BFH Urteil v. - IV R 9/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielt als selbständig tätiger Unternehmensberater gewerbliche Einkünfte. Außerdem ist er im Rahmen eines Einzelunternehmens freiberuflich tätiger Ingenieur. Im Streitjahr (1994) erzielte er erstmals auch gewerbliche Einkünfte aus einer Beteiligung an der Fa. M-GbR sowie Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit aus einer Beteiligung an der C-GbR.

In der Einkommensteuererklärung 1994 erklärte der Kläger Einkünfte aus seiner freiberuflichen Ingenieurtätigkeit in Höhe von 376 822 DM und Einkünfte aus gewerblicher Beratungstätigkeit in Höhe von 5 627 DM. Angaben zu seinen mitunternehmerisch erzielten Einkünften machte er nicht.

Im Einkommensteuerbescheid 1994 vom wertete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) zusätzlich zu den erklärten Einkünften auch eine Mitteilung vom aus, aus der sich ergibt, dass dem Kläger aus der M-GbR gewerbliche Einkünfte in Höhe von 116 140 DM zuzurechnen waren. Dementsprechend wurden in diesem Bescheid Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 121 767 DM (116 140 DM + 5 627 DM aus dem Einzelunternehmen) sowie Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 376 822 DM der Besteuerung zugrunde gelegt.

Nach Absendung dieses Einkommensteuerbescheides ging beim FA eine weitere Mitteilung vom ein. Sie betraf die anteiligen freiberuflichen Einkünfte des Klägers an der C-GbR in Höhe von 363 645 DM. Das FA änderte daraufhin die ursprüngliche Einkommensteuerveranlagung mit Änderungssteuerbescheid vom , der auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt war. In ihm waren lediglich die freiberuflichen Einkünfte aus der Mitteilung in Höhe von 363 645 DM, nicht mehr aber die erklärten Einkünfte aus dem Einzelunternehmen als freier Ingenieur (376 822 DM) berücksichtigt. In den Erläuterungen zum Bescheid ist ausgeführt, dass sich die Abweichungen von den erklärten Einkünften aus dem Feststellungsbescheid vom ergäben. Dieser Fehler (Weglassen von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 376 822 DM) resultierte daraus, dass die Sachbearbeiterin des FA den Betrag von 363 645 DM eingabetechnisch unter Kennziffer 12 (für Einkünfte aus Einzelunternehmen) statt unter der für Beteiligungseinkünfte vorgesehenen Kennziffer 16 eingegeben hatte. Hierdurch wurde der Wert, der zuvor unter Kennziffer 12 gespeichert war (376 822 DM), gelöscht. Die festgesetzte Einkommensteuer belief sich auf 152 995 DM.

Im Mai 1997 ging bei der Veranlagungsstelle des FA eine Kontrollmitteilung der Betriebsnahen-Veranlagungs-Stelle ein. In ihr wurde ausdrücklich auf die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit aus dem Einzelunternehmen in Höhe von 376 822 DM hingewiesen. Daraufhin änderte das FA die bisherige Veranlagung, die inzwischen ihren Niederschlag in einem Bescheid vom gefunden hatte, erneut, indem es auch die Einkünfte aus dem Einzelunternehmen in Höhe von 376 822 DM wieder berücksichtigte. Als Berichtigungsvorschrift wurde in diesem Bescheid § 129 AO 1977 genannt. Außerdem ist als Begründung angeführt, dass die Korrektur erfolge, weil der Gewinn aus der freiberuflichen Tätigkeit übersehen worden sei. Der entsprechende Einkommensteueränderungsbescheid datiert vom . Die in ihm festgesetzte Einkommensteuer beläuft sich auf nunmehr 358 044 DM.

Der gegen den Änderungsbescheid vom eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung zog das FA als Rechtsgrundlage zur Änderung des unmittelbar vorangegangenen Bescheids vom nunmehr die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 heran.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ließ offen, ob der Änderungsbescheid vom auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt werden könne. Jedenfalls hielt es eine Änderung nach § 174 Abs. 3 AO 1977 für gerechtfertigt (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2000, 247).

Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist.

Das FA hat unter dem Datum vom einen weiteren Einkommensteueränderungsbescheid erlassen, den die Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemacht haben.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung des FA vom den Einkommensteuerbescheid 1994 vom in der Weise zu ändern, dass Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 376 822 DM außer Betracht bleiben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Der Entscheidung des FG liegt die Annahme zugrunde, die Sachbearbeiterin des FA sei bei der Auswertung der Mitteilung über die Einkünfte der C-GbR von der irrtümlichen Annahme ausgegangen, die in der Steuererklärung angegebenen freiberuflichen Einkünfte resultierten ebenfalls aus der Tätigkeit dieser Gesellschaft, so dass der damals angesetzte Betrag lediglich durch den nunmehr übermittelten zu ersetzen sei. Bei dieser Würdigung des Sachverhalts war eine Berichtigung oder erneute Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom 2. bzw. vom nicht statthaft. Insbesondere lässt sich die Rechtsgrundlage für eine Änderung weder aus § 174 Abs. 3 AO 1977 noch aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 herleiten.

a) Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, dass der Änderungsbescheid vom auf § 174 Abs. 3 AO 1977 habe gestützt werden können. Die Vorschrift betrifft den Fall, dass ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen wäre. Stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, kann die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts unterblieben ist, geändert werden.

