BGH Urteil v. - 2 StR 580/16

Sexuelle Nötigung: Erheblichkeit sexueller Handlungen; Strafzumessung bei mehrfacher Tatbegehung über einen längeren Zeitraum; Berücksichtigung der Schaffung eines "Klimas sexueller Übergriffigkeit"

Gesetze: § 46 StGB, § 53 StGB, § 177 StGB, § 184h Nr 1 StGB, § 184i Abs 1 StGB, Art 1 Nr 9 StrÄndG 50

Instanzenzug: LG Aachen Az: 65 KLs 14/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen exhibitionistischer Handlungen in 22 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und Führungsaufsicht angeordnet. Von acht weiteren Fällen der exhibitionistischen Handlungen hat es den Angeklagten freigesprochen. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Spätestens seit Karneval 2015 hielt sich der Angeklagte wiederholt in der Wohnung der Zeugin N.    , seiner damaligen Freundin, auf. Mitte August 2016 (richtig: 2015) zog er vollständig bei der Zeugin ein. In dem Haushalt der Zeugin N.     lebte auch deren am (richtig: 1998) geborene Tochter, die Nebenklägerin     G.    .

41. Von März 2015 bis entblößte der Angeklagte in insgesamt 22 Fällen vor der Geschädigten sein Geschlechtsteil in der Absicht, sich hierdurch oder durch deren Reaktion sexuell zu erregen. Die Vorfälle trugen sich jeweils im Wohnzimmer oder der Küche der Wohnung der Zeugin N.      zu. Die Nebenklägerin nahm das Geschlechtsteil des Angeklagten - wie von diesem beabsichtigt - jeweils wahr und war von dessen Verhaltensweise angeekelt.

52. Im September 2016 (richtig: 2015) hielten sich der Angeklagte, die Zeugin N.    und die Geschädigte gemeinsam in der Wohnung der Zeugin N.     auf. Als der Angeklagte - wie bereits bei früheren Gelegenheiten - ankündigte, sie "packen" zu wollen, scherzte die Nebenklägerin entgegen früheren Gelegenheiten nicht zurück, sondern erklärte dem Angeklagten, als dieser auf sie zuging, dass er sie nicht anfassen solle. Obwohl er den entgegenstehenden Willen der Geschädigten erkannte, fasste der Angeklagte sie an den Hüften, woraufhin die Geschädigte ihn nochmals aufforderte, sie loszulassen und gleichzeitig versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Um dies zu verhindern, packte er noch fester zu, wobei die Geschädigte nicht unerhebliche Schmerzen im Hüftbereich erlitt und zu weinen begann. Der Angeklagte ließ dennoch nicht los. Schließlich geriet die Geschädigte in dem Bemühen, in eine Schutzhaltung zu kommen, unter dem Druck des Angeklagten zu Boden. Auch auf die Intervention der Zeugin N.   , ihr Kind loszulassen, ließ der Angeklagte nicht ab. Er führte vielmehr in sexuell motivierter Absicht seine Hände Richtung Oberkörper der Geschädigten, wobei er mit einer Hand ihr T-Shirt von unten unter ihren Büstenhalter schob, so dass sich dieses nunmehr zwischen ihrer linken Brust und seiner Hand, welche unter den Büstenhalter geglitten war und auf ihrer linken Brust lag, befand. In dieser Position hielt der Angeklagte die linke Brust der Geschädigten für einige Augenblicke fest. Erst auf Drohung der Geschädigten, Anzeige zu erstatten, ließ er von dieser ab.

63. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht hinsichtlich aller dem Angeklagten zur Last gelegten Taten unter anderem straferschwerend berücksichtigt, dass dieser eine Vielzahl von Taten über einen langen Zeitraum hinweg begangen und hierdurch ein Klima "sexueller Übergriffigkeit" geschaffen habe, in dem sich die Nebenklägerin zunehmend unwohl gefühlt habe.

II.

7Die Revision des Angeklagten ist zum Teil begründet.

81. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

9Der näheren Erörterung bedarf lediglich der Schuldspruch wegen sexueller Nötigung.

10a) Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht das Verhalten des Angeklagten als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB gewertet hat, ohne dies näher in der rechtlichen Würdigung zu erörtern. Die im Rahmen der Rangelei mit der Nebenklägerin erfolgte Berührung ihrer Brust ist ohne Zweifel eine sexuelle Handlung, die auch die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten hat.

