Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Einspruchsentscheidung vom , durch die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) im Streit um die Rechtmäßigkeit der in den angefochtenen Bescheiden vorgenommenen Hinzuschätzungen die Einsprüche der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als unbegründet zurückwies, wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
Nachdem die von den Prozessbevollmächtigten verfasste Klageschrift vom in einem Umschlag, der den ”Freistempler"-Aufdruck der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tag trägt, am beim Finanzgericht (FG) eingegangen war, übersandte die Geschäftsstelle des FG am mit einfacher Post Eingangsmitteilungen mit der Datumsangabe ”” an die Beteiligten und außerdem, auf telefonische Anforderung der Prozessbevollmächtigten, an diese am eine Fax-Bestätigung. Zuvor, mit Schriftsatz vom , der am beim FG eingegangen und am , einem Montag, an die Prozessbevollmächtigten zur Stellungnahme übersandt worden war, hatte das FA unter Beifügung einer Ablichtung der Einspruchsentscheidung und der Postzustellungsurkunde auf die Fristversäumnis hingewiesen und Klageabweisung durch Prozessurteil beantragt.
Mit Schriftsatz vom , der am gleichen Tag beim FG eingegangen ist, beantragten die Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, die Fristversäumnis sei nicht auf ihr Verschulden, sondern auf die übermäßig lange Postlaufzeit vom 8. bis zurückzuführen. Der Postausgang sei im Postausgangsbuch mit dem erforderlichen Frankierbetrag vermerkt und durch den anschließenden Vergleich mit der täglichen Anzeige des jeweiligen Porto-Gesamtbetrages bestätigt worden. Schließlich sei auch am die gesamte ausgehende Post von einer Kanzleimitarbeiterin zur Poststelle gebracht und dort vor 17 Uhr abgeliefert worden. Die normale Postlaufzeit von X, dem Sitz der Kanzlei, nach Y, dem Sitz des FG, betrage einen Tag. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wird auf den Schriftsatz vom sowie auf die zugleich mit ihm eingereichten eidesstattlichen Versicherungen des mit der Sache befassten Rechtsanwalts und der für den Postausgang zuständigen Kanzleimitarbeiterinnen und wegen der Einzelheiten im Übrigen auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1194 veröffentlichte Urteil der Vorinstanz Bezug genommen.
Positive Kenntnis von der Säumnis habe, so trägt die Klägerin vor, der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt erst ”am /” erlangt, und zwar ”durch die Zustellung am , die den Schriftsatz des Beklagten vom enthielt”. Ihr Rechtsanwalt habe daraufhin mit dem zuständigen Sachbearbeiter, Herrn S, Rücksprache gehalten und sich ”umgehend an das Finanzgericht am ” gewandt. In der eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts heißt es hierzu:
”Am wurde ich von Herrn S auf den Fall noch einmal aufmerksam gemacht. Er hat sich anläßlich des Schreibens vom an mich gewendet. Ich habe mich dann um eine Klärung der Angelegenheit bemüht. Am wurde mir dann nach einem Telefonat von dem Finanzgericht der verspätete Eingang per Telefax mitgeteilt.”
Nach entsprechender richterlicher Aufforderung vom legten die Prozessbevollmächtigten am beim FG das Original des Postausgangsbuchs vor: mit PC geschriebene, in einem DIN A 4 Ordner zusammengefasste Einzelblätter. Darin findet sich als letzter Eintrag zum vermerkt:
”Finanzgericht des Saarlandes C/FA Klage 3,00”
Nach den hierzu zu Protokoll gegebenen Erläuterungen einer Kanzleimitarbeiterin wird die Ausgangspost täglich erfasst und einmal wöchentlich ausgedruckt; die Datei hiernach jeweils im PC gelöscht.
Die Deutsche Post AG hat auf Anfrage des FG mitgeteilt, ein am vor 17 Uhr in X aufgegebener Brief hätte am bei den Justizbehörden in Y eingehen müssen. Über Unregelmäßigkeiten im Briefverkehr im hier interessierenden Zeitraum sei dort nichts bekannt.
Das FG hat die begehrte Wiedereinsetzung nicht gewährt und die Klage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, die Klägerin habe nicht in hinreichender Weise glaubhaft gemacht, dass die Verspätung auf Unregelmäßigkeiten bei der Postbeförderung zurückzuführen sei. Zum einen könne bei der Verwendung von ”Freistemplern” aus dem aufgedruckten Datum nicht mit hinreichender Sicherheit auf das Datum der Absendung geschlossen werden. Zum anderen sei auch das Postausgangsbuch hier zu der erforderlichen Glaubhaftmachung ungeeignet, weil es im konkreten Fall keine hinreichende Sicherheit vor nachträglichen Korrekturen gegeben habe. Unzureichend seien insoweit auch die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Veröffentlichung in EFG 1999, 1194 verwiesen.
Mit der Revision wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr Vorbringen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags. Sie ist der Meinung, dieses sei vom FG nicht richtig gewürdigt worden. Außerdem habe das FG, soweit es das Klagevorbringen für unzureichend gehalten habe, rechtzeitig auf diesen Umstand hinweisen und weitere eidesstattliche Versicherungen anfordern müssen, vor allem von Herrn S, der hierzu zum Zeitpunkt der Antragsbegründung krankheitshalber nicht in der Lage gewesen sei. Überhaupt hätte das FG den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären müssen.
In der zur Revisionsbegründung nachgereichten eidesstattlichen Versicherung des Kanzleiangestellten S vom heißt es zur Wiedereinsetzung, er sei hierzu ”im Vorfeld nur kurz befragt” worden, eine genauere Absprache sei indessen nicht möglich gewesen, weil er sich vom 10. bis stationär im Krankenhaus aufgehalten habe und dann noch bis zum krank geschrieben gewesen sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist unter Berufung auf das angefochtene Urteil weiterhin der Meinung, Wiedereinsetzung sei zu Recht nicht gewährt worden, zumal die Klägerin auch die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht eingehalten habe.
