BAG Urteil v. - 6 AZR 701/16

Stufenzuordnung im Rahmen des TV-N-Thüringen

Gesetze: § 1 TVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG

Instanzenzug: ArbG Gera Az: 7 Ca 305/14 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 1 Sa 472/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die tarifliche Stufenzuordnung des Klägers.

2Dieser ist bei der Beklagten seit dem als sog. „Kombi-Fahrer“ im Bus- und Straßenbahnbetrieb beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Thüringen (TV-N-Thüringen) Anwendung. Dieser enthielt in der bis zum geltenden Fassung ua. folgende Regelungen:

3Am trat der TV-N-Thüringen in der Fassung vom (nF) in Kraft. Er lautet auszugsweise wie folgt:

4Die bisher in § 6 Abs. 3 TV-N-Thüringen enthaltene Regelung für neu eingestellte Beschäftigte wurde gestrichen.

5Bis zum war der Kläger Stufe 3 der Entgeltgruppe 5 TV-N-Thüringen zugeordnet. Ab dem wurde der Kläger nach Stufe 2 der Entgeltgruppe 5 TV-N-Thüringen nF vergütet.

6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe ab dem Anspruch auf Entgelt nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 5 TV-N-Thüringen nF. Die Neuregelung der Stufenzuordnung nach § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF sei ohne Einschränkung zum in Kraft getreten. Für die zu diesem Zeitpunkt bereits Beschäftigten gelte daher ebenso wie für künftige Beschäftigte die Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit von 12 auf 9 ½ Jahre, welche aus der Reduzierung der Laufzeit in der Eingangsstufe (bisher Stufe 1, nunmehr Probezeitstufe) folge. Eine Beibehaltung der bisherigen Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren für die „Altbeschäftigten“ lasse sich dem Tarifvertrag mangels eines entsprechenden Überleitungsrechts nicht entnehmen. Vielmehr gelte der TV-N-Thüringen in der Fassung vom ausnahmslos für alle Beschäftigten. Gegenteiliges lasse sich auch der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF nicht entnehmen. Diese sei erst nach der Tarifeinigung am in einer redaktionellen Sitzung am aufgenommen worden und habe keine inhaltliche Änderung des Tarifvertrags bewirkt. Zudem gehe die Protokollerklärung davon aus, dass die Neuregelung für alle bereits Beschäftigten gelten soll. Sie führe als Beispiel die bereits in der Stufe 1 Beschäftigten an. Jedenfalls lasse sich der Protokollerklärung nicht entnehmen, dass die bislang der Stufe 2 oder 3 zugeordneten Beschäftigten nicht der Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit unterfallen sollen. Die tarifschließende Gewerkschaft hätte auch nicht akzeptiert, dass nur künftig Beschäftigte in den Genuss einer 9 ½-jährigen Gesamtstufenlaufzeit kommen, denn dies hätte bedeutet, dass neu eingestellte Beschäftigte dienstältere Kollegen beim Stufenaufstieg hätten „überholen“ können. Eine solche Spaltung der Belegschaft wäre nicht zu rechtfertigen.

7Entscheidend sei daher nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF bei unveränderter Eingruppierung allein die Betriebszugehörigkeit. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TV-N-Thüringen nF sei Betriebszugehörigkeit die bei demselben Arbeitgeber ununterbrochen in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit. Bei einem Beginn des Arbeitsverhältnisses am sei eine Betriebszugehörigkeit von 9 ½ Jahren folglich am erreicht worden.

8Der Kläger hat daher beantragt

9Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit dem Fehlen einer Anspruchsgrundlage begründet. Die Verkürzung der Stufenlaufzeit betreffe nur die Eingangsstufe. Damit sollte ebenso wie durch die Streichung des bisherigen § 6 Abs. 3 TV-N-Thüringen die Gewinnung neuer Beschäftigter erleichtert werden. Die übrigen Stufenlaufzeiten von vier bzw. fünf Jahren seien unverändert geblieben. Die ehemaligen Stufen 2, 3 und 4 seien lediglich umbenannt worden. Die bislang diesen Stufen zugeordneten Beschäftigten seien ab dem bei unveränderter Stufenlaufzeit den neuen Stufen 1, 2 oder 3 zugeteilt. Es bleibe für diese Beschäftigten damit bei einer entgeltgruppenbezogenen Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren. Dies gelte auch im Fall des Klägers, der angesichts des Beginns seines Arbeitsverhältnisses am im alten Zuordnungssystem nach drei Jahren, dh. zum die Stufe 2 und nach weiteren vier Jahren zum die Stufe 3 erreicht hatte. Zum sei er durch die tarifliche Neuregelung der Stufe 2 zugeordnet worden. Bei einer Stufenlaufzeit von fünf Jahren habe er die neue Stufe 3 am erreicht.