Bei dem Sachverhalt, der im Einkommensteuerbescheid vom nicht berücksichtigt wurde, handelt es sich um die Erzielung freiberuflicher Einkünfte in Höhe von 376 822 DM. Nach der Sachverhaltswürdigung des FG ging das FA nicht etwa davon aus, dass diese Einkünfte in dem die C-GbR betreffenden Gewinnfeststellungsverfahren noch berücksichtigt werden müssten, sondern davon, dass sie in Höhe von 363 645 DM bereits im Gewinnfeststellungsbescheid vom enthalten seien. Hinsichtlich des Differenzbetrags (13 177 DM) muss das FA bei dieser Sachverhaltswürdigung allerdings angenommen haben, er sei überhaupt nicht zu erfassen. Das FA hat ferner nicht angenommen, dass freiberufliche Einkünfte in Höhe von 363 645 DM statt bei der Einkommensteuerfestsetzung, lediglich in der die C-GbR betreffenden Gewinnfeststellung zu berücksichtigen seien. Vielmehr hielt es einen Ansatz dieses Betrages (auch) im Einkommensteuerbescheid vom für geboten und ist dementsprechend verfahren. Der Senat versteht die Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 3 AO 1977 dahin, dass sie eine alternative und nicht eine kumulative Berücksichtigung des in Rede stehenden Sachverhalts in dem einen oder dem anderen Steuerbescheid voraussetzt. Dafür spricht schon die Formulierung im Gesetz: ”…nicht berücksichtigt worden, weil er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei ...”. Demzufolge ist es zwar denkbar, dass ein Grundlagenbescheid nach § 174 Abs. 3 AO 1977 geändert werden darf, weil das FA zunächst fälschlich davon ausgegangen ist, ein bestimmter Sachverhalt sei ausschließlich im Folgebescheid zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen, unter denen ein Folgebescheid im Hinblick auf den Inhalt des Grundlagenbescheides geändert werden darf, sind jedoch abschließend in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geregelt.

b) Die Korrektur im Änderungsbescheid vom kann auch nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt werden.

Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gebietet es § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, auch Fehler, die bei der Auswertung eines Grundlagenbescheids im Folgebescheid unterlaufen sind, nachträglich richtig zu stellen. Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides beschränkt sich nicht auf eine bloße mechanische Übernahme seines Inhalts in den Folgebescheid (, BFH/NV 1991, 143). Sie steht vielmehr —weitergehend— jedem Ansatz der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlage im Folgebescheid entgegen, der dem Inhalt des Grundlagenbescheides widersprechen würde (, BFHE 150, 345, BStBl II 1988, 342; vom IV R 219/85, BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711; vom II R 15/91, BFH/NV 1994, 1; vom IV R 25/98, BFHE 188, 548, BStBl II 1999, 545).

Im Grundlagenbescheid vom war für das FA bindend festgestellt worden, dass der Kläger am Gewinn der C-GbR mit einem Anteil in Höhe von 363 645 DM beteiligt war. Dieser Inhalt ist zutreffend in den Folgebescheid vom übernommen worden. Einen weitergehenden Inhalt hatte der Grundlagenbescheid nicht. Insbesondere sagte er nichts über die Einkünfte aus dem Einzelunternehmen aus.

Die Aufgabe, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen, rechtfertigt keine Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung. Sie reicht, wie die in der Formulierung ”soweit” in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zum Ausdruck kommende Einschränkung zeigt, nur so weit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides (vgl. §§ 171 Abs. 10, 182 Abs. 1 AO 1977) verlangt (, BFHE 164, 502, BStBl II 1991, 821, m.w.N.). Der Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Grundlagenbescheides darf deshalb nicht zum Anlass genommen werden, für den Folgebescheid bedeutsame Besteuerungsgrundlagen zu ändern, wegzulassen oder erstmals aufzunehmen, die weder Gegenstand des Grundlagenbescheides sind noch durch seinen Regelungsinhalt beeinflusst werden (vgl. Senatsbeschluss vom IV B 151/97, BFH/NV 1998, 1452).

Allerdings weist der Streitfall die Besonderheit auf, dass das unrichtige Ergebnis durch dieselbe Handlung hervorgerufen wurde, mit der das FA den Grundlagenbescheid ausgewertet hat; denn es hat den im Grundlagenbescheid festgestellten Gewinnanteil unter einer Kennziffer eingegeben, der für Gewinne aus Einzelunternehmen vorgesehen ist. Auf diese Weise wurde der bisher berücksichtigte Gewinn aus dem Einzelunternehmen bei der maschinellen Bearbeitung gelöscht. Gleichwohl handelt es sich um einen Fehler, der dem FA lediglich ”gelegentlich” einer Anpassung des Folgebescheides an den Grundlagenbescheid unterlaufen ist. Das FA hat nicht etwa angenommen, der Grundlagenbescheid enthalte den Gewinn aus dem Einzelunternehmen. Das wäre angesichts des klaren Inhalts der Mitteilung auch kaum möglich gewesen. Vielmehr hat es —jedenfalls der Sachverhaltswürdigung des FG zufolge— gemeint, bei den bereits erklärten freiberuflichen Einkünften in Höhe von 376 822 DM handle es sich ebenfalls um den Anteil am Gewinn der C-GbR.

