EuGH Urteil v. - C-68/15

Instanzenzug: Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof, Belgien) ,

Gründe

Zu den Vorlagefragen

31Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen wissen möchte, ob eine Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in einer Situation anwendbar ist, in der der Betrag der von einer Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne - unabhängig davon, ob es sich um eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, oder um eine gebietsfremde Gesellschaft handelt, die in diesem Mitgliedstaat über eine Betriebsstätte eine Tätigkeit ausübt - infolge der Inanspruchnahme bestimmter, im nationalen Steuerrecht dieses Mitgliedstaats vorgesehener Steuervergünstigungen höher ist als das endgültige steuerpflichtige Ergebnis dieser Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

32Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass der Zweck dieser Steuerregelung darin besteht, Einkünfte zu besteuern, die in die Steuerhoheit des betroffenen Mitgliedstaats fallen und aufgrund der Inanspruchnahme dieser Steuervergünstigungen ausgeschüttet wurden, ohne in diesem Mitgliedstaat der Körperschaftsteuer - was gebietsansässige Gesellschaften betrifft - oder der Steuer der Gebietsfremden - was gebietsfremde Gesellschaften betrifft - zu unterliegen.

33Aus diesen Akten geht außerdem hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerregelung in einer von der Körperschaftsteuer und der Steuer der Gebietsfremden getrennten Steuer besteht, deren Steuersatz auf 5,15 % festgelegt ist. Die Grundlage für diese Steuer bildet die Plusdifferenz zwischen einerseits den für den Besteuerungszeitraum ausgeschütteten Bruttodividenden und andererseits dem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis, das tatsächlich dem normalen Körperschaftsteuersatz unterliegt. Die so festgelegte Besteuerungsgrundlage wird um den Teil der ausgeschütteten Dividenden verringert, die aus den zu einem früheren Zeitpunkt und spätestens im Steuerjahr 2014 besteuerten Rücklagen stammen. Der sich daraus ergebende Saldo wird durch einen Koeffizienten begrenzt, der aus einem Bruch besteht, der das Verhältnis zwischen dem für den Besteuerungszeitraum vorgenommenen Abzug für Risikokapital und/oder dem für den Besteuerungszeitraum vorgenommenen Abzug des Verlustvortrags (Zähler) und dem steuerlichen Ergebnis des Besteuerungszeitraums (Nenner) ausdrückt.

34Für die Berechnung der Besteuerungsgrundlage bei gebietsfremden Gesellschaften sieht die Steuerregelung die Berechnung einer "fiktiven Dividende" vor. In diesem Fall bestehen die "ausgeschütteten Dividenden" in dem Teil der von der gebietsfremden Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden, der dem Anteil der belgischen Betriebsstätte am Gesamtergebnis dieser Gesellschaft entspricht.

Zur ersten Frage

35Für die Prüfung der Frage in der gestellten Form ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Sitz einer Gesellschaft dazu dient, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen (vgl. u. a. Urteile vom , Kommission/Frankreich, 270/83, EU:C:1986:37, Rn. 18, und vom , AMID, C-141/99, EU:C:2000:696, Rn. 20).

36Daraus folgt, dass die Anwendung einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf eine gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft auf der einen und auf eine gebietsansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft auf der anderen Seite zum einen die steuerliche Behandlung einer gebietsansässigen Gesellschaft und zum anderen die einer gebietsfremden Gesellschaft betrifft.

37Im vorliegenden Fall steht aber fest, dass die in Rede stehende belgische Steuerregelung gebietsansässige Gesellschaften, einschließlich gebietsansässiger Tochtergesellschaften gebietsfremder Gesellschaften, und gebietsfremde Gesellschaften gleich behandelt, da alle diese Gesellschaften der Fairness Tax unterliegen, wenn sie Dividenden unter den in den Rn. 31 und 32 des vorliegenden Urteils angeführten Umständen ausschütten.

38Vor diesem Hintergrund ist die vorgelegte Frage so zu verstehen, dass damit geklärt werden soll, ob die Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen ist, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden - nach der sowohl eine gebietsfremde Gesellschaft, die in diesem Mitgliedstaat eine Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, als auch eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, einer Steuer wie der Fairness Tax unterliegen, wenn sie Dividenden ausschütten, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht in ihrem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis enthalten sind - entgegensteht.

