BGH Urteil v. - VI ZR 436/16

Verbindung von Amtshaftungsklage und Schadensersatzklage gegen einen Dritten: Unzulässigkeit eines abweisenden Teilurteils zur Amtshaftungsklage mit Hinweis auf die noch nicht geklärte Ersatzpflicht des einfachen Streitgenossen

Leitsatz

Wird eine Amtshaftungsklage (hier: gegen einen beamteten Oberarzt einer Universitätsklinik) wegen desselben Schadens mit der Klage gegen einen Dritten (hier: die Universitätsklinik) verbunden und ist die Frage, ob diesen eine Ersatzpflicht trifft, noch nicht entscheidungsreif, darf die Amtshaftungsklage nicht mit dem Hinweis auf die noch nicht geklärte Ersatzpflicht des (einfachen) Streitgenossen durch Teilurteil abgewiesen werden, weil die Entscheidung hierüber für den durch Teilurteil entschiedenen Amtshaftungsanspruch präjudiziell ist (Bestätigung Senatsurteil vom , VI ZR 39/03, VersR 2004, 785).

Gesetze: § 823 Abs 1 BGB, § 839 Abs 1 S 1 BGB, § 839 Abs 1 S 2 BGB, § 301 Abs 1 ZPO, § 538 Abs 2 S 1 Nr 7 ZPO, Art 34 GG

Instanzenzug: OLG Rostock Az: 5 U 156/13 Urteilvorgehend LG Rostock Az: 10 O 638/11 (2)

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagten zu 1 bis 5 auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.

2Die Klägerin wurde am im Hause der Beklagten zu 1, einer Universitätsklinik, durch den Beklagten zu 2 an der Bandscheibe operiert. Der Beklagte zu 3 und Revisionsbeklagte war aufsichtsführender beamteter Oberarzt der Anästhesie, die von den Beklagten zu 4 und 5 durchgeführt wurde. Während der Operation kam es bei der in Bauchlage gelagerten Klägerin zu einem Husten und einer Spontanbewegung, woraufhin der Beklagte zu 2 mit einem Wurzelhaken in die Duraöffnung geriet und diese erweiterte, so dass Liquor abfloss. Postoperativ entwickelte sich bei der Klägerin ein inkomplettes Cauda-Syndrom, u.a. mit Blasenlähmung.

3Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich der Beklagten zu 3 und 4 durch Teilurteil abgewiesen. Etwaige Ansprüche der Klägerin gegen diese seien jedenfalls verjährt. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat hinsichtlich des Beklagten zu 3 zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren gegen diesen weiter.

Gründe

I.

4Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch erheblich, den erstinstanzlichen Erlass eines Teilurteils für zulässig gehalten, da die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen gewesen sei. In der Sache seien etwaige deliktische Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten zu 3 wegen behaupteter Behandlungsfehler bei Durchführung der Anästhesie sowie wegen eines vermeintlichen Verschuldens bei Auswahl und Überwachung der Beklagten zu 4 und 5 zwar nicht verjährt. Der Beklagte zu 3 könne sich insoweit aber als beamteter Oberarzt auf das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen. Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit der Klägerin im Sinne dieser Vorschrift sei durch die - tatsächlich auch erfolgte - Inanspruchnahme der Beklagten zu 1, 4 und 5 gegeben.

5Verjährt seien dagegen etwaige vertragliche und deliktische Ersatzansprüche der Klägerin gegen den Revisionsbeklagten wegen eines Verstoßes desselben gegen die von der Klägerin mit der liquidationsberechtigten Ärztin für anästhesiologische wahlärztliche Leistungen geschlossenen Wahlleistungsvereinbarung, nach welcher der Revisionsbeklagte als Individualvertreter mit der Erbringung der wahlärztlichen Leistung beauftragt gewesen sei.

II.

6Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit Erfolg wendet sich die Revision bereits dagegen, dass das Berufungsgericht die Abweisung der gegen den Beklagten zu 3 gerichteten Klage durch das Landgericht in einem Teilurteil für zulässig gehalten hat.

71. Ein Teilurteil darf auch bei grundsätzlicher Teilbarkeit des Streitgegenstandes nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist namentlich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Eine solche Gefahr besteht namentlich bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen den prozessual selbständigen Ansprüchen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind (, VersR 2017, 888 Rn. 10; vom - VI ZR 437/14, VersR 2016, 745 Rn. 30, insoweit in BGHZ 209, 157 nicht abgedruckt; vom - VI ZR 117/10, BGHZ 189, 79 Rn. 15; jeweils mwN). Eine materiell-rechtliche Verzahnung kann bei objektiver Häufung inhaltlich zusammenhängender Anträge, aber auch bei Klagen gegen mehrere Personen (subjektive Klagehäufung) auftreten (vgl. , BGHZ 157, 133, 143). Ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen ist daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt (vgl. , VersR 2016, 271 Rn. 7; vom - VI ZR 8/03, VersR 2004, 645, 646; vom - VI ZR 77/98, VersR 1999, 734 f.). Zwar muss gegenüber einfachen Streitgenossen grundsätzlich keine einheitliche Entscheidung getroffen werden. Eine Teilentscheidung ist aber nur zulässig, wenn sie unabhängig von der Entscheidung über den restlichen Verfahrensgegenstand ist (Senatsurteil vom - VI ZR 279/14, VersR 2016, 271 Rn. 7; , NJW 2009, 230 Rn. 8). Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Teilurteil nur auf Gründen beruht, die ausschließlich diesen Streitgenossen berühren (BeckOK ZPO/Dressler, Stand , § 61 Rn. 12; vgl. zum Ganzen Senatsurteil vom - VI ZR 395/15, VersR 2017, 495 Rn. 7).

82. Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht das Teilurteil des Landgerichts nicht mit der Erwägung bestätigen, der Beklagte zu 3 könne sich hinsichtlich seiner deliktischen Eigenhaftung auf das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen und die Klägerin müsse sich auf die anderweitigen Ersatzmöglichkeiten gegen die Beklagten zu 1, 4 und 5 verweisen lassen. Solange nämlich diese Ersatzmöglichkeit nicht endgültig geklärt ist, besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen.

9Eine Ersatzmöglichkeit gegen den Beklagten zu 4 scheidet bereits deshalb aus, weil das Berufungsgericht die Klageabweisung wegen Verjährung - rechtskräftig - bestätigt hat. Damit ist keine Aussage darüber getroffen, ob der Beklagte zu 4 ursprünglich ersatzpflichtig gewesen ist und ob die Klägerin eine - vorrangige - erfolgreiche Inanspruchnahme des Beklagten zu 4 lediglich schuldhaft versäumt hat, in welchem Fall sie sich auf den Wegfall der Ersatzmöglichkeit nicht berufen dürfte (, VersR 1992, 698, 700; Staudinger/Wöstmann, BGB, 2013, § 839 Rn. 297 f.; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 839 Rn. 58). Sollte das Landgericht nach weiterer Beweisaufnahme auch eine Haftung der Beklagten zu 1 und 5 verneinen, bestünde keine anderweitige Ersatzmöglichkeit der Klägerin, so dass eine persönliche Haftung des Beklagten zu 3 aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht auszuschließen wäre. Das reicht aus, um ein Teilurteil unzulässig zu machen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 39/03, VersR 2004, 785).

10Ist ein Beamter wegen einer Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB auf Leistung von Schadensersatz allein verklagt, so kann zwar, wenn eine anderweitige Ersatzmöglichkeit nicht auszuschließen ist, die Klage als (derzeit) unbegründet abgewiesen werden. Wird aber die Amtshaftungsklage - wie hier - wegen desselben Schadens mit der Klage gegen einen Dritten verbunden, und ist die Frage, ob diesen eine Ersatzpflicht trifft, noch nicht entscheidungsreif, dann darf die Amtshaftungsklage nicht mit dem Hinweis auf die noch nicht geklärte Ersatzpflicht des (einfachen) Streitgenossen durch Teilurteil abgewiesen werden, weil die Entscheidung hierüber für den durch Teilurteil entschiedenen Amtshaftungsanspruch präjudiziell ist (, VersR 2004, 785 f.; vom - VI ZR 349/91, BGHZ 120, 376, 380).

III.

11Da etwaige deliktische Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten zu 3 auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht verjährt sind und das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB wie ausgeführt eine Klagabweisung im Wege des Teilurteils nicht rechtfertigt, stellt dessen Erlass einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Angesichts der teilweise noch ausstehenden, teilweise vom Landgericht zwischenzeitlich weiterbetriebenen umfangreichen Beweisaufnahme wäre das Berufungsgericht im Streitfall auch nicht aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit befugt, den im ersten Rechtszug anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits zur Beseitigung des Verfahrensfehlers an sich zu ziehen und darüber mitzuentscheiden (vgl. hierzu , NJW 2011, 2800 Rn. 33; vom - III ZR 93/90, NJW 1992, 511, 512 unter IV. mwN). Das Berufungsgericht hätte das erstinstanzliche Urteil vielmehr aufheben und die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO an das Landgericht zurückverweisen müssen. Der Senat holt diese Entscheidung gemäß § 563 Abs. 3 ZPO im Umfang der Anfechtung durch die Revision nach (vgl. , BGHZ 189, 356 Rn. 29; vom - VIII ZR 109/99, NJW 2001, 155, 156; vom - XII ZR 167/92, NJW-RR 1994, 379, 381; vom - V ZR 253/90, NJW 1992, 1769, 1770 unter IV.; vom - IVb ZR 88/85, NJW 1987, 441, 442 unter II.; vom - II ZR 76/54, BGHZ 16, 71, 82).

12Das Landgericht wird im Rahmen des weiteren erstinstanzlichen Verfahrens Gelegenheit haben, auch das übrige Vorbringen der Parteien im Revisionsrechtszug zu berücksichtigen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:211117UVIZR436.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 623 Nr. 9
NAAAG-69751