BSG Beschluss v. - B 14 AS 192/16 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Verwerfung der Berufung durch Beschluss - Versäumung der Berufungsfrist - Berufungseinlegung in elektronischer und schriftlicher Form per Telefax - fehlende eigenhändige Unterschrift im Faxschreiben

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 158 S 1 SGG, § 158 S 2 SGG, § 151 Abs 1 SGG

Instanzenzug: Az: S 6 AS 810/14 Urteilvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 6 AS 256/15 Beschluss

Gründe

1Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren (vgl § 67 SGG) wegen ihrer fristgerechten Stellung eines PKH-Antrags und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung ihrer Prozessbevollmächtigten nach der Bewilligung der PKH durch den Senat.

2Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), soweit sie als Verfahrensmangel rügt, dass das LSG ihre Berufung durch Beschluss nach § 158 SGG wegen Nichteinhaltung der Monatsfrist als unzulässig verworfen habe, obwohl sie diese eingehalten habe ("Prozessurteil statt Sachurteil"; vgl dazu nur BSGE 1, 283, 285 ff; BSGE 2, 245, 252 ff; BSGE 15, 169, 172; letztens etwa - juris).

3Ein Prozessurteil darf nicht ergehen, wenn seine Voraussetzungen nicht vorliegen, da es sich bei einem Prozessurteil um eine qualitativ andere Entscheidung gegenüber einem Sachurteil handelt. Hiergegen hat das LSG verstoßen, indem es die Berufung der Klägerin wegen Nichteinhaltung der Monatsfrist nach § 151 Abs 1 SGG als unzulässig verworfen hat, weil bis zum Fristablauf weder ein von der Klägerin unterschriebener Berufungsschriftsatz noch ein Berufungsschriftsatz mit qualifizierter elektronischer Signatur beim LSG eingegangen sei. Indes hat die Klägerin schon vor Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist schriftlich Berufung gegen das ihr am zugestellte Urteil des SG eingelegt. Denn sie hat Berufung nicht nur in elektronischer Form am , sondern auch mit Telefax am (Blatt 39 f der Gerichtsakte S 6 AS 805/14; L 6 AS 258/15) eingelegt. Auf die Frage der Einhaltung der Anforderungen des § 65a SGG für Berufungen in elektronischer Form, auf die das LSG seine Entscheidung gestützt hat, kommt es deshalb nicht allein maßgeblich an.

4Der Wirksamkeit der - vom LSG in der angefochtenen Entscheidung nicht erwähnten - Berufungseinlegung mit Telefax steht es nicht entgegen, dass das Faxschreiben von der Klägerin nicht unterschrieben war. Zwar erfordert die Schriftform der Berufung iS des § 151 Abs 1 SGG grundsätzlich eine eigenhändige Unterschrift (vgl - SozR 3-1500 § 67 Nr 21 RdNr 15). Doch ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass dieses Schriftformerfordernis ausnahmsweise auch dann erfüllt sein kann, wenn die Berufungsschrift zwar keine eigenhändige Unterschrift enthält, aber sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher, dh ohne die Notwendigkeit einer Klärung durch Beweiserhebung, ergibt (vgl letztens etwa - juris, RdNr 8 mwN).

5Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn die Urheberschaft der Klägerin lässt sich dem Umstand entnehmen, dass ihr am beim LSG eingegangenes Telefax vom mit dem Betreff "Berufung" die postalische Anschrift der Klägerin enthält und die mit diesem Fax eingelegte Berufung mit dem Namen der Klägerin abschließt. Zudem hat sie - neben anderen - das richtige Aktenzeichen des angefochtenen SG-Urteils ("S 6 AS 810/14") mitgeteilt. Die Faxkennung weist als Absender "C." mit der Nummer "+49 " aus, und damit ausweislich einer Internetrecherche ein Unternehmen in E., dem Wohnort der Klägerin. Dass die Klägerin Berufung einlegen wollte, ergibt sich schließlich auch aus ihrer elektronisch übermittelten Berufung vom , auf die in dem am eingegangenen Telefax vom Bezug genommen worden ist. Diese Umstände schließen es aus, dass das an das LSG gerichtete Telefax von der Klägerin nur unbewusst oder versehentlich in den Verkehr gebracht wurde.

6Der Senat macht von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss wegen des vorliegenden Verfahrensmangels aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil für eine abschließende Entscheidung Tatsachenfeststellungen notwendig sind. Dieser bedarf es zunächst zur Höhe des Werts des Beschwerdegegenstandes nach Maßgabe von § 144 Abs 1 SGG, damit das LSG über die Statthaftigkeit der Berufung befinden kann; zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kann die Statthaftigkeit der Berufung und damit die Entscheidungserheblichkeit des vorliegenden Verfahrensmangels des LSG angesichts des Vorbringens der Klägerin zu ihren Klagebegehren nicht ausgeschlossen werden. Bei statthafter und auch im Übrigen zulässiger Berufung wird durch das LSG aufgrund von Tatsachenfeststellungen in der Sache zu entscheiden sein.

7Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2017:240517BB14AS19216B0

Fundstelle(n):
TAAAG-51053