BFH Beschluss v. - VII B 328/00

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Abrechnungsbescheiden gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) betreffend Einkommensteuer der Jahre 1979 bis 1984 nebst entstandener Säumniszuschläge und Hinterziehungszinsen.

Mit ihrer nach erfolglosem Klageverfahren erhobenen Klage begehrten die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Änderung der Abrechnungsbescheide. Zur Begründung führten sie u.a. aus, dass die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre nichtig seien und bezüglich sämtlicher Forderungen Zahlungsverjährung eingetreten sei. Des Weiteren seien die für ihre Kinder abgeführten Lohnsteuern anzurechnen, nachdem deren Arbeitsverhältnisse einkommensteuerrechtlich nicht anerkannt worden seien und die entsprechenden Lohnsteueranmeldungen insoweit ihre Wirkung verloren hätten.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte im Wesentlichen aus: Die abgeführte Lohnsteuer der Kinder sei zu Recht nicht angerechnet worden. Den Klägern stehe diesbezüglich kein Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 zu, da die Zahlungen ihren rechtlichen Grund in den wegen inzwischen eingetretener Festsetzungsverjährung nicht mehr abänderbaren Lohnsteueranmeldungen hätten. Mit Einwendungen wegen der Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide könnten die Kläger im Verfahren gegen den Abrechnungsbescheid nicht gehört werden. Im Übrigen hätten das FG Nürnberg und der Bundesfinanzhof (BFH) über die Wirksamkeit dieser Bescheide bereits rechtskräftig entschieden. Weder die Einkommensteuern, noch die Säumniszuschläge sowie Hinterziehungszinsen und Zinsen zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) seien zahlungsverjährt, da die Verjährung durch eine schriftliche Zahlungsaufforderung i.S. des § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 unterbrochen worden sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde der Kläger, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO— in der bis zum geltenden Fassung —FGO a.F.—, vgl. Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom , BGBl I 2000, 1757) und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F.) sowie das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F.) geltend gemacht wird.

II. Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig, soweit die Kläger den Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO a.F. nicht entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. dargestellt haben. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

1. Der von den Klägern gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil das FG das sowie den (BFH/NV 1998, 466) nicht beachtet und deshalb fehlerhaft die Festsetzungsverjährung hinsichtlich der Lohnsteueranmeldungen bejaht habe, liegt nicht vor. Zum einen ist der Entscheidung des FG eindeutig zu entnehmen (vgl. insoweit Punkt 1. und 2. der Urteilsbegründung), dass das FG die Urteile zur Kenntnis genommen hat. Zum anderen liegt ein Verfahrensfehler nur vor, wenn das FG unter Zugrundelegung seines materiell-rechtlichen Standpunktes gegen Verfahrensrecht verstoßen hat (, BFH/NV 1995, 883). Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist daher stets von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen (, BFH/NV 1995, 861). So kann dem FG nicht vorgeworfen werden, es habe den Sachverhalt bezüglich bestimmter Tatsachen nicht vollständig aufgeklärt und damit seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), wenn es nach der Rechtsauffassung des FG darauf gar nicht ankam.

Dass die Kläger die Anrechnung der für die Kinder abgeführten Lohnsteuern auf die Einkommensteuerzahlungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt beantragt haben, steht der Rechtsansicht des FG, die Lohnsteueranmeldungen seien Rechtsgrund i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 und zudem festsetzungsverjährt, nicht entgegen. Im Übrigen liegen die von den Klägern in diesem Zusammenhang behaupteten Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht vor. Denn die von dem unter Tatsachenwürdigung getroffene Feststellung, dass die Arbeitslöhne den Kindern mit Wissen des Klägers nicht ausgezahlt worden sind, der Kläger daher nicht Arbeitgeber der Kinder war und die daraus gezogene rechtliche Konsequenz der Nichtanerkennung der Lohnzahlungen als Betriebsausgaben stellen kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 dar. Denn die Tatsachen der Nichtzahlung der Löhne und der fehlenden Arbeitgebereigenschaft sind nicht nachträglich eingetreten, sondern nur nachträglich bekannt geworden. Der steuerliche Sachverhalt ist damit nicht verändert, sondern nur nach Kenntnis aller Tatsachen anders beurteilt worden.