39Die Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Angehörigen der Europäischen Union zuerkennt, umfasst für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörige festgelegten. Mit ihr ist nach Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil vom , Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40Was die Behandlung im Aufnahmestaat betrifft, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass, da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf (Beschluss vom , KBC Bank und Beleggen, Risicokapitaal, Beheer, C-439/07 und C-499/07, EU:C:2009:339, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41In Bezug auf steuerliche Vorschriften geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass es Sache jedes Mitgliedstaats ist, sein System der Gewinnbesteuerung unter Wahrung des Unionsrechts auszugestalten, sofern diese Gewinne der Steuerhoheit des betreffenden Mitgliedstaats unterliegen. Demzufolge ist der Aufnahmemitgliedstaat frei darin, den Steuertatbestand, die Steuerbemessungsgrundlage und den Steuersatz, die für die verschiedenen Niederlassungsformen von in diesem Mitgliedstaat tätigen Gesellschaften gelten, festzulegen, vorausgesetzt, er gewährt gebietsfremden Gesellschaften eine Behandlung, die gegenüber vergleichbaren inländischen Niederlassungen nicht diskriminierend ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, EU:C:2006:774, Rn. 47, und vom , Burda, C-284/06, EU:C:2008:365, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42Eine Diskriminierung kann nur dadurch entstehen, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird (Urteile vom , Schumacker, C-279/93, EU:C:1995:31, Rn. 30, und vom , Kommission/Ungarn, C-253/09, EU:C:2011:795, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43Im vorliegenden Fall steht fest, dass eine gebietsfremde Gesellschaft, die in Belgien eine wirtschaftliche Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, und eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich der Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, steuerlich grundsätzlich gleich behandelt werden, da sie der Fairness Tax unterliegen, wenn sie Dividenden ausschütten, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht im endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis enthalten sind.

44Soweit aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, dass eine gebietsfremde Gesellschaft, die in Belgien eine wirtschaftliche Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, im Unterschied zu einer gebietsansässigen Gesellschaft, die auf der Grundlage ihres Welteinkommens der Körperschaftsteuer unterliegt, in diesem Mitgliedstaat dieser Steuer nur auf der Grundlage der Gewinne unterliegt, die die Betriebstätte erzielt, könnte jedoch etwas anderes gelten und die in Rede stehende Regelung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen, wenn die Art und Weise der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Fairness Tax tatsächlich zur Folge hätte, dass die gebietsfremde Gesellschaft weniger günstig behandelt würde als eine gebietsansässige Gesellschaft.

45Nach Ansicht der belgischen Regierung berücksichtigt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerregelung dadurch, dass sie die Berechnung einer fiktiven Dividende zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Fairness Tax bei einer gebietsfremden Gesellschaft vorsieht, diese Unterschiede bei der Art und Weise der Berechnung der Besteuerungsgrundlage und bezwecke somit, etwaige Diskriminierungen zu vermeiden.

46X und die Europäische Kommission vertreten hingegen die Auffassung, dass diese Art und Weise der Berechnung zu einer höheren Besteuerung der gebietsfremden Gesellschaft führen könne. Insoweit macht zum einen X geltend, dass diese Art und Weise der Berechnung in bestimmten Situationen zur Folge haben könne, dass bei einer solchen gebietsfremden Gesellschaft andere Gewinne besteuert würden als die durch die belgische Betriebstätte erzielten. Zum anderen weist die Kommission darauf hin, dass eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, der Fairness Tax nur dann unterliege, wenn sie tatsächlich Dividenden ausschütte, während eine gebietsfremde Gesellschaft, die in dem betreffenden Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübe, dieser Steuer unterliege, sobald sie Dividenden ausschütte, selbst wenn die Gewinne dieser Betriebstätte nicht Teil der von dieser gebietsfremden Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden seien.

47Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, unter Berücksichtigung aller Elemente der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerregelung zu prüfen, ob die Art und Weise der Berechnung der Bemessungsgrundlage in allen Situationen dazu führt, dass die steuerliche Behandlung einer gebietsfremden Gesellschaft, die ihre Tätigkeit in Belgien über eine Betriebstätte ausübt, nicht weniger günstig ist als die, der eine gebietsansässige Gesellschaft unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Miljoen u. a., C-10/14, C-14/14 und C-17/14, EU:C:2015:608, Rn. 48).

48Im Rahmen dieser Prüfung wird das vorlegende Gericht den Umstand zu berücksichtigen haben, dass mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung der belgischen Steuerhoheit unterliegende Gewinne besteuert werden sollen, die zwar ausgeschüttet wurden, aber über die dieser Mitgliedstaat seine Steuerhoheit aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht ausgeübt hat. In einer Situation, in der die Art und Weise der Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage einer gebietsfremden Gesellschaft zur Folge hätte, dass diese Gesellschaft auch mit den Gewinnen besteuert würde, die nicht in die Steuerhoheit dieses Mitgliedstaats fallen, erführe die gebietsfremde Gesellschaft eine weniger günstige Behandlung als die gebietsansässige Gesellschaft.

49Ergibt diese Prüfung, dass eine solche Behandlung vorliegt, wäre somit davon auszugehen, dass eine Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.

50Eine solche Beschränkung ist nur statthaft, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Urteil vom , Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51Die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt ist unter Berücksichtigung des mit der betreffenden nationalen Steuerregelung verfolgten Ziels zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Kommission/Finnland, C-342/10, EU:C:2012:688, Rn. 36, und vom , Pensioenfonds Metaal en Techniek, C-252/14, EU:C:2016:402, Rn. 48).

52Hinsichtlich einer Steuerregelung des Aufnahmemitgliedstaats, mit der verhindert werden soll, dass die in diesem Mitgliedstaat erzielten Gewinne aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen ausgeschüttet werden, ohne beim Steuerpflichtigen besteuert worden zu sein, ist aber die Situation eines gebietsfremden Steuerpflichtigen, der in diesem Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, der eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen vergleichbar. In beiden Fällen soll diese Steuerregelung diesem Mitgliedstaat nämlich ermöglichen, seine Befugnis zur Besteuerung der seiner Steuerhoheit unterliegenden Gewinne auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Kerckhaert und Morres, C-513/04, EU:C:2006:713, Rn. 19, und vom , Kommission/Spanien, C-127/12, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2130, Rn. 77 und 78).

53Somit ist hinsichtlich der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung die Situation einer gebietsfremden Gesellschaft, die in Belgien eine wirtschaftliche Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, derjenigen einer gebietsansässigen Gesellschaft, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, vergleichbar.

54Eine Rechtfertigung der Beschränkung kann sich deshalb nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses ergeben. In diesem Fall muss die Beschränkung aber außerdem geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom , Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55Die belgische Regierung hat geltend gemacht, dass eine etwaige Beschränkung dieser Freiheit durch zwei Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei, nämlich das Ziel, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, und das Ziel, Missbrauch zu bekämpfen.

56Insoweit genügt die Feststellung, dass diese beiden Ziele zwar zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehören, die eine Beschränkung der vom Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten rechtfertigen können (vgl. Urteil vom , SIAT, C-318/10, EU:C:2012:415, Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), die in Rede stehende Regelung aber nicht geeignet ist, ihre Verwirklichung zu gewährleisten, so dass diese Ziele in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine etwaige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen können.

57Erstens geht die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerregelung, da mit ihr der belgischen Steuerhoheit unterliegende Gewinne besteuert werden sollen, die ausgeschüttet werden, ohne von diesem Mitgliedstaat besteuert worden zu sein, in keiner Weise dahin, die Steuerhoheit zwischen dem Königreich Belgien und einem anderen Mitgliedstaat aufzuteilen.

58Zweitens zielt diese Regelung, da ihr Zweck darin besteht, die durch die Anwendung im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen erzeugte Wirkung zu begrenzen, als solche nicht darauf ab, eine missbräuchliche Praxis zu verhindern.

