wird der Orchestervorstand bei der Auswahl von Bewerbern für freie Stellen im Orchester und bei der Ansetzung sowie der Durchführung von Probespielen beteiligt. Dazu kann eine Probespielordnung über die Durchführung des Probespiels und die Abstimmung des Orchesters aufgestellt werden. Der Orchestervorstand ermittelt - ggf. im Rahmen eines Probespiels nach der bestehenden Probespielordnung - gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b TVK ua. vor der Einstellung und der Arbeitsvertragsverlängerung eines Musikers die Auffassung des Orchesters und vertritt sie gegenüber dem Arbeitgeber. Damit sollen - wie auch die Überschrift des § 57 TVK bestätigt - die Aufgaben und Befugnisse des Orchestervorstands und nicht die Anforderungen an den Sachgrund der Erprobung iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG festgelegt werden.

18(2) Der Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen bestätigt dieses Verständnis. Die Bestimmungen in §§ 54 bis 60 TVK und die Regelungen einer Probespielordnung betreffen allein das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Orchester. Die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien werden nach § 57 Abs. 4 TVK durch die §§ 54 bis 60 TVK nicht berührt. Bestimmungen zur Zulässigkeit einer Befristung sind ausschließlich in § 3 TVK enthalten. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 kann ein befristetes Probearbeitsverhältnis von bis zu 18 Monaten abgeschlossen werden. Weiter gehende Anforderungen an das Probearbeitsverhältnis sind nicht gestellt.

19(3) Ein Verständnis von § 57 Abs. 1 TVK dahingehend, dass die Erprobung iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG die Einbeziehung des Orchesters in den Auswahl- und Entscheidungsprozess nach den vom Arbeitgeber zu beachtenden Regularien der Probespielordnung voraussetzt und eine davor liegende Beschäftigung des Musikers in dem Orchester als Probezeit ausscheidet, wäre außerdem nicht gesetzeskonform.

20(a) Im Bereich des arbeitsvertraglichen Bestandsschutzes ist im Interesse der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein staatlicher Mindestschutz unverzichtbar. Das folgt aus der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte, die auch die Gerichte dazu anhält, den einzelnen Grundrechtsträger vor einer unangemessenen Beschränkung seiner Grundrechte zu bewahren. Bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen schützen seit dem die Bestimmungen des TzBfG vor einer unangemessenen Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Von den zwingenden Regelungen in § 14 TzBfG kann nach § 22 Abs. 1 TzBfG nicht zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden ( - Rn. 18; - 7 AZR 438/09 - Rn. 29, BAGE 136, 270).

21(b) Eine Regelung, welche die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten vor Durchführung eines Probespiels bei der zulässigen Dauer der Erprobung iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG ausschließt, würde entgegen § 22 Abs. 1 TzBfG zuungunsten des Arbeitnehmers von den zwingenden Vorgaben des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG abweichen. Vorbeschäftigungszeiten, in denen der Arbeitnehmer mit den gleichen Arbeitsaufgaben betraut war, sind regelmäßig bei der zulässigen Erprobungsdauer zu berücksichtigen. Das gilt auch für Orchestermusiker. Die durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit gebietet es nicht, die Erprobung iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG auf solche Beschäftigungen zu beschränken, bei denen das Orchester nach den vom Arbeitgeber zu beachtenden Regularien der Probespielordnung in den Auswahl- und Entscheidungsprozess eingebunden ist. Der Träger eines Orchesters hat zwar ein berechtigtes Interesse daran, das Orchester bei der Einstellung eines Orchestermusikers nach der Probespielordnung zu beteiligen. Für die Frage der Eignung und Befähigung eines Orchestermusikers spielen neben dessen fachlicher Qualifikation auch die - durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten - subjektiven künstlerischen Vorstellungen des Orchesterträgers bzw. -leiters sowie die Befähigung zur Zusammenarbeit mit den anderen Orchestermitgliedern eine nicht unerhebliche Rolle (vgl.  - Rn. 49; - 7 AZR 228/82 - zu II 5 b der Gründe, BAGE 46, 163). Die Beachtung der Meinungsbildung des Orchesters bei der Stellenbesetzung und dessen Beteiligung im Rahmen des Probespiels entspricht auch einer ständigen, allgemein üblichen Vorgehensweise in Orchestern ( - Rn. 49). Diesem Interesse des Arbeitgebers geht jedoch das durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Bestandsschutzinteresse des Orchestermusikers vor, wenn der Arbeitgeber im Rahmen einer vorausgegangenen Beschäftigung des Musikers die Möglichkeit hatte, diesen zu erproben und das Meinungsbild des Orchesters zur Einstellung des Musikers einzuholen. Will der Arbeitgeber die Einstellung des Orchestermusikers von der Zustimmung des Orchesters abhängig machen, hat er eine Abstimmung mit dem Orchester innerhalb der zulässigen Erprobungsdauer herbeizuführen. Er kann sich in entsprechender Anwendung des § 162 BGB nicht auf die fehlende Zustimmung des Orchesters zur unbefristeten Einstellung des Orchestermusikers berufen, wenn er eine Abstimmung im zeitlich zulässigen Rahmen nicht abhält (vgl. dazu auch  - zu II 3 a der Gründe - zu einem unter einer auflösenden Bedingung vereinbarten Probearbeitsverhältnis).

