BFH Urteil v. - II R 21/16 BStBl 2017 II S. 1163

Beginn der Festsetzungsfrist bei Schenkung mehrerer Gegenstände

Leitsatz

Wendet ein Schenker dem Bedachten mehrere Vermögensgegenstände gleichzeitig zu, erlangt das FA aber lediglich Kenntnis von der freigebigen Zuwendung eines dieser Gegenstände, führt dies nicht zum Anlauf der Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer für die übrigen zugewendeten Vermögensgegenstände.

Gesetze: AO § 88 Abs. 1; AO § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhielt —neben seinen beiden Schwestern— mit notariell beurkundetem Schenkungsvertrag vom (Übertragungsvertrag) von seiner Mutter (M) Eigentumsanteile von jeweils 1/3 am Grundbesitz (Grundbesitz B) sowie an zwei Eigentumswohnungen (übriger Grundbesitz) gegen Einräumung eines lebenslangen Nießbrauchs.

2 In der durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) geführten Schenkungsteuerakte befindet sich eine durch die seinerzeit für die Grunderwerbsteuer zuständige Finanzbehörde übersandte Veräußerungsanzeige des Notars in Bezug auf den Grundbesitz B vom sowie eine Anlage zur Veräußerungsanzeige vom , in welcher der Übertragungsvertrag erwähnt wird. In der Veräußerungsanzeige war angegeben, dass der Grundbesitz B aufgrund Schenkung an Verwandte in gerader Linie gemäß anliegender Liste übertragen worden sei, der Tag der Übergabe der gewesen sei und der von den Parteien zu Grunde gelegte Wert des Grundbesitzes 575.000 € sowie der Wert des Nießbrauchs 38.000 € betragen hätten. In der Anlage zur Veräußerungsanzeige waren der Kläger und seine beiden Schwestern als Erwerber namentlich mit der jeweiligen Wohnadresse bezeichnet sowie die Höhe des Erwerbs mit jeweils 1/3 angegeben.

3 M verstarb im Dezember 2009. Im Oktober 2011 reichte der Kläger eine Erbschaftsteuererklärung ein und erklärte den gesamten im Jahr 2002 durch Schenkung erworbenen Grundbesitz unter Angabe der drei Erwerber als Vorerwerb. 

4 Mit Schenkungsteuerbescheid vom setzte das FA für die Zuwendungen vom gegenüber dem Kläger Schenkungsteuer fest. Mit Änderungsbescheid vom wurde der Grundbesitz B nicht mehr für die Schenkungsteuer berücksichtigt und die Steuer entsprechend auf 61.388 € herabgesetzt. Der Einspruch gegen die Besteuerung des übrigen Grundbesitzes blieb erfolglos.

5 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die Schenkungsteuer für den Erwerb aufgrund des Übertragungsvertrags sei —mit Ausnahme der auf den Erwerb des Grundbesitzes B entfallenden Steuer— noch nicht festsetzungsverjährt gewesen. Aufgrund der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) habe die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2009, in dem M verstorben sei, begonnen. Im Jahr 2002 habe das FA durch die Veräußerungsanzeige lediglich Kenntnis von dem Erwerb des Grundbesitzes B, nicht hingegen von dem Erwerb des übrigen Grundbesitzes erlangt.

6 Mit seiner Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO geltend.

7 Er beantragt, die Vorentscheidung und die Schenkungsteuerbescheide vom und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

9 II. Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zutreffend erkannt, dass der mit dem Erlass der angefochtenen Schenkungsteuerbescheide geltend gemachte Steueranspruch für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes noch nicht wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen war und deshalb zu Recht festgesetzt wurde.

10 1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO).

11 2. Nach der für die Schenkungsteuer getroffenen Sonderregelung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 oder 2 AO bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Maßgeblich ist dabei die Alternative, die als erste eingetreten ist. § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO enthält einen auf die Schenkungsteuer beschränkten selbständigen Hemmungstatbestand, der den Beginn der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 1 und 2 AO) auf den Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung festlegt (, BFHE 257, 345, BStBl II 2017, 751, Rz 18). Durch diese Vorschrift wird bei einer nach § 30 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) bestehenden Anzeigepflicht die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthaltene Drei-Jahres-Grenze, bis zu der der Anlauf der Festsetzungsfrist längstens gehemmt ist, außer Kraft gesetzt und bei einer lediglich für Gerichte und Notare bestehenden Anzeigepflicht nach § 34 ErbStG der Anlauf der sonst nach § 170 Abs. 1 AO beginnenden Festsetzungsfrist gehemmt (, BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954, unter II.3.a).

12 a) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO verlangt nach seinem Wortlaut positive Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung. Positive Kenntnis in diesem Sinn ist gegeben, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nicht durch Anzeige gemäß § 30 ErbStG, sondern anderweitig in dem erforderlichen Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten, Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat. Die Kenntnis von Umständen, die nur zur Prüfung Anlass geben, ob ein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang vorliegt, genügt nicht. Hinsichtlich einer mittelbaren Schenkung hat der BFH entschieden, dass die Finanzbehörde erst dann Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt, wenn sie alle Umstände kennt, die die mittelbare Schenkung begründen. § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO dient der Sicherung des Steueranspruchs und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Finanzbehörde von Schenkungen regelmäßig erst spät —meist anlässlich des Todes des Schenkers— Kenntnis erlangt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 257, 345, BStBl II 2017, 751, Rz 18 f., 22).