59Überdies kann eine etwaige Beschränkung auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass diese Regelung in bestimmten Situationen dazu führen könnte, dass eine gebietsfremde Gesellschaft, die in Belgien eine wirtschaftliche Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, eine günstigere Besteuerung erfährt als eine gebietsansässige Gesellschaft.

60Der Umstand, dass eine nationale Steuerregelung gebietsfremde Gesellschaften benachteiligt, kann nämlich nicht dadurch ausgeglichen werden, dass diese Regelung in anderen Situationen zu einer für diese Art von Gesellschaften günstigen Behandlung führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Pensioenfonds Metaal en Techniek, C-252/14, EU:C:2016:402, Rn. 38 und 39).

61Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen ist, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden - nach der sowohl eine gebietsfremde Gesellschaft, die in diesem Mitgliedstaat eine Tätigkeit über eine Betriebstätte ausübt, als auch eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, einer Steuer wie der Fairness Tax unterliegen, wenn sie Dividenden ausschütten, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht in ihrem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis enthalten sind - nicht entgegensteht, vorausgesetzt, die Art und Weise der Ermittlung der Bemessungsgrundlage dieser Steuer hat nicht tatsächlich zur Folge, dass die gebietsfremde Gesellschaft weniger günstig behandelt wird als eine gebietsansässige Gesellschaft, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Zur zweiten Frage

62Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden - die eine Steuer wie die Fairness Tax vorsieht, der sowohl die gebietsfremden Gesellschaften, die in diesem Mitgliedstaat eine Tätigkeit über eine Betriebsstätte ausüben, als auch die gebietsansässigen Gesellschaften, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, unterliegen, wenn sie Dividenden ausschütten, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht in ihrem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis enthalten sind - entgegensteht.

63Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen drei Kriterien kumulativ erfüllt sein, damit eine Steuer als Quellensteuer im Sinne von Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie eingestuft werden kann. So muss erstens die Steuer in dem Staat erhoben werden, in dem die Dividenden ausgeschüttet werden, und der sie auslösende Tatbestand in der Zahlung von Dividenden oder anderen Erträgen von Wertpapieren bestehen, zweitens die Bemessungsgrundlage dieser Steuer im Ertrag dieser Wertpapiere bestehen und drittens der Steuerpflichtige Inhaber dieser Wertpapiere sein (vgl. entsprechend Urteil vom , P. Ferrero e C. und General Beverage Europe, C-338/08 und C-339/08, EU:C:2010:364, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64Mit den Parteien des Ausgangsverfahrens ist festzustellen, dass eine Steuer wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Fairness Tax die ersten beiden Voraussetzungen erfüllt. Denn zum einen besteht der diese Steuer auslösende Tatbestand in der Ausschüttung von Dividenden und zum anderen wird bei der Berechnung ihrer Bemessungsgrundlage der ausgeschüttete Betrag berücksichtigt.

65Jedoch fehlt es insoweit, als Steuerpflichtiger einer Steuer wie der Fairness Tax nicht der Inhaber der Wertpapiere ist, sondern die ausschüttende Gesellschaft, an der dritten Voraussetzung.

66Diese Beurteilung wird nicht durch das Vorbringen von X und der Kommission in Frage gestellt, wonach im vorliegenden Fall einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise der Vorzug zu geben sei. Insoweit genügt der Hinweis, dass der Gerichtshof eine solche Betrachtungsweise bereits im Urteil vom , Burda (C-284/06, EU:C:2008:365, Rn. 58 bis 62), zurückgewiesen hat.

67Da die dritte Voraussetzung für das Vorliegen eines Steuerabzugs an der Quelle im Sinne von Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie nicht erfüllt ist, kann eine Steuer wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende keine Quellensteuer im Sinne dieser Vorschrift sein.

68Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden - die eine Steuer wie die Fairness Tax vorsieht, der sowohl die gebietsfremden Gesellschaften, die in diesem Mitgliedstaat eine Tätigkeit über eine Betriebsstätte ausüben, als auch die gebietsansässigen Gesellschaften, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, unterliegen, wenn sie Dividenden ausschütten, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht in ihrem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis enthalten sind - nicht entgegensteht.

