BGH Beschluss v. - XII ZB 251/17

Wiedereinsetzung nach Versäumung der Frist zur Beschwerdebegründung in einer Familiensache: Glaubhaftmachung unverschuldeter Fristversäumung aufgrund von Mittellosigkeit bei Einreichung eines Entwurfs der Beschwerdebegründungsschrift zur Begründung des Verfahrenshilfegesuchs

Leitsatz

Versäumt ein mittelloser Beteiligter die Frist zur Begründung der Beschwerde, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist. Ist der Beteiligte bei einer unbeschränkten Einlegung der Beschwerde bereits anwaltlich vertreten und reicht sein Rechtsanwalt zur Begründung des Verfahrenskostenhilfegesuchs noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eine vollständige, allerdings als "Entwurf" bezeichnete und nicht unterzeichnete Beschwerdebegründungsschrift ein, kann der mittellose Beteiligte dessen ungeachtet glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit war, die Beschwerde ohne Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ordnungsgemäß und insbesondere fristgerecht zu begründen (im Anschluss an , NJW 2012, 2041 und in Abgrenzung zu , FamRZ 2008, 1520).

Gesetze: § 117 Abs 1 S 3 FamFG, § 233 ZPO, § 113 Abs 1 S 2 FamFG

Instanzenzug: Az: 5 UF 216/16vorgehend AG Bad Säckingen Az: 3 F 14/16

Gründe

I.

1Das Familiengericht hat die Antragsgegnerin zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs in Höhe von 30.753,56 € nebst Zinsen an den Antragsteller verpflichtet. Gegen den ihr am zugestellten Beschluss hat sie am beim Ausgangsgericht fristgerecht Beschwerde eingelegt verbunden mit dem Antrag, die Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Am hat sie - ebenfalls beim Ausgangsgericht - unter Beifügung des nicht unterschriebenen Entwurfs einer (an das Oberlandesgericht adressierten) Beschwerdebegründung Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens beantragt. Diese Schriftsätze sind mitsamt den Gerichtsakten am beim Oberlandesgericht eingegangen.

2Der Senatsvorsitzende am Oberlandesgericht hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht verlängert, sondern durch Verfügung vom mit Abvermerk vom folgenden Hinweis erteilt: "Die Antragsgegnerin-Vertreterin hat beantragt, die Frist zur Begründung der unbedingt eingelegten Beschwerde um einen Monat zu verlängern. Der Entwurf einer Begründung liegt jedoch bereits vor. Die Begründungsfrist kann also rechtzeitig gewahrt werden." Dabei ist der letzte Satz aufgrund eines Schreibversehens der Gerichtskanzlei wie folgt an die Antragsgegnerin übermittelt worden: "Die Begründungsfrist kann als rechtzeitig gewahrt werden." Am ist die auf den datierte, mit dem vorherigen Entwurf im Wesentlichen übereinstimmende Beschwerdebegründung per Telefax beim Oberlandesgericht eingegangen.

3Am hat die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt, mit der sie geltend macht, aus Sicht ihrer Verfahrensbevollmächtigten habe der mit dem Verfahrenskostenhilfeantrag eingereichte Entwurf der Rechtsmittelbegründung noch überarbeitet werden müssen. Den Hinweis des Senatsvorsitzenden habe sie so verstanden, dass die Begründungsfrist als gewahrt betrachtet werde. Sie habe darauf vertraut, dass andernfalls dem Verlängerungsantrag entsprochen worden wäre.

4Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.

II.

51. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sowie § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 51/11 - FamRZ 2011, 881 Rn. 7 und vom - XII ZB 189/07 - FamRZ 2008, 1338 Rn. 8 mwN).

62. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

7a) Zutreffend ist das Oberlandesgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin die Frist zur Begründung der Beschwerde versäumt hat. Diese betrug zwei Monate, beginnend mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses (§ 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG), und lief am ab. Sie ist durch die erst am eingegangene Beschwerdebegründung nicht gewahrt.

8b) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht der Antragsgegnerin jedoch Wiedereinsetzung in die versäumte Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 233 Satz 1 ZPO) versagt ohne zu prüfen, ob die Antragsgegnerin durch Mittellosigkeit an der Einhaltung der Frist gehindert war.

9aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer Frist wahrenden Handlung - wie hier der Beschwerdebegründung - verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags rechnen musste, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch entschieden werden konnte. Deshalb kann ein unbemittelter Beteiligter, für den ein Anwalt zwar formularmäßig Beschwerde eingelegt hat, ohne sie zu begründen, der aber keinen Verfahrensbevollmächtigten hat, der gewillt ist, für ihn weiter tätig zu werden, selbst am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist noch ein Verfahrenskostenhilfegesuch einreichen. Die Beschwerde darf dann nicht mit dem Argument verworfen werden, dass innerhalb der Begründungsfrist noch keine Beschwerdebegründung eingereicht worden sei, sondern es ist grundsätzlich zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 51/11 - FamRZ 2011, 881 Rn. 9 f. mwN).

