BGH Beschluss v. - XII ZR 54/16

Geschäftsraummietrechtsstreit: Auslegung einer Ablösungsvereinbarung mit dem Vormieter für Inventar eines Varieté-Theaters unter Gehörsverstoß bei Nichtberücksichtigung von Sachvortrag und Beweisangeboten; Aufwendungsersatz- und Schadensersatzansprüche des Nachmieters gegen den Vermieter nach Wasserschaden und Inhaltskontrolle für eine formularmäßige Aufrechnungsbeschränkung

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 307 BGB, § 535 Abs 1 S 2 BGB, § 536 BGB, § 536a BGB, § 539 Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: 1 U 883/15vorgehend LG Trier Az: 11 O 316/13

Gründe

I.

1Die Klägerin schloss im März 2009 mit der Streithelferin des Beklagten einen gewerblichen Mietvertrag über ein als Club ("Varieté-Theater") genutztes Objekt. In § 5.3 des Vertrags war formularmäßig vorgesehen, dass der Mieter gegenüber Ansprüchen des Vermieters nur mit Gegenansprüchen aufrechnen oder ein Zurückbehaltungsrecht ausüben darf, wenn der Gegenanspruch oder das Zurückbehaltungsrecht vom Vermieter anerkannt oder rechtskräftig festgestellt wurde. Im August 2011 ereignete sich ein Starkregen, in dessen Folge Wasser in die Mieträume eindrang. Die Klägerin macht insbesondere geltend, dass dadurch Wasserschäden an dem auf dem Fußboden verklebten Teppichboden, an einer Trockenbauwand sowie an einem als Holzkonstruktion errichteten Barpodest entstanden seien. Nachdem weder die Streithelferin noch der Beklagte, der die Immobilie im Jahr 2012 von der Streithelferin erworben hatte, zur Beseitigung der Wasserschäden oder zur Kostenübernahme bereit waren, zahlte die Klägerin zwischen August 2013 und Juli 2014 keine Miete mehr. Der Beklagte kündigte das Mietverhältnis im Februar 2014 fristlos wegen Zahlungsverzugs.

2Die Klägerin hat mit ihrer Klage von dem Beklagten die Kosten für die von ihr veranlassten Reparaturen der Wasserschäden sowie für einen Betriebsausfallschaden in einer Gesamthöhe von 71.724,99 €, gegebenenfalls unter Verrechnung der nicht gezahlten Mieten geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage des Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Mieträume und zur Zahlung von 63.260,40 € rückständiger Miete nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung hat die Klägerin ihr Zahlungsbegehren noch in einer Höhe von 66.202,50 € weiterverfolgt und Abweisung der Widerklage beantragt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen.

3Die Klägerin wendet sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nur noch gegen ihre Verurteilung zur Räumung und Herausgabe der Mieträume sowie gegen ihre Verpflichtung zur Zahlung rückständiger Miete von mehr als 9.971,91 € nebst Zinsen.

II.

4Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist begründet. Die zuzulassende Revision führt im Umfang der Anfechtung des Berufungsurteils durch die Klägerin zu dessen Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO).

51. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Klägerin stünden nicht deswegen Ansprüche zu, weil der Beklagte als Vermieter mit der Beseitigung der von ihm nicht zu vertretenden Wasserschäden in Verzug geraten wäre. Die Pflicht des Vermieters zur Instandhaltung gelte nicht für Einbauten wie Theken, Podeste oder Wandverkleidungen, die der Mieter selbst eingebracht habe. Sie umfasse lediglich Einrichtungen wie Fußböden oder Türen, Fenster und Wände, die zum festen Bestandteil der Mietsache gehörten. Im vorliegenden Fall mache die Klägerin ganz überwiegend Schäden an solchen Einrichtungen geltend, die nicht im Eigentum des Beklagten stünden, sondern für deren Instandhaltung die Klägerin als Eigentümerin selbst verantwortlich sei. Dies ergebe sich aus dem am abgeschlossenen Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der Vormieterin des Objektes, wonach das gesamte "bewegliche und unbewegliche Inventar" des Clubs für einen Kaufpreis von 70.000 € an die Klägerin verkauft worden sei. Gegen die Behauptung der Klägerin, dass die bodenfest verbundenen Gegenstände - insbesondere das in Form einer Holzkonstruktion aufgebaute Barpodest - nicht mit veräußert worden seien, spreche der eindeutige Wortlaut des Kaufvertrags und der Umstand, dass sich der hohe Kaufpreis von 70.000 € allein durch den Verkauf des beweglichen Mobiliars, welches in einem gebrauchten Zustand gewesen sei, nicht schlüssig erklären lasse. Anhaltspunkte für einen möglichen "Anspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB" seien daher allein hinsichtlich der zerstörten Fußböden denkbar. Die von der Klägerin eingereichten Abrechnungen und Auflistungen über die im Mietobjekt durchgeführten Sanierungsarbeiten ermöglichten aber wegen fehlender Differenzierung keine Überprüfung, ob der Klägerin zumindest ein Teilbetrag wegen der Erneuerung des Fußbodens zugesprochen werden könne.

