BGH Beschluss v. - 2 StR 275/17

Strafurteil wegen sexuellen Kindesmissbrauchs: Anforderungen die Darlegungen zur Beweiswürdigung in "Aussage-gegen-Aussage"-Fällen

Gesetze: § 176 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Gera Az: 440 Js 13508/16 - 2 KLs jug (29)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.

2Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es nicht an.

31. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber der Enkelin seiner Lebensgefährtin hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368) - sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

4a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261, Rn. 3 und 38).

5In Fällen, in denen - wie hier - "Aussage gegen Aussage" steht, hat der Bundesgerichtshof zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. , BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom - 2 StR 235/16, aaO mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. , NStZ 2002, 656, 657; Senat, Beschluss vom - 2 StR 235/16, aaO).

6b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seiner Antragsschrift vom ausgeführt:

7„Hinsichtlich des Kerngeschehens der sechs festgestellten Taten liegt eine ‚Aussage gegen Aussage‘-Situation vor. Anders als die Feststellungen zur Aussageentstehung sind die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch , NStZ-RR 2014, 219), lückenhaft.

8Das Landgericht führt aus, dass die Geschädigte ihre Erlebnisse zunächst gegenüber dem Zeugen    M.  , dann auch detailreicher gegenüber der Polizei und schließlich ebenfalls umfassend vor der Kammer geschildert hat (UA S. 9). Aufgrund der Aussage der Kriminalhauptkommissarin B.   stellt die Kammer sodann fest, dass die von der Geschädigten vor der Kammer gemachten Angaben mit denen übereinstimmen, die sie schon bei der Polizei gemacht hat. Auch hier habe sie schon die genaueren Details dazu - gemeint sind die als sexuelle Übergriffe bezeichneten Handlungen des Angeklagten - mitgeteilt. Dem Urteil sind jedoch diese genaueren Details der Aussage insbesondere zum Kerngeschehen nicht zu entnehmen. Ansatzweise werden lediglich die Situation nach dem letzten erlebten Übergriff im Jahr 2011, als die Geschädigte ihre Mutter aufgefordert hatte, sie abzuholen (UA S. 11) und die Vorkommnisse geschildert, in denen der Angeklagte die Geschädigte an der Brust gestreichelt und mit der Zunge berührt hat (UA S. 25, 29). Ebenso nur in Ansätzen (UA S. 15, 27 f.) wird wiedergegeben, was die Geschädigte gegenüber ihrem Vater und ihrer Mutter zu den Taten des Angeklagten erzählt hat, als sie sich diesen anvertraut hatte.

9Die Konstanz der Aussage der Geschädigten ist jedoch für die Verurteilung des Angeklagten von besonderer Bedeutung. Diese muss für das Revisionsgericht nachprüfbar sein, wodurch detaillierte Angaben zu den verschiedenen Aussagen der Zeugin erforderlich sind. Dies gilt umso mehr, als die Kammer im Zusammenhang mit den Feststellungen der Taten 5 und 6 selbst von Abweichungen zwischen der Aussage der Geschädigten vor Gericht und ihrer polizeilichen Vernehmung ausgegangen ist (UA S. 29).

10Die von der Kammer nachvollziehbar (UA S. 9, 18 ff.) als widerlegt angesehene Einlassung des Angeklagten und als unglaubwürdig angesehenen Ausführungen der Zeugin     U.   (UA S. 11 f., 15 ff.) vermögen diese Mängel in einer Gesamtschau ebenso wenig (zu) beseitigen, wie die Aussagen der Zeugen    M.   und    M.  -U.   zu vergleichbaren Taten des Angeklagten zum Nachteil der Zeugin    Mü.  .“

11Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

122. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.

133. Zur sprachlichen Abfassung eines Urteils verweist der Senat auf Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 207 ff.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:210917B2STR275.17.0

Fundstelle(n):
JAAAG-70045