II. Die Revision ist unbegründet. Die Klage ist, was auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, verspätet erhoben worden (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im Ergebnis zu Recht hat das FG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt.
1. Nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren; der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu begründen. Das erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb dieser Zweiwochenfrist (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—; s. z.B. die Entscheidungen vom X R 82/92, BFH/NV 1993, 611; vom X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221; vom VI B 62/99, BFH/NV 2001, 928, 929; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 56 Rz. 48 ff., jeweils m.w.N.). Nach Ablauf dieser Frist können wesentliche Lücken in der Darstellung nicht mehr geschlossen, Widersprüche nicht mehr beseitigt, nachträglich vielmehr allenfalls Erläuterungen gegeben werden (s. Senatsbeschlüsse in BFH/NV 1993, 611, und vom X R 95/93, BFH/NV 1997, 40, m.w.N.). Dieser Begründungspflicht sind die Prozessbevollmächtigten hier in mehrfacher Hinsicht nicht nachgekommen; dies muss sich die Klägerin gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zurechnen lassen (BFH-Beschlüsse vom VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; vom I B 136/99, BFH/NV 2000, 1108; Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 6).
2. Die unter Anwendung dieser Grundsätze getroffene Entscheidung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Bei ihren Einwänden hiergegen übersieht die Klägerin, dass sich zum einen Sachaufklärungspflicht und Beweiswürdigung des FG infolge der besonderen Begründungspflicht notwendigerweise auf das bis zum Ablauf der Zweiwochenfrist vorgetragene Tatsachenmaterial beschränken und dass zum anderen die Entscheidungsfindung nicht wie im Regelfall nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO Überzeugung, sondern nur Glaubhaftmachung verlangt (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 ZPO). Letzteres setzt voraus, dass auf Grund präsenter Beweismittel eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Geschehensablauf spricht (s. z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 23/94, BFH/NV 1995, 625; vom VI B 223/99, BFH/NV 2000, 1491; Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 55, § 96 Rz. 20). Weitere Konsequenz einer solchen verfahrensrechtlichen Konstellation ist, dass verbleibende Zweifel zu Lasten desjenigen gehen, der Wiedereinsetzung begehrt (Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 69), dieser also z.B. mit einem Antrag nach § 56 FGO schon dann erfolglos bleibt, wenn ein Verschulden nicht auszuschließen ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 40, 41, unter 6.; Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 69, jeweils m.w.N.). Dem entspricht es, dass bei fachkundiger Vertretung hinsichtlich der Möglichkeit des § 56 FGO keine richterliche Hinweispflicht besteht (, BFH/NV 2000, 1358).
b) In Übereinstimmung hiermit ist das FG bei seiner rechtlichen Würdigung der Wiedereinsetzungsbegründung zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe nicht in hinreichender Weise glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Klagefrist unverschuldet war. Wenn in der Urteilsbegründung wiederholt auf unzureichende Sicherheitsgewähr verschiedener in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten auch im Streitfall praktizierter Organisationsmaßnahmen abgestellt wird, so ist darin —entgegen der Revisionsbegründung— nicht etwa die (konkrete) Unterstellung von ”Manipulationen” zu sehen, sondern das für die Auslegung derartiger Prozessvorschriften im Interesse der Gleichbehandlung aller Prozessbeteiligten unerlässliche Bemühen, die abstrakten Anforderungen an bestimmte Arbeitsabläufe so vollständig und präzise zu fassen, dass Fehlerquellen und Unsicherheitsfaktoren nach Möglichkeit ausgeschlossen sind.
aa) Das gilt vor allem hinsichtlich der Beurteilung des ”Freistempler"-Aufdrucks: Das FG hat ihm im Anschluss an den (BFH/NV 1986, 30) zu Recht einen geringeren Beweiswert beigemessen als dem Poststempel; es hat ihn ausdrücklich nicht —wie die Klägerin meint— für völlig unbeachtlich gehalten, sondern nur die in solchen Fällen erforderliche weitere Darlegung und Glaubhaftmachung vermisst.
bb) Auch die Ausführungen der Vorinstanz zur Aussagefähigkeit des in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten verwendeten Postausgangsbuchs begegnen keinen Bedenken: Die besonderen Vorkehrungen, die organisatorisch zu treffen sind, damit auch bei Einsatz von EDV —in gleicher Weise wie im manuellen Verfahren— sichergestellt ist, dass sich im konkreten Einzelfall die einzelnen Schritte der Fristenüberwachung verlässlich darstellen und nachvollziehen lassen, sind weder aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags noch aus den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen zu ersehen. Vor allem fehlt jegliche Darlegung zur Führung eines Fristenkalenders oder einer vergleichbaren Einrichtung im Allgemeinen und im Streitfall, insbesondere zu der erforderlichen Abstimmung mit dem Postausgangsbuch (näher dazu: BFH-Entscheidungen vom X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266; vom X R 87/97, BFH/NV 1999, 621; Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 25 und 28; speziell zur Darlegungspflicht in diesem Zusammenhang: BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 40). Diese Mängel ließen sich nachträglich nicht heilen. Daher gab es auch insoweit für das FG keine Veranlassung zur weiteren Sachaufklärung.
3. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, inwieweit nicht weitere, den Wegfall des Hindernisses und damit den Fristbeginn i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO betreffende Lücken im klägerischen Vorbringen geeignet sind, das angefochtene Urteil im Ergebnis zu bestätigen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 358 Nr. 3
YAAAA-67901