13 b) Wendet ein Schenker dem Bedachten mehrere Vermögensgegenstände gleichzeitig zu, erlangt das Finanzamt aber lediglich Kenntnis von der freigebigen Zuwendung eines dieser Gegenstände, führt dies nicht zum Anlauf der Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer für die übrigen zugewendeten Vermögensgegenstände. Die nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO für den Anlauf der Festsetzungsfrist erforderliche Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung bezieht sich in einem solchen Fall nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auf die Schenkung eines jeden einzelnen dieser Vermögensgegenstände. Da die Vorschrift die Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung voraussetzt, beginnt die Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer für die übrigen zugewendeten Vermögensgegenstände nicht deshalb zu laufen, weil das Finanzamt die Möglichkeit gehabt hätte, durch weitere Ermittlungen Kenntnis von der gesamten freigebigen Zuwendung zu erlangen. Ob das Finanzamt durch das Unterlassen solcher Ermittlungen gegen seine gemäß § 88 Abs. 1 AO bestehende Verpflichtung verstoßen hat, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidungserheblich.

14 c) Nachdem im Streitfall nur die Zuwendung des nicht in der Veräußerungsanzeige ausgewiesenen übrigen Grundbesitzes der Schenkungsteuer unterworfen wurde, kann auf sich beruhen, ob die Festsetzungsfrist für die Steuer für den dem Finanzamt zunächst bekannt gewordenen Erwerb eines Vermögegengegenstands gesondert zu laufen beginnt oder ob die Festsetzungsfrist für die Steuer für den gesamten Erwerb erst anläuft, wenn er dem Finanzamt insgesamt bekannt geworden oder der Schenker verstorben ist.

15 3. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend entschieden, dass die Schenkungsteuer gegenüber dem Kläger für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes mit Bescheid vom noch festgesetzt werden konnte. Der Steueranspruch war noch nicht wegen Verjährung erloschen. Die vierjährige Festsetzungsfrist begann diesbezüglich mit Ablauf des Jahres 2009 und endete mit Ablauf des Jahres 2013.

16 a) Die Festsetzungsfrist für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes begann nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem M verstorben war, nämlich mit Ablauf des Jahres 2009.

17 Ein früherer Beginn nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO lag nicht vor. Das FA erlangte erst mit Einreichung der Erbschaftsteuererklärung im Oktober 2011 Kenntnis von der vollzogenen Schenkung des übrigen Grundbesitzes. Durch die Veräußerungsanzeige, welche die Schenkungsteuerstelle des FA im Jahr 2002 erreichte, erlangte das FA keine positive Kenntnis von der vollzogenen Schenkung hinsichtlich des übrigen Grundbesitzes. Die Veräußerungsanzeige enthielt keine Angaben zu der Schenkung des übrigen Grundbesitzes; sie zählte als Übertragungsgegenstand nur den Grundbesitz B auf. Auch der angegebene Wert des übertragenen Gegenstands (575.000 €) und der Wert des eingeräumten Nießbrauchs (38.000 €) bezogen sich nur auf den Grundbesitz B. Ob das FA durch weitere Ermittlungen von Amts wegen —z.B. Anforderung des Schenkungsteuervertrags— positive Kenntnis von der vollzogenen Schenkung des übrigen Grundbesitzes hätte erlangen können, ist nicht entscheidungserheblich.

18 b) Ob das FA den Grundbesitz B zu Recht nicht in die Bemessungsgrundlage der Schenkungsteuer einbezogen hat, kann auf sich beruhen.

19 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2017:U.260717.IIR21.16.0

Fundstelle(n):
BStBl 2017 II Seite 1163
BB 2017 S. 2392 Nr. 41
BFH/NV 2017 S. 1640 Nr. 12
BFH/PR 2017 S. 416 Nr. 12
BStBl II 2017 S. 1163 Nr. 24
DB 2017 S. 2589 Nr. 44
DB 2017 S. 6 Nr. 40
DStR 2017 S. 2171 Nr. 40
DStRE 2017 S. 1341 Nr. 21
DStZ 2017 S. 828 Nr. 22
EStB 2017 S. 433 Nr. 11
ErbBstg 2017 S. 267 Nr. 11
ErbStB 2017 S. 329 Nr. 11
FR 2018 S. 42 Nr. 1
HFR 2017 S. 988 Nr. 11
KSR direkt 2017 S. 8 Nr. 11
KÖSDI 2017 S. 20516 Nr. 11
NJW 2017 S. 10 Nr. 45
NWB-EV 2017 S. 369 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 41/2017 S. 3118
StB 2017 S. 325 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2017 S. 877
UVR 2017 S. 361 Nr. 12
Ubg 2017 S. 610 Nr. 10
JAAAG-58602