BGH Beschluss v. - 1 StR 493/16

Besetzungsrüge im Strafverfahren: Fehlen einer kammerinternen Geschäftsverteilung

Gesetze: § 21g Abs 1 GVG, § 21g Abs 2 GVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 338 Nr 1 StPO

Instanzenzug: LG München I Az: 127 Js 205623/14 - 1 Ksnachgehend Az: 4b Ws 8/18 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit dreifacher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision.

2Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO Erfolg. Die Revision macht zu Recht geltend, dass die 1. Strafkammer des Landgerichts München I, die in dieser Sache entschieden hat, nicht über die erforderliche spruchkörperinterne Geschäftsverteilung für das Jahr 2015 verfügt habe.

I.

3Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

41. Mit Anklageschrift vom hat die Staatsanwaltschaft München I vor dem Landgericht München I - Große Strafkammer als Schwurgericht - Anklage erhoben, deren Zustellung der Vorsitzende der 1. Strafkammer (Schwurgericht) des Landgerichts München I zur Stellungnahme an den Angeklagten und dessen Wahlverteidiger mit Verfügung vom anordnete. Mit Eröffnungsbeschluss vom , unterzeichnet von Vorsitzendem Richter H.   , zugleich für den urlaubsbedingt abwesenden Richter am Landgericht G.    , und von Richterin am Landgericht B.   , wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft München I vom unverändert zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. In der am begonnenen Hauptverhandlung war das Landgericht mit diesen drei vorgenannten Berufsrichtern besetzt.

5Vor Vernehmung des Angeklagten zur Sache gemäß § 243 Abs. 5 StPO erhob der Verteidiger, nachdem er bereits mehrfach die Erteilung des Wortes zu einer Stellungnahme bzw. zur Antragstellung beantragt hatte, eine Besetzungsrüge. Der Antrag wurde damit begründet, dass eine spruchkörperinterne Geschäftsverteilung für die 1. Strafkammer seit und damit insbesondere auch zum Zeitpunkt des gerichtlichen Anhängigwerdens der Anklage vom gefehlt habe. Das Gericht sei willkürlich besetzt gewesen und dem Angeklagten daher der gesetzliche Richter entzogen worden.

6Mit Beschluss vom hat das Landgericht den Besetzungseinwand als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung u.a. darauf verwiesen: „Mit Anklageerhebung Ende März 2015 lag zwar kein schriftlicher interner Geschäftsverteilungsplan der 1. Strafkammer für das Geschäftsjahr 2015 vor. Eine schriftliche Beschlussfassung war jedoch - wie auch für die Geschäftsjahre 2012 und 2014 - nur versehentlich unterblieben und wurde am unmittelbar nach Erkennen des Fehlens für das verbleibende Geschäftsjahr 2015 nachgeholt. Der Geschäftsverteilungsplan vom sieht im Übrigen keine Abweichungen zur Geschäftsverteilung vor, wie sie zuletzt mit Beschluss vom für das Geschäftsjahr 2013 schriftlich festgelegt worden war und aufgrund mündlicher Übereinkunft der Kammermitglieder auch in der Folgezeit so gehandhabt wurde. Es kann mithin nicht von einem willkürlichen Verstoß gegen die Vorgaben aus § 21g Abs. 1 und 2 GVG ausgegangen werden.“ In der Folge erhob der Angeklagte weitere Besetzungsrügen, die durch die Strafkammer jeweils zurückgewiesen wurden.

72. Die kammerinterne Geschäftsverteilung stellt sich im Übrigen wie folgt dar:

8Am haben die damaligen Mitglieder der 1. Strafkammer - Vorsitzender Richter am Landgericht H.   , Richterin am Landgericht B.    und die Richter am Landgericht L.     und G.     - einen schriftlichen Beschluss zur Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers ab gefasst, der die Bildung von drei Spruchgruppen vorsah. Die Spruchgruppe 1 war zuständig für Verfahren mit gerader Endziffer, Spruchgruppe 2 mit ungerader Endziffer und Spruchgruppe 3 für Verfahren mit durch drei teilbare Endziffern. Maßgeblich für die Zuständigkeit war die Endziffer der gerichtlichen Zählkarte des Verfahrens und soweit eine solche nicht vorliegt, des gerichtlichen Aktenzeichens. Für das Jahr 2012 erfolgte kein Beschluss zur internen Geschäftsverteilung. Am beschloss die Strafkammer für den Zeitraum ab , dass es bei der Geschäftsverteilung entsprechend dem Beschluss vom verbleibt, mit der Maßgabe, dass auf Grund eines Richterwechsels an Stelle von Richter am Landgericht L.     die Richterin am Landgericht Ga.     zuständig ist. Ein Beschluss zur Regelung der Geschäftsverteilung für das Jahr 2014 wurde nicht getroffen. Für das Jahr 2015 erfolgte zunächst ebenfalls keine Regelung zur kammerinternen Besetzung. Mit Beschluss vom hat die Strafkammer ab diesem Zeitpunkt beschlossen, dass es für die kammerinterne Geschäftsverteilung bei den bisherigen Regelungen verbleibt und auf die Beschlüsse vom sowie Bezug genommen.

