BGH Beschluss v. - 2 StR 518/14

Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld

Gesetze: § 253 Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: VGS 1/16 Beschlussvorgehend Az: 2 StR 137/14 Vorlagebeschlussvorgehend Az: 1 ARs 31/14vorgehend Az: 5 ARs 94/14vorgehend Az: 4 ARs 29/14vorgehend Az: GSZ 1/14vorgehend Az: VGS 1/16 Beschlussvorgehend Az: 3 ARs 29/14vorgehend Az: 2 StR 137/14 Beschlussvorgehend Az: 2 StR 518/14 Beschlussvorgehend Az: 115 KLs 2/14

Gründe

1Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom wegen besonders schweren Raubes und anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten sowie zugleich zur Zahlung von Schmerzensgeldern in Höhe von 10.000 Euro an den Adhäsionskläger E.  und in Höhe von 1.500 Euro an den Neben- und Adhäsionskläger T.   verurteilt. Mit Beschluss vom hat der Senat die Revision des Angeklagten verworfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtete. Zugleich hat er die Entscheidung über die Revision gegen die im vorbezeichneten Urteil getroffene Adhäsionsentscheidung sowie über die Kosten des Rechtsmittels im Hinblick auf das mit Beschluss vom - 2 StR 137/14 u.a. (NStZ-RR 2015, 382) bei den anderen Strafsenaten und beim Großen Senat für Zivilsachen eingeleitete Anfrageverfahren zur Frage der Bemessung eines Schmerzensgeldes zurückgestellt und sie einer abschließenden Entscheidung vorbehalten. Nach der Entscheidung der Vereinigten Großen Senate des (JR 2017, 179), bei dem der Senat mit Beschluss vom - 2 StR 137/14 u.a. die Frage vorgelegt hatte, ob bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten berücksichtigt werden dürfen und wenn ja, nach welchen Maßstäben, war nunmehr die gegen die Adhäsionsentscheidungen gerichtete Revision des Angeklagten zu verwerfen.

I.

2Die Vereinigten Großen Senate haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (§ 847 BGB aF) alle Umstände des Falles berücksichtigt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein ausgeschlossen werden können (Vereinigte Große Senate, VGS 1/16).

3Das Schmerzensgeld hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion, st. Rspr.; grundlegend BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom - GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154 ff.; BGH, VI. Zivilsenat, Urteile vom - VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 4 f.; vom - VI ZR 93/94, BGHZ 128, 117, 120 f.).

4Dabei steht der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung. Für bestimmte Gruppen von immateriellen Schäden hat aber auch die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der Entschädigung für immaterielle Schäden nicht wegzudenken ist, eine besondere Bedeutung.

5Sie bringt insbesondere bei vorsätzlichen Taten eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die nach der Natur der Sache bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom - GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157; VI. Zivilsenat, Urteil vom - VI ZR 109/95, VersR 1996, 382).

6Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld stehen deshalb die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie etwa der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers (Vereinigte Große Senate, VGS 1/16 - juris, Rn. 55). Ein mit zu berücksichtigender Umstand kann dabei die Verletzung einer "armen" Partei durch einen vermögenden Schädiger etwa bei einem außergewöhnlichen "wirtschaftlichen Gefälle" sein (Vereinigte Große Senate, VGS 1/16 - juris, Rn. 57). Indem der (Tat-)Richter im ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt, dann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (Vereinigte Große Senate, VGS 1/16 - juris, Rn. 56, 70).

7Zur Überprüfung seiner Entscheidung durch das Revisionsgericht ist der Tatrichter regelmäßig gehalten, die für die Schmerzensgeldbemessung prägenden einzelnen Umstände, im Regelfall vor allem die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung, in seiner Entscheidung zu benennen, im Rahmen einer sich daran anschließenden Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwägen und daraus ein den einzelnen Fall gerecht werdendes Schmerzensgeld festzusetzen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und Geschädigtem und Ausführungen zu deren Einfluss auf die Bemessung der billigen Entschädigung sind dabei nur geboten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben und deshalb bei der Entscheidung ausnahmsweise berücksichtigt werden mussten (Vereinigte Große Senate, VGS 1/16 - juris, Rn. 72).

8Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes:

9Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagten und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein "besonderes Gepräge" geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.

10Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt hat.

II.

11An diesen Maßstäben gemessen begegnen die Adhäsionsentscheidungen des angefochtenen Urteils zwar rechtlichen Bedenken; sie enthalten aber keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler.

12Bei der Schmerzensgeldbemessung hat das Landgericht sich nicht nur an dem Ausmaß des begangenen Tatunrechts und den Folgen für die Opfer orientiert, sondern auch die "desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse" des Angeklagten anspruchsmindernd berücksichtigt (UA S. 129 f.). Dies ist zwar bedenklich, da ein wirtschaftliches Gefälle zwischen Angeklagtem und Tatopfern nicht festgestellt ist. Der Angeklagte ist dadurch aber nicht beschwert.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:110517B2STR518.14.0

Fundstelle(n):
NAAAG-53894