22bb) Der Berücksichtigung der Vorbeschäftigungszeit stehen vorliegend weder die Art der erbrachten Tätigkeit, die Laufzeit der Verträge, die zeitliche Unterbrechung vor Beginn des letzten Vertrags noch der Wechsel des Chefdirigenten entgegen. Der Beklagte hatte bereits im Rahmen der vorausgegangenen Beschäftigung die Möglichkeit, die Eignung der Klägerin für die vorgesehene Tätigkeit als Tuttistin der 1. Violine zu beurteilen.

23(1) Die Vorbeschäftigungszeit der Klägerin ist nicht deshalb unbeachtlich, weil die zu erprobende Tätigkeit höherwertig ist als die von der Klägerin geleistete Vertretungstätigkeit. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Tätigkeiten seien gleichwertig, die Klägerin habe die gleiche Tätigkeit einer Orchesterviolinistin/Tuttistin der 1. Violine mit identischem Eingruppierungsniveau (Vergütungsgruppe A/F2 TVK) ausgeübt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ohne Erfolg rügt der Beklagte, das Landesarbeitsgericht habe seinen Vortrag nicht hinreichend berücksichtigt, die Tätigkeiten der Klägerin während der Vorbeschäftigungszeiten seien nicht mit den Tätigkeiten im streitgegenständlichen Erprobungszeitraum vergleichbar gewesen. Diese Rüge übergangenen Sachvortrags ist mangels ordnungsgemäßer Begründung unzulässig.

24(a) Eine Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO muss die Bezeichnung des Mangels enthalten, den die Revision geltend macht. Das gilt auch für eine auf § 286 ZPO gestützte Rüge, das Tatsachengericht habe einen bestimmten Sachvortrag übersehen oder nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb fehlerhafte Feststellungen getroffen. Es muss genau angegeben werden, aufgrund welchen Vortrags das Berufungsgericht zu welchen Tatsachenfeststellungen hätte gelangen müssen und dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, also bei richtigem Verfahren möglicherweise anders entschieden worden wäre (vgl.  - Rn. 42).

25(b) Der Beklagte hat in der Revisionsbegründung nicht dargelegt, welchen konkreten Sachvortrag er in welchem Schriftsatz in den Vorinstanzen gehalten hat, zu welchen abweichenden Tatsachenfeststellungen das Landesarbeitsgericht bei Berücksichtigung seines Sachvortrags gelangt wäre und dass die Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.

26(2) Die Vorbeschäftigungszeit muss nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil die Klägerin nicht während einer kompletten Spielzeit ununterbrochen beschäftigt war. Den tariflichen Bestimmungen lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die Beurteilung der künstlerischen und musikalischen Integration des Orchestermusikers in den Klangkörper eine durchgehende Beschäftigung von zwölf Monaten erfordert. Nach § 3 Abs. 2 TVK beträgt die Höchstbefristungsdauer zur Erprobung 18 Monate. Eine Mindestbefristungsdauer legt § 3 Abs. 2 TVK nicht fest. Die Regelung schließt den Abschluss mehrerer befristeter Probearbeitsverhältnisse im Rahmen der Höchstbefristungsdauer nicht aus ( - zu I 1 der Gründe).

27(3) Die Berücksichtigung der Vorbeschäftigung scheidet auch nicht wegen der dreimonatigen Unterbrechung zwischen der vorangegangenen Beschäftigung und dem Abschluss des streitgegenständlichen Vertrags aus. Hierbei handelt es sich nicht um einen längeren Zeitraum, innerhalb dessen sich die Fähigkeiten der Klägerin erheblich verändert haben könnten oder das Erinnerungsvermögen der Entscheidungsträger des Beklagten und der Orchestermitglieder an die Klägerin und ihre Fähigkeiten verblasst sein könnte.

28(4) Entgegen der Ansicht des Beklagten steht der Berücksichtigung der Beschäftigung der Klägerin in der Zeit vom bis zum als Erprobungszeit nicht entgegen, dass der Chefdirigent C erst zum eingestellt wurde. Der Wechsel des Chefdirigenten führt nicht zu einer Verlängerung der zulässigen Dauer der Erprobung. Der Beklagte ist in diesem Fall gehalten dafür Sorge zu tragen, dass der Vorgänger dem Nachfolger die entsprechenden Informationen weitergibt.

29cc) Der Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, dass die Klägerin während der vorausgegangenen Beschäftigung zur Vertretung anderer Orchestermitglieder - anders als während der Dauer der Erprobung - nie im Fokus gestanden habe. Auf die Frage, ob die Musikalische Leitung, der Orchestervorstand, das Orchester und der Dirigent von der Möglichkeit, die Eignung der Klägerin zu beurteilen, Gebrauch gemacht haben, kommt es nicht an. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass die objektive Möglichkeit der Beurteilung und damit der Erprobung bestand.

30II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:251017.U.7AZR712.15.0

Fundstelle(n):
BB 2018 S. 435 Nr. 8
TAAAG-72123