11Als erheblich in diesem Sinne sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 29, 336, 338; vom - 5 StR 364/91, NJW 1992, 324 f., insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 38, 68; vom - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Senat, Urteil vom - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44). Dazu bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (, BGHSt 29, 336, 338; Senat, Urteil vom - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; , NJW 1992, 324, 325; Senat, Urteil vom - 2 StR 490/91, BGHR § 184c Nr. 1 StGB; Erheblichkeit 6; , NStZ 2012, 269, 270; Senat, Urteil vom - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44; Lackner/Kühl/Heger, 28. Aufl., § 184g Rn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, § 184g Rn. 7; differenzierend SSW-StGB/Wolters, 2. Aufl., § 184g Rn. 9 f.).

12Aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt sich, dass die an der Geschädigten vorgenommene Handlung nicht nur in einer flüchtigen oder "zufälligen" Berührung bekleideter Körperregionen, sondern in einem sexuell motivierten Übergriff bestand, bei dem der Angeklagte eine Hand mit dem T-Shirt unter ihren Büstenhalter schob und ihre Brust für einige Augenblicke festhielt. Einer Erörterung der Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle durch die Strafkammer bedurfte es bei dieser Sachlage nicht.

13b) Die Gesetzesänderungen durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung - vom (BGBl. I S. 2460) geben keinen Anlass zu einer für den Angeklagten günstigeren Bewertung als milderes Recht im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB.

14Die Einführung eines Auffangtatbestands für belästigend wirkende körperliche Berührungen in sexuell bestimmter Weise in § 184i Abs. 1 StGB wirkt sich nicht auf die Auslegung des Begriffs der Erheblichkeit in § 184h Nr. 1 StGB aus (anders aber El-Ghazi, ZIS 2017, 157, 160 f.; Lederer, AnwBl. 2017, 514, 517 f.). Der Gesetzgeber bezweckte mit der Einführung des § 184i StGB nicht, bisher von § 184h Nr. 1 StGB aF erfasste Verhaltensweisen aus dem Schutzbereich herauszulösen und diese nunmehr nur noch unter den dort genannten Voraussetzungen in § 184i StGB unter Strafe zu stellen (vgl. ). Ziel der Neuregelung war es vielmehr, bisher strafrechtlich nicht erfasstes Verhalten auch unterhalb der Schwelle des § 184h Nr. 1 StGB zu pönalisieren (BT-Drucks. 18/9097 S. 30).

152. Hingegen hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

16Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht im Rahmen der Erörterung der straferschwerenden Gesichtspunkte keine tatbezogene individuelle Strafzumessung vorgenommen, sondern betreffend aller Taten zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er eine Vielzahl von Taten über einen langen Zeitraum hinweg begangen und hierdurch ein Klima sexueller Übergriffigkeit geschaffen habe, in dem sich die Nebenklägerin zunehmend unwohl gefühlt habe. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich nicht, dass das durch das Landgericht bemühte "Klima sexueller Übergriffigkeit" bereits bei Begehung der ersten Tat vorgelegen hat. Die Strafkammer geht vielmehr davon aus, dass der Angeklagte dieses erst durch sein Verhalten im Laufe der Zeit geschaffen hat. Ist das Klima sexueller Übergriffigkeit Folge aller oder einiger Taten, so kann dieses dem Angeklagten nur im Rahmen der Gesamtstrafenbildung oder nur in diesen Fällen, für die es festgestellt wurde, angelastet werden (vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 574/13, NStZ 2014, 701; Beschluss vom - 2 StR 483/15).

17Auch dass die Taten sich über einen langen Zeitraum erstreckten, durfte nicht bei der Zumessung der Einzelstrafen zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt werden. Dass einer ersten oder zweiten Tat weitere nachgefolgt sind, ist regelmäßig für deren Unrechtsgehalt ohne strafzumessungsrelevante Bedeutung. Dies mag anders sein, wenn von vornherein eine Mehrzahl von Taten geplant ist und darin die nach § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigungsfähige "rechtsfeindliche Gesinnung" des Täters zum Ausdruck kommt (Senat, Beschluss vom - 2 StR 483/15, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 23, mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 46 Rn. 34a). Entsprechende Feststellungen hat das Landgericht jedoch nicht getroffen.

18Dies führt zur Aufhebung aller Einzelstrafen und bedingt den Wegfall des Gesamtstrafenausspruchs. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafzumessung auf diesem Rechtsfehler beruht. Mit der Aufhebung des Strafausspruchs konnte auch die Anordnung der Führungsaufsicht gemäß § 68 Abs. 1 StGB keinen Bestand haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:260417U2STR580.16.0

Fundstelle(n):
EAAAG-71720