62. Zu Recht beanstandet die Klägerin, dass das Berufungsgericht seine Feststellungen zum Vertragsgegenstand der schriftlichen Vereinbarung vom unter Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) getroffen hat.

7a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (Senatsbeschlüsse vom - XII ZR 130/15 - juris Rn. 10 und vom - XII ZR 114/10 - GuT 2012, 268 Rn. 9 mwN). Das gilt auch und insbesondere dann, wenn diese Nichtberücksichtigung auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht, also der von einer Partei angebotene Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst ( - WuM 2012, 164 Rn. 8 mwN).

8b) Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung, dass insbesondere die Trockenbauwand und das aus Holz gefertigte Podest von der Vereinbarung zwischen der Klägerin und der ausscheidenden Mieterin umfasst gewesen seien, aus seinem Verständnis des in der Vertragsurkunde verwendeten Begriffs "unbewegliches Inventar" gewonnen, den das Berufungsgericht für eindeutig hält. Zwar gehört zu den anerkannten Grundsätzen für die - an sich dem Tatrichter vorbehaltene - Auslegung einer Individualvereinbarung, dass der Wortlaut der Vereinbarung den Ausgangspunkt einer Auslegung bildet. Jedoch geht der übereinstimmende Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vor, selbst wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (Senatsbeschluss vom - XII ZR 124/12 - juris Rn. 17 mwN; - NJW 2015, 409 Rn. 11 mwN). Im Streitfall hat die Klägerin sowohl in erster als auch in zweiter Instanz zu einem abweichenden Verständnis des Kaufvertrags vorgetragen und durch Vernehmung des Zeugen S. unter Beweis gestellt, dass mit "unbeweglichem Inventar" lediglich die Bar und die Theke des Lokals gemeint gewesen sein sollen. Da sich aus der Erhebung des von der Klägerin angebotenen Beweises wesentliche Erkenntnisse für die Auslegung des Kaufvertrags hätten ergeben können, konnte es diesen Beweisantrag nicht unter Hinweis auf einen vermeintlich eindeutigen Vertragswortlaut übergehen, ohne dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu verletzen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZR 124/12 - juris Rn. 17; - MDR 2017, 597 Rn. 28). Die vom Berufungsgericht zur Stützung seines Auslegungsergebnisses angestellten Erwägungen zum schlüssigen Zusammenhang zwischen der Höhe des Kaufpreises und dem Gegenstand des Kaufvertrags stellen insoweit lediglich eine - unzulässige - vorweggenommene Beweiswürdigung dar, für die es im Übrigen an einer belastbaren tatsächlichen Grundlage fehlt.

93. Der von der Klägerin gerügte Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich.

10a) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Erhebung des gebotenen Beweises zu einem abweichenden Verständnis von der Reichweite der Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Vormieter gelangt wäre. Hat der neue Mieter die von dem Vormieter in die Mietsache eingebrachten Einrichtungen (hier insbesondere den Fußbodenbelag, die in Leichtbauweise errichtete Zwischenwand und das Holzpodest) und das damit verbundene Recht zur Wegnahme dieser Einrichtungen (§ 539 Abs. 2 BGB) nicht im Wege einer Ablösungsvereinbarung übernommen, hängt es von der Auslegung des Mietvertrags zwischen dem Vermieter und dem Nachmieter ab, ob die von dem Vormieter in den Mieträumen zurückgelassenen Einrichtungen als Bestandteile der Mietsache mitvermietet worden sind oder nicht. Ist dies der Fall, wovon jedenfalls bei solchen, fest mit der Mietsache verbundenen Einbauten mangels einer ausdrücklich entgegenstehenden Vereinbarung im Zweifel auszugehen sein dürfte, erstreckt sich die Gebrauchsgewährungspflicht (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) des Vermieters auch auf diese Einrichtungen. Dann ist es auch nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 536 a Abs. 2 Nr. 1 BGB einen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin wegen Verzugs des Beklagten - und/oder der Streithelferin - mit der Beseitigung der streitgegenständlichen Wasserschäden insbesondere an der Trockenbauwand und dem Holzpodest bejaht hätte.

11b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich - soweit sie angefochten worden ist - auch nicht aus anderen Gründen ganz oder teilweise als richtig. Insbesondere stand der Aufrechnung mit einem etwaigen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin gegen die laufende Miete - was schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - das im vorliegenden Mietvertrag formularmäßig vereinbarte Aufrechnungsverbot nicht entgegen. Der Mieter von Geschäftsräumen wird durch eine Formularklausel, die dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Möglichkeit der Aufrechnung mit einer unbestrittenen Forderung zusätzlich von deren Anerkennung durch den Vermieter abhängig ist, im Sinne von § 307 BGB unangemessen benachteiligt, so dass die Klausel insgesamt unwirksam ist (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 54/05 - NJW 2007, 3421, 3422; vgl. auch -NJW-RR 2006, 1350, 1351 und vom - VIII ZR 41/93 - NJW 1994, 657 f.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:270917BXIIZR54.16.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2018 S. 74 Nr. 2
GAAAG-69266