Zur dritten Frage

69Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Mutter-Tochter-Richtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, soweit diese Regelung in einer Situation, in der die Gewinne, die einer Muttergesellschaft von ihrer Tochtergesellschaft zufließen, von dieser Muttergesellschaft nach Ablauf des Jahres, in dem ihr diese Gewinne zugeflossen sind, ausgeschüttet werden, zur Folge hat, dass diese Gewinne einer Besteuerung unterworfen werden, die den in dieser Vorschrift vorgesehenen Höchstbetrag von 5 % übersteigt.

70Aus dem dritten Erwägungsgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie geht hervor, dass diese Richtlinie darauf abzielt, die Doppelbesteuerung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne auf Ebene der Muttergesellschaft zu beseitigen.

71Art. 4 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten hierzu die Wahl zwischen zwei Systemen, und zwar dem Befreiungssystem und dem Anrechnungssystem (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, EU:C:2006:774, Rn. 44). Den Erwägungsgründen 7 und 9 dieser Richtlinie entsprechend stellt diese Vorschrift nämlich klar, dass dann, wenn einer Muttergesellschaft oder ihrer Betriebstätte aufgrund der Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft Gewinne zufließen, die nicht anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft und der Mitgliedstaat der Betriebstätte diese Gewinne nicht besteuern oder im Fall einer Besteuerung zulassen, dass die Muttergesellschaft und die Betriebstätte auf die geschuldete Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft und jegliche Enkelgesellschaft für diesen Gewinn entrichten, bis zur Höhe der entsprechenden Steuerschuld anrechnen können.

72Jedoch bestimmt Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten bestimmen können, dass Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft und Minderwerte, die sich aufgrund der Ausschüttung ihrer Gewinne ergeben, nicht vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgesetzt werden können. Außerdem geht aus dieser Vorschrift hervor, dass wenn in diesem Fall die mit der Beteiligung zusammenhängenden Verwaltungskosten pauschal festgesetzt werden, der Pauschalbetrag 5 % der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht übersteigen darf.

73Art. 4 der Richtlinie soll somit verhindern, dass die von einer gebietsfremden Tochtergesellschaft an eine gebietsansässige Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne zunächst bei der Tochtergesellschaft in deren Sitzstaat und dann bei der Muttergesellschaft in deren Sitzstaat besteuert werden.

74Im vorliegenden Fall ist zum einen darauf hinzuweisen, dass aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass sich das Königreich Belgien bei der Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie für das Befreiungssystem entschieden hat. Außerdem hat dieser Mitgliedstaat von der in Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die von gebietsfremden Tochtergesellschaften belgischer Muttergesellschaften stammenden Gewinne sind somit in Höhe von 95 % steuerbefreit.

75Zum anderen steht fest, dass die Fairness Tax in dem Fall, dass die von einer gebietsfremden Tochtergesellschaft an eine gebietsansässige Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne von dieser Muttergesellschaft nach Ablauf des Jahres, in dem ihr diese Gewinne zugeflossen sind, ausgeschüttet werden, zur Folge hat, dass diese Gewinne einer Besteuerung unterworfen werden, die den in diesem Art. 4 Abs. 3 vorgesehenen Höchstbetrag von 5 % übersteigt, und somit zu einer Doppelbesteuerung dieser Gewinne führt.

76Somit stellt sich die Frage, ob eine solche Doppelbesteuerung gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie verstößt.

77Nach Ansicht der belgischen und der französischen Regierung fallen die von einer Muttergesellschaft an ihre Anteilseigner weiterausgeschütteten Gewinne nicht in den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Mutter-Tochter-Richtlinie, da diese Vorschrift nur anwendbar sei, wenn einer Muttergesellschaft Gewinne zuflössen, die von ihrer Tochtergesellschaft ausgeschüttet würden.

78Einer solchen Auslegung, die sich weder aus dem Wortlaut dieser Vorschrift noch aus deren Kontext oder Zweck ergibt, kann nicht gefolgt werden.

79Erstens untersagt diese Vorschrift den Mitgliedstaaten nämlich, indem sie vorsieht, dass der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft und der Mitgliedstaat der Betriebstätte "diese Gewinne nicht besteuern", die Muttergesellschaft oder deren Betriebstätte wegen der von der Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne zu besteuern, ohne dass danach unterschieden würde, ob der die Besteuerung der Muttergesellschaft auslösende Tatbestand im Zufluss dieser Gewinne oder in deren Weiterausschüttung besteht.