2. Soweit die Kläger die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam halten, ob im Abrechnungsbescheid die auf Grund rechtsgrundloser Lohnsteueranmeldungen entrichtete Lohnsteuer der Arbeitnehmer auf die Einkommensteuerschuld des Arbeitgebers anzurechnen ist, weil solche Lohnsteueranmeldungen nichtig sind und daher die Lohnsteueranmeldungen nicht von der Festsetzungsverjährung betroffen sind, fehlt es schon an der Klärungsfähigkeit im vorliegenden Verfahren. Denn das FG hat die Wirksamkeit der Lohnsteueranmeldungen mit Recht bejaht und eine Änderungsmöglichkeit verneint. Das Vorbringen der Kläger richtet sich im Ergebnis damit ausschließlich gegen die rechtliche Würdigung des FG. Darauf kann eine Grundsatzrüge aber nicht gestützt werden.

3. Der von den Klägern gerügte Verstoß gegen den klaren Akteninhalt gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil das FG Nichtigkeitsgründe, die gegen die Einkommensteuerbescheide geltend gemacht worden seien, übergangen habe, liegt ebenfalls nicht vor. Das FG hat als eine die Entscheidung selbständig tragende Begründung nämlich —zutreffend— darauf abgestellt, dass über die Frage der Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide bereits rechtskräftig entschieden worden ist. Die von den Klägern im Einzelnen zur Begründung des Verstoßes gegen den Akteninhalt vorgetragenen Nichtigkeitsgründe könnten mithin ausgehend von der zutreffenden materiell-rechtlichen Betrachtung des FG zu keiner anderen Entscheidung führen.

4. Die von den Klägern gerügte Abweichung der Entscheidung des FG von dem (BFHE 147, 219, BStBl II 1986, 858) liegt nicht vor. Denn dem FG-Urteil ist der von den Klägern diesbezüglich behauptete entgegenstehende Rechtssatz nicht zu entnehmen. Im Übrigen scheidet das Vorliegen einer Divergenz schon deshalb aus, weil der dem FG-Urteil zugrunde liegende Sachverhalt nicht dem Sachverhalt in dem Beschluss des BFH entspricht bzw. nicht damit vergleichbar ist. Es fehlt mithin bereits an der Identität der aufgeworfenen Rechtsfragen. So ging es in dem BFH-Beschluss um die Frage des Prüfungsumfanges einer Nichtzulassungsbeschwerde. Demgegenüber äußert sich das FG-Urteil zu der Frage der Rechtskraftwirkung von Urteilen.

5. Ebenso wenig liegt die von den Klägern behauptete Abweichung der Entscheidung des FG von dem (BFHE 157, 32, BStBl II 1990, 35) vor. Auch insoweit fehlt es an der Identität der aufgeworfenen Rechtsfragen. Gegenstand des BFH-Urteils war die Wirksamkeit (inhaltliche Bestimmtheit) eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Die von den Klägern aufgeführten Rechtssätze in dem FG-Urteil betreffen jedoch die inhaltliche Bestimmtheit einer die Zahlungsverjährung unterbrechenden Zahlungsaufforderung gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977.

6. Die Ausführungen zu 5. gelten gleichermaßen für die von den Klägern behauptete Divergenz der FG-Entscheidung zu dem (BFHE 128, 251, BStBl II 1979, 714). Ging es in dem BFH-Urteil um die Bezeichnung von Forderungen im Abrechnungsbescheid, geht es in der FG-Entscheidung um die Anforderungen an die Bestimmtheit der die Verjährung unterbrechenden Zahlungsaufforderung gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977.

7. Der von den Klägern gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten, da das FG fehlerhaft davon ausgegangen sei, dass Säumniszuschläge für die Einkommensteuern der Jahre 1974 bis 1978 nicht angefallen seien, ist nicht schlüssig dargelegt worden. Eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt nur vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt geblieben ist (, BFH/NV 2000, 1355). Für die Behauptung, dass für die Streitjahre 1974 bis 1978 Säumniszuschläge angefallen sind und von dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) erhoben worden sind, fehlt es an einer hinreichend konkreten Bezeichnung der Fundstelle in den Akten oder den Schriftsätzen, aus der sich diese Tatsache ergeben soll. Aus dem im Übrigen verspäteten Vorbringen der Kläger zu der Entstehung von Säumniszuschlägen für die Jahre 1974 bis 1978 im Schriftsatz vom ergibt sich vielmehr, dass sich die Kläger gegen die Rechtsauffassung des FG wenden, dass wegen der Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1974 bis 1978 Säumniszuschläge gar nicht angefallen sind.

Fundstelle(n):
BAAAA-67430