10bb) Die Mittellosigkeit eines Beteiligten stellt allerdings nur dann einen Entschuldigungsgrund im Sinne von § 233 ZPO dar, wenn sie die Ursache für die Fristversäumung ist. Das ist dann der Fall, wenn sich der Beteiligte infolge der Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung seines Rechtsmittels zu beauftragen. Ist - wie hier - der bedürftige Beteiligte bereits anwaltlich vertreten und legt sein Rechtsanwalt uneingeschränkt Beschwerde ein, muss er glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit war, die wirksam eingelegte Beschwerde im Weiteren ohne Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ordnungsgemäß und insbesondere fristgerecht zu begründen. Das ist keine Rechts-, sondern eine Sachverhaltsfrage, die das Gericht im Wiedereinsetzungsverfahren aufgrund der für die Wahrscheinlichkeitsfeststellung im Sinne von § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO gebotenen Prüfung der Fallumstände beantworten muss. Dabei wird im Regelfall vermutet, ein Beteiligter sei bis zur Entscheidung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch so lange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen, wie er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Verfahrenskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen muss. Erschüttern besondere Fallumstände diese Vermutung, ist die vorgenannte Beweisfrage damit noch nicht unwiderleglich beantwortet, sondern muss das Gericht prüfen, ob eine Kausalität der Mittellosigkeit für das Fristversäumnis anderweitig glaubhaft gemacht ist. Selbst wenn dies misslingt, ist dem Beteiligten unter Umständen noch Gelegenheit zum Beweisantritt zu geben (vgl. - NJW 2012, 2041 Rn. 15 ff. mwN).

11cc) Eine Prüfung dieser Voraussetzungen hat das Oberlandesgericht zu Unrecht unterlassen. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass das Oberlandesgericht die Vermutungsregel berücksichtigt hat, dass ein Beteiligter bis zur Entscheidung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch so lange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen ist, wie er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Verfahrenskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen muss, weil er aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hat, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch entschieden werden kann.

12c) Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann, auch über das Wiedereinsetzungsgesuch, nicht abschließend entscheiden, da über die Ursachen der Fristversäumung noch Feststellungen zu treffen sind.

13d) Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

14Nach § 114 Abs. 1 FamFG benötigen die Ehegatten in den dort genannten Verfahren vor den Familiengerichten und den Oberlandesgerichten einen Rechtsanwalt, um ihre ordnungsgemäße Vertretung zu gewährleisten. Zu seinen Aufgaben zählt nicht allein die Anfertigung von Schriftsätzen, er muss auch die Verantwortung für deren Inhalt durch seine Unterschrift übernehmen und die so dokumentierten Erklärungen dem Gericht gegenüber wirksam abgeben. Im Übrigen hat er daneben die gesamte Verfahrensführung für den Beteiligten zu übernehmen. Von einer Wahrnehmung all dieser Aufgaben kann keine Rede sein, wenn der Rechtsanwalt sich mit Blick auf das Verfahrenskostenhilfegesuch ausdrücklich darauf beschränkt, dem Gericht einen nicht unterzeichneten Schriftsatzentwurf zur Erläuterung des allein ordnungsgemäß gestellten Antrages auf Verfahrenskostenhilfe zur Verfügung zu stellen. Damit zeigt der Rechtsanwalt, dass er bis zur Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch nicht mehr bereit ist, anderweitige Verfahrenshandlungen zur Förderung des Beschwerdeverfahrens vorzunehmen. Es besteht Einigkeit, dass in solchen Fällen eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung nicht vorliegt. Deshalb ist der Umstand, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin eine Beschwerdebegründung entworfen hat, nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit dessen zu erschüttern, sie sei ohne Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht bereit gewesen, die Antragsgegnerin in der Beschwerdeinstanz weitergehend zu vertreten. Das Verhalten der Rechtsanwältin belegt vielmehr objektiv, dass sie ihre Tätigkeit im Beschwerderechtszug allein auf die Einlegung des Rechtsmittels und die Stellung des Verfahrenskostenhilfegesuchs beschränken wollte (vgl. - NJW 2012, 2041 Rn. 20 ff. mwN, in Abgrenzung zu - FamRZ 2008, 1520).

15Auch die Erklärung der Verfahrensbevollmächtigten, der Entwurf der Beschwerdebegründung habe vor der Reinschrift noch überarbeitet oder mit der Beteiligten abgestimmt werden müssen, kann nicht als bedeutungslos angesehen werden. Sie ist vielmehr im Zusammenhang damit zu würdigen, ob die fehlende anwaltliche Bereitschaft, auch diese Tätigkeiten noch zu erledigen, um die Beschwerde ohne Vorschusszahlung zu begründen, glaubhaft gemacht ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:251017BXIIZB251.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 9 Nr. 51
NJW-RR 2018 S. 6 Nr. 1
CAAAG-63505