10Die Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF betreffe nur Beschäftigte, die sich am in der bisherigen Stufe 1 befunden hätten. Bei diesen sei zu unterscheiden. Bei einer Stufenzugehörigkeit von weniger als sechs Monaten seien sie nach § 6 Abs. 2 Satz 1 TV-N-Thüringen nF der neuen Probezeitstufe unterfallen. Die anderen Beschäftigten der bisherigen Stufe 1 seien nach der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF unabhängig von ihrer bisherigen Verweildauer der neuen Stufe 1 (bisherige Stufe 2) zugeordnet worden. Die Protokollerklärung führe klarstellend als Beispiel eine Zeit von zwei Jahren in der bisherigen Stufe 1 an. Die Betroffenen hätten daher die Stufenlaufzeit, die sie in der alten Stufe 1 für einen Aufstieg in die frühere Stufe 2 noch zu absolvieren gehabt hätten, nicht mehr zurücklegen müssen, um in die neue Stufe 1 (bisherige Stufe 2) zu gelangen. Allerdings habe die Stufenlaufzeit in der neuen Stufe 1 zum neu begonnen. Die bisherige Stufenlaufzeit sei nicht „mitgenommen“ worden.

11Die vom Kläger angenommene Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre für alle Beschäftigten sei nicht das Ergebnis der Tarifverhandlungen gewesen. Eine rückwirkende Neuzuordnung aller Beschäftigten sei nicht vereinbart worden. Das Tarifverständnis des Klägers hätte zudem für Beschäftigte der höheren Stufen zum Teil Gehaltssteigerungen zur Folge, denen die Arbeitgeberseite aus wirtschaftlichen Gründen niemals hätte zustimmen können.

12Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Gründe

13Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, den Kläger bereits seit dem nach Entgeltgruppe 5 Stufe 3 TV-N-Thüringen nF zu vergüten. Der Kläger kann eine solche Vergütung erst seit dem beanspruchen.

14I. Die Klage ist nach der gebotenen Auslegung des gestellten Antrags als Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig.

151. Der Klageantrag zielt mit der Formulierung „zu beanspruchen hat“ auf die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit dem nach Entgeltgruppe 5 Stufe 3 TV-N-Thüringen nF zu vergüten (vgl.  - Rn. 13).

162. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Zeitraums bedarf der Antrag der Auslegung, da er keine zeitliche Begrenzung vorsieht, obwohl die Beklagte ausgehend von ihrem Tarifverständnis nicht in Abrede gestellt hat, dass der Kläger jedenfalls seit dem nach Entgeltgruppe 5 Stufe 3 TV-N-Thüringen nF zu vergüten ist. Die Parteien streiten daher nur über die Stufenzuordnung in der Zeit vom bis zum . Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Der Antrag ist folglich dahingehend zu verstehen, dass die streitgegenständliche Feststellung sich auf die Zeit vom bis zum beziehen soll.

173. Mit diesem Antragsinhalt liegt das nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse vor. Durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag wird der Streit über die Stufenzuordnung des Klägers insgesamt beseitigt (vgl.  - Rn. 15). Der verlangte Gegenwartsbezug wird dadurch hergestellt, dass der Kläger gegenwärtige rechtliche Vorteile in Form eines höheren Entgelts aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum erstrebt (vgl.  - Rn. 20; - 6 AZR 352/14 - Rn. 22).

18II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann keine Reduzierung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre in Anspruch nehmen. Dies ergibt die Auslegung der Stufenzuordnungsregelungen in § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF in Verbindung mit der hierzu verfassten Protokollerklärung.

191. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen ( - Rn. 14; kritisch bezüglich der Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte  - Rn. 28). Bei der Auslegung eines ablösenden Tarifvertrags kann neben dem ablösenden Tarifvertrag selbst auch der abgelöste Tarifvertrag mit herangezogen werden. Dies folgt schon aus dem insoweit unmittelbar ersichtlichen tariflichen Regelungszusammenhang ( - Rn. 17).