II.

9Der Besetzungsrüge kann der Erfolg nicht versagt bleiben.

101. Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden kann, gleichgültig von welcher Seite eine solche Manipulation ausgeht. Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden. Die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, müssen im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind (BVerfG, Plenumsbeschluss vom - 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322 und Beschluss vom - 1 BvR 1644/94, BVerfGE 97, 1). Geschäftsverteilungs- und Mitwirkungsregelungen bedürfen deshalb auch der Schriftform (, BGHZ 126, 63; BVerfG, Plenumsbeschluss vom - 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322 Rz. 28).

11Das Gebot des gesetzlichen Richters wird dabei nicht erst durch eine willkürliche Heranziehung im Einzelfall verletzt. Unzulässig ist vielmehr auch schon das Fehlen einer abstrakt-generellen und hinreichend klaren Regelung, aus der sich der im Einzelfall zur Entscheidung berufene Richter möglichst eindeutig ablesen lässt (BVerfG, Plenumsbeschluss vom - 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322 Rz. 30). Entsprechend ist deshalb in § 21g Abs. 1 und 2 GVG geregelt, dass innerhalb eines mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer die Geschäfte durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter zu verteilen sind. Wie für die allgemeine gerichtsinterne Geschäftsverteilung gilt auch für die kammerinterne Geschäftsverteilung damit das Jährlichkeitsprinzip, nach dem die Regelung der Geschäftsverteilung mit dem Ablauf des Geschäftsjahres, das mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, ohne weiteres außer Kraft tritt (, BGHSt 49, 130).

122. Diese Anforderungen wurden vom Landgericht nicht beachtet. Die 1. Strafkammer verfügte im Zeitpunkt des Eingangs der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München I vom nicht über eine kammerinterne Geschäftsverteilung für das Geschäftsjahr 2015.

13a) Soweit die Strafkammer, was aus dem Ablehnungsbeschluss der Besetzungsrüge vom auch deutlich wird, jedenfalls mündlich beschlossen hat, dass die bisherigen Mitwirkungsgrundsätze für das Geschäftsjahr 2015 weiter anzuwenden sind, vermag dies am Fehlen einer kammerinternen Geschäftsverteilung nichts zu ändern; denn damit wird die verfassungsrechtlich gebotene Schriftform nicht beachtet.

14b) Die mit Beschluss vom ab diesem Zeitpunkt von den Mitgliedern der Strafkammer geschaffene kammerinterne Geschäftsverteilung für das verbleibende Geschäftsjahr 2015 hat zwar eine ordnungsgemäße Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers für nach diesem Zeitpunkt neu eingehende Verfahren geschaffen, kann aber für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren nachträglich keinen wirksamen kammerinternen Mitwirkungsplan begründen.

15Da die Garantie des gesetzlichen Richters eine generell-abstrakte Regelung über die Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers entsprechend dem Vorausprinzip erfordert, kann maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer solchen Regelung nur der Zeitpunkt der Anhängigkeit eines Verfahrens beim jeweiligen Spruchkörper sein, zu dem die zuständige Spruchgruppe innerhalb der Strafkammer nach den Mitwirkungsgrundsätzen für den weiteren Verfahrensgang festgelegt wird. Für das Vorliegen einer wirksamen spruchkörperinternen Regelung zur Geschäftsverteilung darf daher nicht erst auf den Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses vom abgestellt werden, zu dem die Strafkammer letztlich über eine entsprechende Mitwirkungsregelung für 2015 verfügte.

16c) Das Fehlen eines nach § 21g Abs. 2 GVG zu erstellenden Mitwirkungsplans für die Strafkammer war auch nicht entbehrlich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein Spielraum bei der Heranziehung einzusetzender Richter nicht besteht, wie es etwa bei einem nicht überbesetzten Spruchkörper der Fall ist (, BGHSt 49, 130). Eine solche Sonderkonstellation liegt bei der mit vier Richtern besetzten Strafkammer des Landgerichts aber nicht vor.

17d) Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. , BGHSt 21, 250 und vom - 4 StR 632/79, BGHSt 29, 162) eine Revision nur auf eine willkürliche oder sonst missbräuchliche Nichteinhaltung der Grundsätze zur internen Geschäftsverteilung gestützt werden kann, liegt eine solche Fallgestaltung nicht vor. Diese bezieht sich lediglich auf eine Abweichung von den kammerinternen Mitwirkungsgrundsätzen, nicht aber - wie hier - auf das vollständige Fehlen einer solchen internen Geschäftsverteilung der Strafkammer gemäß § 21g Abs. 2 GVG. Auf die Frage, ob im vorliegenden Verfahren bewusst gegen eine Geschäftsverteilungsregelung verstoßen worden ist und die zugeteilte Zählkartennummer auch Auswirkungen auf die Zuteilung des Verfahrens an eine bestimmte Spruchgruppe gehabt hätte, kommt es daher nicht an.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:080217B1STR493.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 32 Nr. 20
TAAAG-45915