BAG Urteil v. - 5 AZR 625/16

Instanzenzug: Az: 1 Ca 1160/15 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 2 Sa 612/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Erfüllung des entsenderechtlichen Mindestlohnanspruchs und über die Kombination verschiedener Zulagen.

2Der Kläger ist bei der Beklagten, die einen Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb für Geflügel betreibt, als Abpacker in Frühschicht beschäftigt. Der schriftliche Arbeitsvertrag vom regelt ua.:

3Die Beklagte wandte zunächst auf das Arbeitsverhältnis mit der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt geschlossene Tarifverträge an. Der Manteltarifvertrag (MTV) sah eine Treueprämie für kontinuierlichen Arbeitseinsatz vor und verwies für deren Höhe auf § 8 Lohn- und Gehaltstarifvertrag (LTV). Nach diesem betrug die Treueprämie in der für den Kläger einschlägigen Lohngruppe ab dem 0,65 Euro/Stunde. Nach Kündigung der Tarifverträge vergütete die Beklagte die Beschäftigten ab Mai 2009 nach einer mit dem Betriebsrat abgestimmten „Betrieblichen Entgeltregelung“, nach der die Stundenlöhne erhöht wurden, die Treueprämie indes bis März 2010 lediglich noch 0,25 Euro/Stunde und anschließend 0,50 Euro/Stunde betragen sollte. Ab Dezember 2010 wandte die Beklagte eine von ihr formulierte „Betriebliche Mantelregelung“ (BM) an, wonach im Schichtbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer je gearbeitete Stunde eine Schichtzulage von 0,10 Euro brutto erhalten. Des Weiteren regelt sie - entsprechend dem Wortlaut des MTV - Folgendes:

4Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt der nach § 7 AEntG erlassenen, am in Kraft getretenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft, die bestimmt, dass die Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung der Mindestbedingungen für Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestbedingungen) vom auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer, die unter seinen Geltungsbereich fallen, Anwendung finden. Der TV Mindestbedingungen lautet auszugsweise:

5Die Beklagte zahlte dem Kläger für geleistete Arbeit von August bis November 2014 einen Bruttostundenlohn von 7,15 Euro, eine Treueprämie von 0,50 Euro brutto und eine Erschwerniszulage von 0,50 Euro brutto. Eine Schichtzulage von 0,10 Euro brutto zahlte die Beklagte lediglich im Oktober 2014. Urlaubstage vergütete sie mit 65,20 Euro brutto pro Tag. Von Dezember 2014 bis Juni 2015 erhielt der Kläger für geleistete Arbeit einen Bruttostundenlohn von 7,40 Euro, Treueprämien und Erschwerniszulage blieben gleich, Schichtzulage zahlte die Beklagte nicht. Urlaubstage vergütete sie mit 67,20 Euro brutto pro Tag.

6Der Kläger hat für die Monate August 2014 bis Juni 2015 Differenzvergütung verlangt. Die Beklagte habe den Anspruch auf den Mindestlohn nicht vollständig erfüllt. Treueprämie, Schicht- und Erschwerniszulage seien nicht mindestlohnwirksam und kumulativ zu zahlen. Außerdem betrage die Treueprämie nach Arbeitsvertrag 0,65 Euro brutto/Stunde. Dementsprechend stehe ihm weiteres Urlaubsentgelt zu.

7Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn

8Die Beklagte hat die Ansprüche auf weitere Feiertagsvergütung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in einer Gesamthöhe von 156,00 Euro brutto anerkannt und im Übrigen Klageabweisung beantragt.

9Das Arbeitsgericht hat der Klage gemäß dem Anerkenntnis der Beklagten sowie hinsichtlich weiterer Erschwerniszulage und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinen weiter gehenden Anträgen fest.

Gründe

10Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf weitere Treueprämie und Schichtzulage. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

11I. Die Revision ist hinsichtlich des Streitgegenstands weiteres Urlaubsentgelt schon deshalb unbegründet, weil die Berufung des Klägers insoweit unzulässig ist. Es fehlt an einer ausreichenden Berufungsbegründung. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen.

121. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach der Berufungseinlegung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ( - Rn. 16 mwN). Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll (st. Rspr., zB  - Rn. 11; - 9 AZR 633/15 - Rn. 11, jeweils mwN).

132. Diesen Anforderung genügt die Berufungsbegründung des Klägers zum Streitgegenstand weiteres Urlaubsentgelt nicht. Sie setzt sich nicht mit der tragenden Argumentation des Arbeitsgerichts, der geltend gemachte Anspruch sei weder schlüssig dargelegt noch aus den vorgelegten Unterlagen errechenbar, auseinander.

14II. Im Übrigen ist die Revision teilweise begründet.

151. Der Kläger hat Anspruch auf weitere Treueprämie von 0,15 Euro brutto/Stunde.

16a) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf eine Treueprämie hat. Dahinstehen kann, ob sich die Höhe der Treueprämie aus § 4 Arbeitsvertrag oder aus § 4 Nr. 3.5 BM iVm. § 8 Nr. 1 LTV ergibt. Denn in beiden Fällen beläuft sich die Treueprämie auf 0,65 Euro brutto/Stunde.

17aa) Die Betriebliche Mantelregelung enthält eine Gesamtzusage, mit der die Beklagte den Beschäftigten eine Erhöhung der Treueprämie versprochen hat.