202. Ausgehend von diesen Grundsätzen ergeben sich bei der hier vorzunehmenden Auslegung der Stufenzuordnungsregelungen des § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF in Verbindung mit der hierzu ergangenen Protokollerklärung keine Zweifel, welche eine Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags erforderlich machen würden. Der zwischen den Parteien umstrittene Ablauf der Tarifverhandlungen kann schon deshalb dahingestellt bleiben.

21a) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der TV-N-Thüringen in seiner jeweils geltenden Fassung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet. Gemäß § 25 Abs. 1 TV-N-Thüringen nF trat die Neufassung vom ausnahmslos am in Kraft. Bezüglich der Mitglieder der tarifvertragsschließenden Parteien stellt § 1 Abs. 1 TV-N-Thüringen nF klar, dass der Tarifvertrag grundsätzlich für alle Beschäftigten in den Nahverkehrsbetrieben in Thüringen gilt. Da der TV-N-Thüringen nF für die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens am bereits Beschäftigten keine besonderen Regelungen vorsieht, erfolgt auch deren Stufenzuordnung ab dem nach den Vorgaben der Neufassung des TV-N-Thüringen.

22b) Die Neuregelung der Stufenzuordnung in § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF hat für die am bereits Beschäftigten, die bisher den Stufen 2 bis 4 zugeordnet waren, keine Veränderung der Stufenlaufzeit, sondern nur eine Umbenennung der jeweiligen Stufen bewirkt. Folglich hat der Kläger erst seit dem einen Anspruch auf Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 5 TV-N-Thüringen nF.

23aa) Die Stufenzuordnung der am bereits Beschäftigten ergibt sich aus § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF in Verbindung mit der hierzu ergangenen Protokollerklärung. Bei der Protokollerklärung handelt es sich um eine normative Regelung und nicht nur um eine Auslegungshilfe (vgl. hierzu  - Rn. 29, BAGE 150, 36; - 4 AZR 689/10 - Rn. 27). Ihr Zustandekommen im Rahmen einer redaktionellen Sitzung steht dem nicht entgegen. Sie ist Teil des unterzeichneten Tariftextes geworden (vgl.  - Rn. 14, BAGE 128, 317).

24bb) Die Protokollerklärung beinhaltet nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine Zuordnungsregelung bezüglich der sich am in der bisherigen Stufe 1 befindlichen Beschäftigten. Diese ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

25(1) Die Protokollerklärung betrifft nach ihrem Wortlaut nur Beschäftigte, die bisher der Stufe 1 zugeordnet waren und nicht auch Beschäftigte der bisherigen Stufen 2, 3 oder 4. Das in der Protokollerklärung genannte Beispiel bezieht sich auf die Dauer der Zugehörigkeit zur bisherigen Stufe 1 und nicht auf die Stufe als solche, denn der Einschub „z.B.“ müsste dann vor dem Passus „in der bisherigen Stufe 1“ stehen. Die Protokollerklärung führt als Beispiel aber Beschäftigte an, die am „z.B. bereits zwei Jahre in der bisherigen Stufe 1“ erreicht hatten. Dem entspricht, dass die Protokollerklärung als Rechtsfolge ohne weitere Differenzierung oder Beispielsbezeichnung die Zuordnung zur neuen Stufe 1 vorgibt.

26(2) Beschäftigte, die bisher der Stufe 1 zugeordnet waren, sind demnach mit Inkrafttreten der Neuregelung der neuen Stufe 1 zugeordnet, wenn sie nicht wegen einer erst bis zu sechs Monate dauernden Entgeltgruppenzugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen nF der Probezeitstufe unterfallen. Da die Protokollerklärung keine Anrechnung der in der bisherigen Stufe 1 zurückgelegten Stufenlaufzeit vorsieht, beginnt die Stufenlaufzeit in der neuen Stufe 1 ab dem .

27(3) Die betroffenen Beschäftigten müssen folglich ab dem eine Stufenlaufzeit von vier Jahren absolvieren, um nach § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen nF die neue Stufe 2 zu erreichen. Dies führt zu einer unterschiedlichen Behandlung dieser am in der früheren Stufe 1 Beschäftigten im Verhältnis zu neu eingestellten Beschäftigten und zu anderen in der bisherigen Stufe 1 bereits Beschäftigten. Ob die Neuregelung sich im Verhältnis zu anderen Beschäftigten als vorteilhaft erweist oder nicht, hängt von der Vergleichsperson ab.