80Zweitens zielt die Mutter-Tochter-Richtlinie, wie in den Rn. 70 und 71 des vorliegenden Urteils ausgeführt, darauf ab, die Doppelbesteuerung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne auf Ebene der Muttergesellschaft zu beseitigen. Eine Besteuerung dieser Gewinne durch den Mitgliedstaat der Muttergesellschaft bei dieser anlässlich der Weiterausschüttung dieser Gewinne, die zur Folge hat, dass diese Gewinne einer Besteuerung unterliegen, die tatsächlich den in Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Höchstbetrag von 5 % übersteigt, würde aber zu einer nach der genannten Richtlinie verbotenen Doppelbesteuerung auf Ebene der Muttergesellschaft führen.

81Diese Feststellung wird, wie die Generalanwältin in Nr. 54 ihrer Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, nicht durch Rn. 105 des Urteils vom , Test Claimants in the FII Group Litigation (C-446/04, EU:C:2006:774), in Frage gestellt, da sich der Gerichtshof in dieser Randnummer nur dazu geäußert hat, ob bestimmte Modalitäten der Berechnung der Höhe der Körperschaftsteuervorauszahlung in dem Fall, dass eine gebietsansässige Muttergesellschaft Dividenden, die ihr von einer gebietsfremden Tochtergesellschaft zugeflossen sind, weiterausschüttet, mit der Mutter-Tochter-Richtlinie vereinbar sind, und nicht dazu, ob die Körperschaftsteuervorauszahlung in einem solchen Fall mit dieser Richtlinie vereinbar ist.

82Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Mutter-Tochter-Richtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, soweit diese Regelung in einer Situation, in der die Gewinne, die einer Muttergesellschaft von ihrer Tochtergesellschaft zufließen, von dieser Muttergesellschaft nach Ablauf des Jahres, in dem ihr diese Gewinne zugeflossen sind, ausgeschüttet werden, zur Folge hat, dass diese Gewinne einer Besteuerung unterworfen werden, die den in dieser Vorschrift vorgesehenen Höchstbetrag von 5 % übersteigt.

Kosten

83Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Niederlassungsfreiheit ist dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden - nach der sowohl eine gebietsfremde Gesellschaft, die in diesem Mitgliedstaat eine Tätigkeit über eine Betriebsstätte ausübt, als auch eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, einer Steuer wie der Fairness Tax unterliegen, wenn sie Dividenden ausschütten, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht in ihrem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis enthalten sind - nicht entgegensteht, vorausgesetzt, die Art und Weise der Ermittlung der Bemessungsgrundlage dieser Steuer hat nicht tatsächlich zur Folge, dass die gebietsfremde Gesellschaft weniger günstig behandelt wird als eine gebietsansässige Gesellschaft, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

2. Art. 5 der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden - die eine Steuer wie die Fairness Tax vorsieht, der sowohl die gebietsfremden Gesellschaften, die in diesem Mitgliedstaat eine Tätigkeit über eine Betriebsstätte ausüben, als auch die gebietsansässigen Gesellschaften, einschließlich der gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft, unterliegen, wenn sie Dividenden ausschütten, die aufgrund der Anwendung bestimmter, im nationalen Steuerrecht vorgesehener Steuervergünstigungen nicht in ihrem endgültigen steuerpflichtigen Ergebnis enthalten sind - nicht entgegensteht.

3. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/96 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, soweit diese Regelung in einer Situation, in der die Gewinne, die einer Muttergesellschaft von ihrer Tochtergesellschaft zufließen, von dieser Muttergesellschaft nach Ablauf des Jahres, in dem ihr diese Gewinne zugeflossen sind, ausgeschüttet werden, zur Folge hat, dass diese Gewinne einer Besteuerung unterworfen werden, die den in dieser Vorschrift vorgesehenen Höchstbetrag von 5 % übersteigt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2017:379

Fundstelle(n):
KAAAG-53266