BFH Beschluss v. - XI B 12/02

Gründe

I. Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger betreibt eine Einzelpraxis als Allgemeinmediziner, in der die Klägerin neben weiteren Angestellten nichtselbständig beschäftigt ist.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) u.a. fest, dass der Kläger auch mit seinen Eltern Arbeitsverträge abgeschlossen hatte. Das FA versagte die Anerkennung der Arbeitsverträge und änderte die Einkommensteuerbescheide 1992 und 1993 u.a. dahingehend, dass es die den Eltern gezahlten Löhne und die hierauf entfallende Lohnsteuer nicht zum Abzug als Betriebsausgaben bei der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers zuließ.

Den Einspruch der Kläger gegen die Änderungsbescheide wies das FA als unbegründet zurück. Zum Einspruchsverfahren hatte es die Mutter des Klägers (M) hinzugezogen. Der Vater des Klägers war zwischenzeitlich verstorben.

Im Klageverfahren beantragte das FA die Beiladung von M gemäß § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977). Zwar sei ihr gegenüber die Festsetzungsverjährung unstreitig während des Klageverfahrens abgelaufen. Dies könne aber nicht zu einer Ablehnung des Beiladungsantrags führen, weil M bereits zum Einspruchsverfahren hinzugezogen worden sei und das FA somit ihr Vertrauen auf einen unveränderten Fortbestand ihrer Steuerfestsetzung zerstört habe.

Das die Beiladung der M zum Rechtsstreit der Kläger abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) komme eine Hinzuziehung oder Beiladung nicht in Betracht, wenn gegenüber dem Dritten im Zeitpunkt der Hinzuziehung oder Beiladung die Festsetzungsfrist für den gegen ihn gerichteten Steueranspruch bereits abgelaufen gewesen sei. Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1992 und 1993 der M sei unstreitig zwar nicht im Zeitpunkt der Hinzuziehung, aber im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beiladung abgelaufen gewesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich das FA mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung es im Wesentlichen vorträgt: Da zum Zeitpunkt der Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren der Steueranspruch gegenüber M noch nicht verjährt gewesen sei, hätten die Rechtsfolgen der §§ 174 Abs. 5 i.V.m. 174 Abs. 4 AO 1977 eintreten können. § 174 AO 1977 sehe eine besondere Regelung über den Ablauf der Festsetzungsfrist vor, die bereits mit der Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren ausgelöst worden sei.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die Beschwerde des FA ist begründet.

Das FG hat zu Unrecht die Beiladung der M zum Klageverfahren der Kläger nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 abgelehnt; es ist verpflichtet, die M zum Verfahren beizuladen.

1. Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 können —wenn auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird— aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden. Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 2 AO 1977). Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977).

2. Gegenüber Dritten gilt § 174 Abs. 4 AO 1977 nur, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Ihre Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 grundsätzlich zulässig. Hat das FA im Klageverfahren die Beiladung eines Dritten beantragt, muss das FG dem Antrag entsprechen, wenn —wie hier— bei einem Erfolg der Klage eine Steuerfestsetzung gegenüber dem Dritten wegen der nunmehr anderen rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts möglicherweise zu ändern ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kommt eine Hinzuziehung oder Beiladung allerdings dann nicht in Betracht, wenn gegenüber dem Dritten im Zeitpunkt der Hinzuziehung oder Beiladung die Festsetzungsfrist für den gegen ihn gerichteten Steueranspruch bereits abgelaufen war (vgl. , BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817; , BFH/NV 2001, 1005, m.w.N.).

Mit dieser Rechtsprechung hat der BFH —über den Gesetzeswortlaut hinaus— für eine Erweiterung der Korrekturbefugnis des FA auf Bescheide von ”Nichtadressaten” gemäß § 174 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AO 1977 zur Voraussetzung gemacht, dass der Dritte zu einem Zeitpunkt an dem fremden Verfahren beteiligt wird, zu dem hinsichtlich der gegen ihn gerichteten Bescheide noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war. Hierfür entscheidend ist —entgegen der Auffassung des FG— der Zeitpunkt der erstmaligen Beteiligung des Dritten an dem Verfahren, das die angefochtenen fremden Bescheide zum Gegenstand hat. Hat das FA einen Dritten zu einem außergerichtlichen fremden Rechtsbehelfsverfahren vor Ablauf der Festsetzungsfrist für dessen Steuer hinzugezogen, so muss das FG den Dritten auf Antrag des FA im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren beiladen, auch wenn die Festsetzungsverjährung zwischenzeitlich eingetreten sein sollte.

Für diese Auffassung sprechen die folgenden Überlegungen: Der Gesetzgeber hat in § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 eine Wertentscheidung zu Gunsten der richtigen Steuerfestsetzung und zu Lasten des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit getroffen. Wer mit Erfolg einen Steuerbescheid angefochten hat, muss in Kauf nehmen, dass das FA die damit verbundenen weiteren steuerlichen Folgerungen alsbald und unabhängig von der allgemeinen Verjährungsfrist zieht. Insoweit fehlt es an einer schützenswerten Vertrauensposition. Ergeben sich aus der erfolgreichen Anfechtung eines Bescheids Folgerungen auf die Steuerfestsetzung gegenüber einem Dritten, so können diese nicht ohne weiteres gezogen werden. Der Dritte verliert seine schützenswerte Vertrauensposition aber von dem Zeitpunkt an, zu dem er an dem vom bisherigen Steuerschuldner betriebenen Verfahren förmlich beteiligt wird und dieses durch eigene Verfahrenserklärungen wirksam beeinflussen kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817).

3. Im Streitfall war zwar im Zeitpunkt der Entscheidung des FG über die Beiladung die Festsetzungsverjährung der auf Grund des laufenden Klageverfahrens ggf. zu korrigierenden Steueransprüche gegen M bereits eingetreten; unstreitig waren aber zum Zeitpunkt der Hinzuziehung der M zum außergerichtlichen Vorverfahren die Festsetzungsfristen für die maßgeblichen Steuerbescheide gegen M noch nicht abgelaufen. Das FG hätte deshalb dem Antrag des FA entsprechen und M zum Klageverfahren der Kläger beiladen müssen.

4. Eine Kostenentscheidung war in diesem Verfahren nicht zu treffen. Gerichtskosten sind nicht entstanden (vgl. Kostenverzeichnis zu § 11 des Gerichtskostengesetzes, Nr. 3402); außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, weil das FA als Beschwerdeführer obsiegt hat und ein Beschwerdegegner fehlt. Weder die Kläger noch M haben beantragt, die Beschwerde des FA gegen den die Beiladung ablehnenden Beschluss des FG zurückzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1422 Nr. 11
QAAAA-67921