28(a) Im Falle eines Beschäftigten, der entsprechend dem in der Protokollerklärung angeführten Beispiel im abgelösten Stufenzuordnungssystem in der bisherigen Stufe 1 bereits zwei Jahre zurückgelegt hatte, bedeutet die Nichtanrechnung der bisher zurückgelegten Stufenlaufzeit eine Schlechterstellung gegenüber einem neu eingestellten Beschäftigten, der bereits nach sechs Monaten in der Probezeitstufe in die neue Stufe 1 aufsteigt und für den anschließend ebenfalls die vierjährige Laufzeit bis zur neuen Stufe 2 beginnt. Ein neu eingestellter Beschäftigter erhält damit nach sechs Monaten in der Probezeitstufe dieselbe Vergütung wie der als Beispiel benannte Beschäftigte derselben Entgeltgruppe.

29(b) Auch im Vergleich zu anderen am bereits Beschäftigten kann eine Benachteiligung eines am in derselben Entgeltgruppe bereits zwei Jahre Beschäftigten bestehen. So hat ein Beschäftigter, der am eine Entgeltgruppenzugehörigkeit von zB erst sieben Monaten aufzuweisen hat, nur die Nichtanrechnung dieser Beschäftigungszeit im Umfang von einem Monat hinzunehmen.

30(c) Andererseits ist ein bereits zwei Jahre Beschäftigter im Vorteil gegenüber einem zB bereits seit 2 ½ Jahren Beschäftigten derselben Entgeltgruppe, da er diesen mit der beiderseitigen Zuordnung zur neuen Stufe 1 am gleichsam „einholt“.

31(4) Diese Ausgestaltung der Überleitung der bisher der Stufe 1 zugeordneten Beschäftigten liegt innerhalb des den Tarifvertragsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums.

32(a) Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzen ( - Rn. 25; - 9 AZR 611/14 - Rn. 27). Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Den Tarifvertragsparteien steht hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen ( - Rn. 22 mwN). Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt ( - Rn. 28).

33(b) Die Tarifvertragsparteien haben mit der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF die Überleitung der Beschäftigten aus der bisherigen Stufe 1, die von der Verkürzung der Stufenlaufzeit betroffen ist, pauschal geregelt und die geschilderten Ungleichbehandlungen dabei bewusst angestrebt bzw. in Kauf genommen. Dies ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

34(aa) Die Besserstellung der neu eingestellten oder erst bis zu sechs Monate Beschäftigten ist durch das Ziel der Gewinnung neuer Beschäftigter gerechtfertigt. Die Verkürzung der Laufzeit der Eingangsstufe (bisher Stufe 1, jetzt Probezeitstufe) von drei Jahren auf sechs Monate belegt diese Zielsetzung der Tarifvertragsparteien ebenso wie die Streichung des bis zum geltenden § 6 Abs. 3 TV-N-Thüringen, wonach neu eingestellte Beschäftigte, mit Ausnahme der Beschäftigten in der Entgeltgruppe 1, in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung eine Entgeltgruppe niedriger eingruppiert waren. Durch diese beiden Änderungen sollte nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die Attraktivität des Dienstes in den erfassten Nahverkehrsbetrieben erhöht werden. Für die Tarifauslegung ist ohne Bedeutung, welche Entgeltdifferenzen zur Privatwirtschaft tatsächlich bestanden oder bestehen und ob die Einschätzung der Konkurrenzsituation durch die Tarifvertragsparteien zutreffend war.

35(bb) Die mit der Nichtanrechnung der bisherigen Stufenlaufzeit in der früheren Stufe 1 verbundene Ungleichbehandlung der zum bereits Beschäftigten untereinander ist im Zuge einer pauschalen Überleitung zulässig. Die generelle Zuordnung zur neuen Stufe 1 hatte im Vergleich zum früheren System für alle betroffenen Beschäftigten den Vorteil, dass die in der alten Stufe 1 für einen Aufstieg in die frühere Stufe 2 erforderliche dreijährige Stufenlaufzeit nicht mehr vollständig zurückgelegt werden musste. Die vierjährige Laufzeit der nächsthöheren Stufe begann damit früher. Der Umstand, dass dieser Vorteil je nach absolvierter Stufenlaufzeit unterschiedlich ins Gewicht fällt, macht die Regelung nicht verfassungswidrig. Die Tarifvertragsparteien durften diese Konsequenz der Pauschalisierung als zumutbar einstufen, denn keinesfalls wurde für die „Altbeschäftigten“ die Stufenlaufzeit verlängert und damit eine Verschlechterung herbeigeführt.

