BFH Beschluss v. - VII B 29/01

Gründe

I. Mit Haftungsbescheid vom nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Geschäftsführer einer GmbH für deren rückständige Umsatzsteuer in Höhe von 2 964,11 DM in Haftung. Der gegen diesen Haftungsbescheid eingelegte Einspruch führte unter Zurückweisung im Übrigen zu einer Reduzierung der Haftungssumme in der Einspruchsentscheidung.

Während des sich anschließenden Klageverfahrens erließ das FA am unter Hinweis auf § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen geänderten Haftungsbescheid, den der Kläger mit Einspruch angefochten hat. Das Klageverfahren gegen den ursprünglichen Haftungsbescheid hat das Finanzgericht (FG) gemäß § 74 FGO ausgesetzt. In der den geänderten Haftungsbescheid betreffenden Einspruchsentscheidung vom setzte das FA die Haftungssumme auf 4 113,29 DM herauf und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet ab. Mit Schriftsatz vom beantragte der anwaltlich vertretene Kläger unter dem Az. ... ”den geänderten Umsatzsteuerhaftungsbescheid vom in der Fassung vom zum Gegenstand des Verfahrens zu machen”. Gleichzeitig beantragte er, ”den geänderten Umsatzsteuerhaftungsbescheid vom in der Fassung des Einspruchsbescheides vom aufzuheben”. Auf gerichtlichen Hinweis vom begehrte der Kläger, den Schriftsatz vom im Wege der Auslegung als neue Klage zu behandeln, ”sofern das Gericht seine Rechtsauffassung, dass der Antrag vom nach § 68 FGO zulässig und begründet sei, nicht teile”. In einem späteren Schriftsatz vom vertrat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Auffassung, der Schriftsatz vom sei als Klage gegen den geänderten Haftungsbescheid anzusehen, weil für einen Antrag nach § 68 FGO im Streitfall kein Raum mehr gewesen sei.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil der nach Auffassung des FG als Klage zu wertende Schriftsatz erst am —mithin verspätet— bei dem Gericht eingegangen sei. Der Schriftsatz vom sei wegen seines eindeutigen Inhalts nicht auslegungsbedürftig und könne damit auch nicht im Wege der Auslegung als Klage gewertet werden. Der Kläger habe vielmehr ausdrücklich beantragt, den geänderten Haftungsbescheid zum Gegenstand des unter dem Az. ... anhängigen Klageverfahrens zu machen. Einer Umdeutung des Antrags stehe ebenso wie einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen, dass der Antrag von einem Rechtsanwalt gestellt worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensfehler gestützte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 6 FGO).

Da das Urteil des FG vor dem zugestellt worden ist, richtet sich die Zulässigkeit der Beschwerde nach § 115 Abs. 2 und Abs. 3 FGO in der bis zum gültigen Fassung (FGO a.F., s. Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze —2.FGOÄndG— vom , BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567).

Der Senat entnimmt dem Vorbringen des Klägers ungeachtet gewisser Mängel in der Darlegung (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.) die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, nämlich dass das FG die Erhebung der Klage verkannt und den Rechtsstreit zu Unrecht durch Erlass eines Prozessurteils abgewiesen hat anstatt zur Sache zu entscheiden.

Die Vorschriften der FGO, die die Frage regeln, unter welchen Voraussetzungen das Gericht in einem anhängig gemachten Prozess zur Sache entscheidet, gehören zu den Vorschriften des gerichtlichen Verfahrens, deren fehlerhafte Handhabung mit Verfahrensrügen geltend gemacht werden kann. Ob ein Verfahrensmangel vorliegt, richtet sich nach der objektiven Rechtslage im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung (vgl. , BFH/NV 1994, 891).

Es entspricht der überwiegenden Rechtsprechung (Näheres dazu s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 78, m.w.N.), dass ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegt, wenn das FG objektiv fehlerhaft durch Prozess- statt durch Sachurteil entscheidet (vgl. , BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268; in BFH/NV 1994, 891; vom VI R 162/88, BFHE 169, 507, BStBl II 1993, 306; BFH-Beschlüsse vom II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897, und vom VII B 202/99, BFH/NV 2000, 960). Im Zeitpunkt des Ergehens des Prozessurteils lag nach Auffassung des Senats eine ordnungsgemäß erhobene Klage gegen den geänderten Haftungsbescheid vom i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom vor, so dass das FG hätte zur Sache entscheiden müssen.

Gemäß § 65 Abs. 1 FGO muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand, bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt bezeichnen und soll einen bestimmten Antrag enthalten. Diesen Erfordernissen wird der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers erstellte Schriftsatz vom gerecht, auch wenn er gleichzeitig den Antrag enthält, den geänderten Haftungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Letzteres Begehren schadet unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Besonderheit des zulässigen Angriffs gegen einen während des Klageverfahrens geänderten Haftungsbescheid dann nicht, wenn dieser geänderte Haftungsbescheid nicht nach § 68 FGO in der bis zum geltenden Fassung zum Gegenstand des anhängigen Verfahrens gegen den ursprünglichen Haftungsbescheid gemacht, sondern —wie im Streitfall— mit zulässigem Einspruch angefochten worden ist, so dass nach Ergehen der Einspruchsentscheidung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes i.S. des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes nurmehr die Klageerhebung in Betracht kam. Denn es ist nach der Rechtsprechung des BFH davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige den Rechtsbehelf hat einlegen wollen, der seinen Belangen entspricht und der zu dem von ihm angestrebten Erfolg führen kann (vgl. z.B. , BFH/NV 1986, 675).

Da der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom die Prozessbeteiligten und den Streitgegenstand enthielt und es aufgrund aller erkennbaren Umstände für das Gericht ersichtlich war, dass der geänderte Haftungsbescheid, dessen Überprüfung und Aufhebung begehrt wurde, angefochten werden sollte, hat es zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden, die Erfordernisse einer Klageschrift i.S. des § 65 FGO seien bei Ablauf der Klagefrist nicht erfüllt gewesen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 169, 507, BStBl II 1993, 306).

Nachdem das Urteil des FG auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht, kann der BFH das angefochtene Urteil nach § 116 Abs. 6 FGO bereits im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen. Diese Regelung gilt nach Art. 6 2.FGOÄndG für alle zum noch offenen Verfahren und ist auch dann anzuwenden, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur auf einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern auch auf grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO gestützt ist (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Rz. 285, 286; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 65; 1 B 164.97, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1998, 170).

Da der Senat die Streitsache bereits wegen des Verfahrensmangels zurückverweisen musste, erübrigt sich eine weitere Begründung dazu, ob der von der Beschwerde außerdem geltend gemachte Revisionszulassungsgrund einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1321 Nr. 10
SAAAA-68697