Der Streitfall ist dem des Beschlusses in BFH/NV 1998, 1452, in dem der Senat eine Änderungsmöglichkeit gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 verneint hat, vergleichbar. In jenem Fall hatte das FA einen das Einzelunternehmen der Ehefrau betreffenden Veräußerungsgewinn anlässlich der Auswertung eines Grundlagenbescheides, der die zusammen mit ihrem Ehemann betriebene Mitunternehmerschaft betraf, nicht mehr angesetzt. Grund dafür war, dass der Grundlagenbescheid einen allein dem Ehemann zuzurechnenden Veräußerungsgewinn aus der Beendigung der Mitunternehmerschaft auswies. Das FA hatte daraus geschlossen, dass es insgesamt nur einen Veräußerungsgewinn gebe, der allein dem Ehemann zuzurechnen sei.

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus dem Senatsurteil in BFHE 188, 548, BStBl II 1999, 545. In jenem Fall hatte das Wohnsitz-FA einen vom Betriebs-FA mitgeteilten Verlustanteil aus einer Praxisgemeinschaft von dem ebenfalls mitgeteilten Gewinn aus der Einzelpraxis des Steuerpflichtigen abgezogen, obwohl dieser Gewinn bereits um den Verlustanteil gekürzt war. Vom Streitfall unterscheidet sich jener Fall dadurch, dass nach dem Inhalt des Grundlagenbescheides der Verlustanteil den Gewinn des Einzelunternehmens mindern sollte, allerdings nur einmal. Im Streitfall dagegen wurde der Gewinn aus der Einzelpraxis durch Beteiligungseinkünfte ersetzt. Im Senatsurteil in BFHE 188, 548, BStBl II 1999, 545 wird darauf hingewiesen, dass eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nicht in Betracht kommt, wenn die Einkünfte, die fehlerhaft als Beteiligungseinkünfte angesetzt sind, mit den aufgrund eines Grundlagenbescheides anzusetzenden Einkünften derselben Einkunftsart in keinem sachlichen Zusammenhang stehen. Dasselbe muss gelten, wenn —wie im Streitfall— die fehlerhaft nicht mehr angesetzten Einkünfte mit den aus dem Grundlagenbescheid übernommenen Einkünften in keinem Zusammenhang stehen.

2. Die Annahme des FG, die Sachbearbeiterin des FA sei bei der Auswertung der Mitteilung über die Einkünfte der C-GbR von der irrtümlichen Annahme ausgegangen, die in der Steuererklärung angegebenen freiberuflichen Einkünfte resultierten ebenfalls aus der Tätigkeit dieser Gesellschaft, ist allerdings nicht durch die tatsächlichen Feststellungen des FG gedeckt. Das FG hat lediglich aus einem Schreiben der Rechtsbehelfsstelle vom geschlossen, es habe sich ”offenbar” so verhalten. Demgegenüber heißt es noch in einem Schreiben der Veranlagungsstelle vom , es habe sich um einen Eingabefehler gehandelt. Hierfür sprechen auch die äußeren Umstände des Falles. Beruhte nämlich der Fehler darauf, dass die Sachbearbeiterin versehentlich den Betrag von 363 645 DM unter der für die Einkünfte von Einzelunternehmen geltenden Kennziffer 12 eingegeben hat, so ist es fernliegend, hieraus zu schließen, sie habe dies getan, weil sie die ursprünglich —zu Recht— unter dieser Kennziffer erfassten Einkünfte nunmehr für solche aus einer freiberuflichen GbR gehalten habe. Hätte die Sachbearbeiterin diese Auffassung vertreten, hätte es näher gelegen, die in der Mitteilung vom ausgewiesenen Beteiligungseinkünfte von 363 645 DM unter der für derartige Einkünfte geltenden Kennziffer 16 zu erfassen und den ursprünglich unter Kennziffer 12 erfassten Betrag in Höhe von 376 822 DM zu streichen. Dies hat die Sachbearbeiterin jedoch unterlassen.

Handelte es sich bei der fehlerhaften Eingabe um ein rein mechanisches Versehen, so konnte der Bescheid vom 2. bzw. vom nach § 129 AO 1977 berichtigt werden.

Das FG wird im zweiten Rechtsgang eigene Feststellungen dazu treffen, wie es zu der falschen Eingabe gekommen ist.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1007 Nr. 8
DStRE 2001 S. 890 Nr. 16
KAAAA-67064