BGH Beschluss v. - 3 ARs 21/16

Instanzenzug: nachgehend Az: 2 StR 150/15 Urteil

Gründe

11. Der 2. Strafsenat hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, der wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt worden ist. Das Landgericht hat sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falls (§ 213 Alternative 2 StGB) als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne die Tötungsabsicht des Angeklagten zu seinem Nachteil gewertet.

2Der 2. Strafsenat beabsichtigt, die Revision des Angeklagten zu verwerfen und zu entscheiden:

3"Beim vorsätzlichen Tötungsdelikt kann die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden."

4Hieran sieht sich der 2. Strafsenat gehindert durch Rechtsprechung der anderen Strafsenate, darunter auch Entscheidungen des Senats (tragend: Beschlüsse vom - 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; vom - 3 StR 447/83, Ez StGB § 212 Nr. 7; vom - 3 StR 353/84, juris Rn. 2; vom - 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4; nichttragend: Urteil vom - 3 StR 180/89, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Strafzumessung 1; Beschlüsse vom - 3 StR 369/77, juris Rn. 6; vom - 3 StR 425/77, juris Rn. 3).

52. An der entgegenstehenden Rechtsprechung hält der Senat nicht fest.

6a) Im Einzelfall kann die Tötungsabsicht taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein.

7aa) Die Frage, ob sich in der Tötungsabsicht ein die Strafhöhe bestimmender gesteigerter Schuldgehalt spiegelt, kann nur einzelfallbezogen beantwortet werden. Es ist weder rechtlich geboten noch sachgerecht, die Strafzumessung - jenseits der gesetzlichen Vorgaben - bis ins Einzelne richterrechtlich "durchzunormieren".

8Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die im Einzelfall wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht darf die Würdigung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich nachprüfen, ob dem Tatgericht hierbei ein Rechtsfehler unterlaufen ist (st. Rspr.; vgl. nur , juris Rn. 56 mwN; Beschluss vom - 3 StR 342/15, JR 2017, 245, 248). Zu der dem Tatgericht aufgegebenen, eingeschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegenden Strafzumessung gehört auch die Entscheidung, welche Bewertungsrichtung es einzelnen Umständen gibt (vgl. , NStZ-RR 2016, 107, 108; Beschluss vom - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 350) und inwieweit es ihnen bestimmendes Gewicht beimisst (vgl. , aaO mwN).

9bb) Der Senat teilt die Auffassung des 2. Strafsenats (vgl. Anfragebeschluss vom - 2 StR 150/15, NStZ 2017, 216, 217 f.), dass das unbedingte Streben nach der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls geeignet ist, die individuelle Tatschuld zu erhöhen. Nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers, die in den Straftatbeständen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs zum Ausdruck kommt, haben die drei Vorsatzformen prinzipiell einen unterschiedlichen Schuldgehalt; die Schuldschwere steigert sich im Grundsatz vom dolus eventualis (bedingter Vorsatz) über den dolus directus 2. Grades (direkter Vorsatz in Form der "Wissentlichkeit") hin zum dolus directus 1. Grades (direkter Vorsatz in Form der Absicht). Die kriminelle Intensität des Täterwillens ist beim dolus directus 1. Grades in der Regel am stärksten ausgeprägt. Ziel des mit Tötungsabsicht Handelnden ist gerade der Tod des anderen Menschen; der Todeserfolg ist nicht nur die für möglich oder sicher gehaltene Nebenfolge der Handlung.

10Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das außertatbestandliche Ziel des "nur" wissentlich Tötenden ebenso verwerflich wie das tatbestandliche Ziel des absichtlich Tötenden sein kann (so aber Senat, Beschluss vom - 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204). Nimmt das Tatgericht einzelfallbezogen eine solche Verwerflichkeit an, so wird es das außertatbestandliche Ziel im Rahmen der Strafzumessung ohne weiteres zum Nachteil des wissentlich Tötenden werten; dadurch stünde dieser, könnte die Tötungsabsicht nicht strafschärfend berücksichtigt werden, sogar schlechter als der absichtlich Tötende.

11cc) Dass der (isolierte) Hinweis auf die Tötungsabsicht im Einzelfall zur Beschreibung höherer Tatschuld zu kurz greifen kann, beseitigt nicht ihre grundsätzliche Tauglichkeit als Strafzumessungskriterium. Vielmehr folgt hieraus nur, dass auch Fallkonstellationen vorstellbar sind, in denen eine strafschärfende Berücksichtigung nicht mehr vertretbar wäre.

12b) Die Wertung der Tötungsabsicht zum Nachteil des Angeklagten verletzt nicht das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB.

13Nach Auffassung des Senats stellt jedenfalls die Tötungsabsicht nicht den "normativen Regelfall" eines vorsätzlichen Tötungsdelikts dar (ebenso , NStZ 2012, 689). Ungeachtet dessen, inwieweit ein solcher "normativer Regelfall" als Voraussetzung für eine - analoge - Anwendung des § 46 Abs. 3 StGB anzuerkennen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 350 f.; vom - GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 368; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 618; LK/Theune, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 61 ff. mwN), lässt sich aus dem dolus directus 1. Grades regelmäßig auf eine besondere, untypische kriminelle Intensität des Täterwillens schließen (s. auch SSW-StGB/Eschelbach, 3. Aufl., § 46 Rn. 93 aE: "gesteigerte kriminelle Energie").

14Ob die strafschärfende Berücksichtigung des dolus directus 2. Grades unter dem Gesichtspunkt des "normativen Regelfalls" das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB verletzt, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:070317B3ARS21.16.0

Fundstelle(n):
EAAAG-49468