18(1) Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahme des in der Erklärung enthaltenen Antrags iSv. § 145 BGB wird dabei nicht erwartet und es bedarf ihrer auch nicht. Das in der Zusage liegende Angebot wird gemäß § 151 Satz 1 BGB angenommen und ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Die Arbeitnehmer erwerben einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen, wenn sie die betreffenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllen ( - Rn. 17; - 5 AZR 450/14 - Rn. 17). Dabei wird die Gesamtzusage bereits dann wirksam, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart wird, die den einzelnen Arbeitnehmer typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf dessen konkrete Kenntnis kommt es nicht an ( - Rn. 14).

19(2) Mit der Bekanntmachung der Betrieblichen Mantelregelung hat die Beklagte den Beschäftigten ua. die Zahlung einer Treueprämie zu den dort genannten Voraussetzungen und in der im - gekündigten - LTV vorgesehenen Höhe von 0,65 Euro brutto/Stunde angeboten.

20Dies hat der Senat in seinem am heutigen Tag ergangenen Urteil in einem Parallelverfahren (- 5 AZR 424/16 - Rn. 15 ff.), auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, entschieden.

21bb) Für die vom Kläger im Streitzeitraum geleisteten Arbeitsstunden, deren Anzahl zwischen den Parteien unstreitig ist, ergibt sich danach ein Anspruch auf weitere Treueprämie iHv. 254,11 Euro brutto.

22b) Der Differenzanspruch des Klägers ist nicht verwirkt.

23aa) Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen ( - Rn. 60).

24bb) Eine Verwirkung scheidet aus, weil von der Beklagten bereits keine Umstände vorgebracht wurden, die die Annahme rechtfertigten, der Beklagten sei es aufgrund eigener Dispositionen „unzumutbar“ geworden, die Ansprüche des Klägers zu erfüllen, oder es sei ihr aufgrund sonstiger Umstände unzumutbar, sich auf die Klage einzulassen (vgl.  - Rn. 18 mwN).

252. Der Kläger hat - aufgrund Gesamtzusage - nach § 4 Nr. 3.3 BM Anspruch auf eine Schichtzulage von 0,10 Euro brutto/Stunde neben der Erschwerniszulage. Die Regelung der Zulagenkombination in § 4 Nr. 3.4 BM steht dem nicht entgegen. Dies ergibt deren Auslegung.

26a) Unstreitig leistet der Kläger Arbeit in Frühschicht. Damit wird er „im Schichtbetrieb“ beschäftigt und hat Anspruch auf Schichtzulage nach § 4 Nr. 3.3 BM.

27b) Schicht- und Erschwerniszulage sind bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen kumulativ zu zahlen.

28Der Wortlaut von § 4 Nr. 3.4 BM ist eindeutig. Die „vorgenannten Zulagen“, also die in § 4 Nr. 3.1 bis 3.3 BM aufgeführten, sind nicht identisch mit den „anderen Zulagen“. Die Bestimmung regelt zweierlei: Ein Anspruch auf die vorgenannten Zulagen besteht nur für tatsächliche Arbeitsleistung, ist aber nicht kombinierbar mit „anderen“ Zulagen, also solchen, die außerhalb von § 4 Nr. 3.1 bis 3.3 BM zugesagt werden.

29c) Für die vom Kläger im Streitzeitraum geleisteten Arbeitsstunden in Frühschicht, deren Anzahl zwischen den Parteien unstreitig ist, ergibt sich danach ein noch nicht erfüllter Anspruch auf Schichtzulage iHv. 150,02 Euro brutto.

303. Der Anspruch auf Verzugszinsen folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Vergütung ist unstreitig am 15. des Folgemonats zur Zahlung fällig. Unter Berücksichtigung von § 193 BGB ergeben sich die festgesetzten Termine für den jeweiligen Beginn der Verzinsung.

314. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

32Der Anspruch des Klägers auf den Mindestlohn nach § 2 Nr. 2 TV Mindestbedingungen ist durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Treueprämie, Schicht- und Erschwerniszulage sind mindestlohnwirksam.

33a) Ob und in welchem Umfang der Mindestlohnanspruch neben der Grundvergütung durch weitere Leistungen erfüllt wird, bestimmt sich danach, ob die vom Arbeitgeber erbrachten (Zusatz-)Leistungen die Normzwecke der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft und des TV Mindestbedingungen sichern (zur PflegeArbbV  - Rn. 21 ff., BAGE 153, 248; zur AbfallArbbV  - Rn. 37 ff., BAGE 148, 68). Entsprechend der Zielsetzung in § 1 AEntG sollen angemessene Mindestarbeitsbedingungen in Form von Mindestentgeltsätzen für geleistete Arbeit gemäß § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG (§ 2 Nr. 1 TV Mindestbedingungen) geschaffen und durchgesetzt sowie faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden.

34b) Gemessen daran sind die von der Beklagten im Streitzeitraum geleistete Treueprämie, Schicht- und Erschwerniszulage mindestlohnwirksam. Die Beklagte hat diese vorbehaltlos neben der Grundvergütung als Teil der Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt. Treueprämie, Schicht- und Erschwerniszulage in der von der Beklagten gewährten Weise erfüllen damit als im Synallagma stehende Geldleistungen die Zwecke der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft und des TV Mindestbedingungen, die ihrerseits die Anrechnung von Prämien und Zulagen auf den Mindestlohn nicht ausschließen (zur PflegeArbbV  - Rn. 26, BAGE 153, 248).

35III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:220317.U.5AZR625.16.0

Fundstelle(n):
HAAAG-50286