36cc) Mit diesem Verständnis der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF war für die Beschäftigten, die am bereits die bisherigen Stufen 2 oder 3, aber noch nicht die Endstufe 4, erreicht hatten, kein eigenes Überleitungsrecht erforderlich. Die Beibehaltung der bisherigen Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren ergibt sich für diese Beschäftigtengruppe aus der Gesamtsystematik der Neuregelung.

37(1) Die Tarifvertragsparteien haben sich wie dargelegt dafür entschieden, das neue Stufenzuordnungssystem ab dem für alle Beschäftigten zur Anwendung zu bringen, wobei die am Stichtag der bisherigen Stufe 1 zugeordneten Beschäftigten nach der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF ohne Mitnahme ihrer Stufenlaufzeit in das neue Tarifsystem integriert werden sollten. Eine Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre erfolgte für die mehr als sechs Monate in der bisherigen Stufe 1 Beschäftigten nicht. Dies spricht dafür, dass auch die bislang den Stufen 2 und 3 zugeordneten Beschäftigten eine solche Verkürzung nicht erhalten sollten. Anderenfalls hätten die von der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF erfassten Beschäftigten durch die Änderung des § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen einen gravierenden Nachteil, weil für sie die Einführung einer Gesamtstufenlaufzeit von 9 ½ Jahren nicht gilt, wohingegen die Beschäftigten der höheren Stufen von einer Reduzierung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre profitieren würden. Eine solche Ungleichbehandlung der „Altbeschäftigten“ kann weder § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen nF noch der einschlägigen Protokollerklärung entnommen werden. Sie entspricht auch nicht der mit der Änderung des § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen verfolgten Zielsetzung. Die Tarifvertragsparteien wollten die Nachwuchsgewinnung erleichtern und nicht die Bedingungen für die länger Beschäftigten verbessern. Dies zeigt sich auch in der Beibehaltung der Stufenlaufzeiten von vier bzw. fünf Jahren in den höheren Stufen.

38(2) Die am den bisherigen Stufen 2 oder 3 zugeordneten Beschäftigten wurden folglich unter Beibehaltung einer Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren in das neue System übergeleitet. Letztlich bewirkt die Neuregelung für diese Beschäftigten nur, dass sich die Benennung ihrer Stufe ändert (zB Stufe 2 statt Stufe 3). Im Übrigen verbleibt es gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen nF nicht nur bei der Maßgeblichkeit der Entgeltgruppenzugehörigkeit („innerhalb seiner Entgeltgruppe“), sondern auch bei der zwingenden Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit iSd. § 5 TV-N-Thüringen nF. Die Frage, welche Bedeutung der Regelung der Betriebszugehörigkeit im Zusammenhang mit einem Überleitungsrecht zukommt (vgl. zum TV-N- - Rn. 20), stellt sich nicht. Im Ergebnis werden die bisher den Stufen 2 und 3 zugeordneten Beschäftigten durch die Änderung des § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen nicht schlechtergestellt als bisher.

39dd) Demnach hat der Kläger erst seit dem einen Anspruch auf Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 5 TV-N-Thüringen nF. Sein Arbeitsverhältnis begann am . Seitdem ist er unstreitig in die Entgeltgruppe 5 TV-N-Thüringen eingruppiert. Im abgelösten Zuordnungssystem des § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen hatte er nach drei Jahren, dh. zum , die Stufe 2 und nach weiteren vier Jahren zum die Stufe 3 der Entgeltgruppe 5 TV-N-Thüringen erreicht. Zum wurde er unter Berücksichtigung seiner Betriebszugehörigkeit der neuen Stufe 2 zugeordnet (Umbenennung der Stufe). Bei einer Stufenlaufzeit von fünf Jahren in dieser Stufe hat er folglich nach § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N-Thüringen nF die neue Stufe 3 am erreicht. Auf eine Verkürzung der Stufenlaufzeit nach § 6 Abs. 2 Satz 4 TV-N-Thüringen nF hat er sich nicht berufen.

403. Auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an. Sie bezieht sich zudem auf ausdrücklich nicht entscheidungserhebliche Ausführungen des Landesarbeitsgerichts.

41III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosenRevision zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:270717.U.6AZR701.16.0

Fundstelle(n):
BB 2017 S. 2484 Nr. 42
ZAAAG-58922