Gründe
Gegen den auf Schätzung beruhenden Einkommensteuerbescheid 1997 erhob die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Finanzgericht (FG) A. In der Klageschrift beantragte der in B ansässige Bevollmächtigte, ihm Akteneinsicht beim FG B zu gewähren. Der Vorsitzende des FG teilte ihm mit, dass die Steuerakten noch nicht vorlägen, und verwies ihn an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—). Dieses informierte das FG davon, der Bevollmächtigte habe auf zwei Hinweise, dass die Steuerakten zur Einsicht beim FA bereit lägen, nicht reagiert. Auf Nachfrage des Berichterstatters, ob eine inzwischen vorgebrachte Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ein neues Gesuch auf Akteneinsicht enthalte, erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin mit einem am beim FG eingegangenen Schreiben, er beantrage Akteneinsicht beim FG B.
Mit Urteil vom wies das FG (Einzelrichter) die Klage ab. Es führte u.a. aus, die Klägerin sei nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Auf die Anfrage des Berichterstatters, ob die Klägerin noch Akteneinsicht begehre, sei innerhalb der gesetzten Frist nicht reagiert worden. Daraus könne nur der Schluss gezogen werden, dass an einer Akteneinsicht kein Interesse mehr bestehe. In der Sache sei die Schätzung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach Grund und Höhe nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hat Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, mit der sie rügt, das FG habe ihr das Recht auf Gehör verweigert. Sie habe bereits in der Klageschrift Akteneinsicht beim FG B beantragt, um danach die Klage begründen zu können. Mit Schriftsatz vom habe sie die Nichtgewährung der Akteneinsicht beanstandet und darauf hingewiesen, dass ihr Prozessbevollmächtigter das FG B zu Fuß erreichen könne, während er zum FA in C (ca. 25 km Entfernung) eine Dienstreise unternehmen müsste. Der Antrag auf Akteneinsicht sei mit einem am beim FA eingegangenen Schriftsatz wiederholt worden.
Durch Akteneinsicht hätte die Klägerin nachvollziehen können, was sich das FA bei der Schätzung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gedacht und welchen Ermessensrahmen es hinsichtlich der Höhe der Schätzung zugrunde gelegt habe. Das FG habe auch Akten des Vorjahres 1996 beigezogen und zu ihrem Nachteil ausgewertet. Das Urteil wäre möglicherweise anders ausgefallen, wenn sie sich unter Hinweis auf abweichende Sachverhalte hätte äußern können. Die Entscheidung des FG sei auch überraschend, weil zu keiner Zeit erkennbar gewesen sei, dass es aus der Sicht des Gerichts auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahres ankommen könne.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Die Beschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung des FG trägt dem Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht hinreichend Rechnung.
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) wird für das finanzgerichtliche Verfahren u.a. dadurch verwirklicht, dass die Beteiligten das Recht haben, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten (insbesondere der beklagten Behörde) einzusehen (§ 78 FGO). Damit wird gewährleistet, dass die Beteiligten zu den in den vorgelegten und beigezogenen Akten enthaltenen Tatsachen Stellung nehmen können, bevor das Gericht sie zur Grundlage seiner Entscheidung macht (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 78 Rz. 1). Falls das Gericht die Akteneinsicht zu Unrecht verweigert, gleichwohl aber die Akten auswertet, liegt ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO vor (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 78 FGO Tz. 22).
2. Im Streitfall hat das FG der Klägerin die Akteneinsicht zunächst nicht etwa verwehrt, sondern den Prozessbevollmächtigten ohne Rechtsverstoß (vgl. , BFH/NV 1995, 1004) darauf verwiesen, sich an das FA zu wenden, das die Steuerakten noch nicht vorgelegt hatte. Das Recht auf Gehör ist jedoch dadurch verletzt worden, dass das FG den am eingegangenen erneuten Antrag, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin Akteneinsicht zu gewähren, nicht inhaltlich beschieden, sondern am selben Tag das klageabweisende Urteil erlassen hat. Da die vom Berichterstatter dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gesetzte Frist zur Stellungnahme auf die Anfrage, ob weiterhin Akteneinsicht begehrt werde, keine ausschließende Wirkung hatte, musste das FG die daraufhin ergangene Äußerung berücksichtigen und konnte sich einer Bescheidung des Antrags nicht mit der Schlussfolgerung entziehen, dass an einer Akteneinsicht kein Interesse mehr bestehe. Auf die übrigen von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler kommt es nicht an.
3. Nach dem Ermessen des Senats ist es im Interesse der Verfahrensvereinfachung und Beschleunigung angebracht, das angefochtene Urteil bereits im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
4. Wegen des Verfahrensfehlers sieht der Senat gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes von der Erhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren ab.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1168 Nr. 9
MAAAA-68553