BAG Urteil v. - 7 AZR 369/15

Befristung - gerichtlicher Vergleich - Rechtsmissbrauch

Gesetze: § 14 Abs 1 S 2 Nr 8 TzBfG, § 278 Abs 6 S 1 Alt 1 ZPO, § 14 Abs 1 S 2 Nr 3 TzBfG

Instanzenzug: ArbG Magdeburg Az: 4 Ca 3755/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 3 Sa 318/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am geendet hat.

2Die Klägerin war in der Zeit vom bis zum mit mehreren Unterbrechungen auf der Grundlage der folgenden befristeten Arbeitsverträge als Codiererin bei der Beklagten in deren Niederlassung M beschäftigt:

3Gegen die mit Vertrag vom vereinbarte Befristung zum erhob die Klägerin Befristungskontrollklage. Nachdem der Vorsitzende in der Güteverhandlung den Abschluss eines Vergleichs angeregt hatte, erklärte sich die Klägerin bereit, einen Vergleich über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung oder einen Vergleich über eine befristete Weiterbeschäftigung abzuschließen. Die Beklagte teilte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin außergerichtlich mit, sie sei mit dem Abschluss eines Vergleichs über eine befristete Weiterbeschäftigung der Klägerin in der Zeit vom 1. Juli bis zum einverstanden. Daraufhin übermittelte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Arbeitsgericht einen Vergleichsentwurf und bat das Gericht, den Parteien diesen als Vergleich vorzuschlagen. Die Beklagte unterbreitete dem Gericht einen abweichenden Vergleichsvorschlag. Nach weiterer Abstimmung der Parteien teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Arbeitsgericht mit Schriftsatz vom mit, dass der Vergleich wie folgt lauten solle:

4Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom ihr Einverständnis mit dem Vergleich in der Fassung des Vorschlags der Klägerin vom erklärt hatte, stellte das das Zustandekommen dieses Vergleichs fest.

5Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am zugestellten Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, für die Befristung bestehe kein Sachgrund. Sie beruhe nicht auf einem gerichtlichen Vergleich iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG, da der Vergleich nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO zustande gekommen sei.

6Die Klägerin hat beantragt

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO zustande gekommene Vergleich sei ein gerichtlicher Vergleich iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG. Der Klägerin sei es jedenfalls nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der auf ihrem Vergleichsvorschlag beruhenden Befristung zu berufen. Die Befristung sei außerdem nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG sachlich gerechtfertigt. Die Klägerin sei zur Vertretung der seit dem auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig erkrankten Codiererin B beschäftigt worden.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

9Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Der Senat kann auf der Grundlage der bislang getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der vereinbarten Befristung am geendet hat.

10I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Sachantrag ausschließlich als Befristungskontrollantrag nach § 17 Satz 1 TzBfG zu verstehen ist. Dafür bedarf es keines besonderen Feststellungsinteresses ( - Rn. 10; - 7 AZR 541/13 - Rn. 18). Der letzte Halbsatz des Klageantrags, mit dem festgestellt werden soll, dass das Arbeitsverhältnis „zu unveränderten Bedingungen unbefristet fortbesteht“, hat keine eigenständige Bedeutung im Sinne einer allgemeinen Feststellungklage iSv. § 256 Abs. 1 ZPO, die ein besonderes Feststellungsinteresse voraussetzte. Daran fehlte es, da keine weiteren Beendigungstatbestände im Streit sind. Die Klägerin verfolgt daher mit dem letzten Halbsatz des Klageantrags kein von der Befristungskontrolle unabhängiges Klagebegehren, sondern bezeichnet lediglich die Rechtsfolge, die sich bei einer unwirksamen Befristung ihres Arbeitsvertrags ergibt.

11II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Befristung nicht nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam gilt. Die Klägerin hat die Rechtsunwirksamkeit der Befristung mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am zugestellten Klage rechtzeitig nach § 17 Satz 1 TzBfG geltend gemacht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats wahrt auch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit die Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG ( - Rn. 9; - 7 AZR 136/09 - Rn. 13, BAGE 134, 339).

12III. Das Landesarbeitsgericht hat die vereinbarte Befristung des Arbeitsvertrags zum jedoch zu Unrecht nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG für gerechtfertigt gehalten.

131. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags vor, wenn sie auf einem gerichtlichen Vergleich beruht.

14a) Voraussetzung für den Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG ist die Vereinbarung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses in einem gerichtlichen Vergleich, soweit die Parteien darin zur Beendigung eines Kündigungsschutzverfahrens oder eines sonstigen Feststellungsrechtsstreits über den Fortbestand oder die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eine Einigung erzielen (vgl.  - Rn. 14; - 7 AZR 2/14 - Rn. 23; - 7 AZR 891/12 - Rn. 13, BAGE 150, 8; - 7 AZR 734/10 - Rn. 13, BAGE 140, 368). Der gerichtliche Vergleich, mit dem die Parteien zur Beilegung einer derartigen Rechtsstreitigkeit ein befristetes oder auflösend bedingtes Arbeitsverhältnis vereinbaren, unterliegt keiner weiteren Befristungskontrolle. Deren Funktion erfüllt das Arbeitsgericht durch seine ordnungsgemäße Mitwirkung beim Zustandekommen des Vergleichs. Dem Gericht als Grundrechtsverpflichteten iSd. Art. 1 Abs. 3 GG obliegt im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle die Aufgabe, den Arbeitnehmer vor einem grundlosen Verlust seines Arbeitsplatzes zu bewahren und damit einen angemessenen Ausgleich der wechselseitigen, grundrechtsgeschützten Interessen der Arbeitsvertragsparteien zu finden. Diese aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Schutzpflicht erfüllt das Gericht nicht nur durch ein Urteil, sondern auch im Rahmen der gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits. Schlägt das Arbeitsgericht zur Beendigung des Verfahrens über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses einen Vergleich vor, der eine weitere, allerdings zeitlich begrenzte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vorsieht, bietet das im Regelfall eine hinreichende Gewähr dafür, dass diese Befristung nicht deswegen gewählt worden ist, um dem Arbeitnehmer grundlos den gesetzlichen Bestandsschutz zu nehmen (vgl.  - Rn. 15; - 7 AZR 2/14 - Rn. 24; - 7 AZR 734/10 - Rn. 13, aaO; - 6 AZR 394/06 - Rn. 55, BAGE 120, 251).

15b) Ein nach § 278 Abs. 6 ZPO zustande gekommener Vergleich erfüllt die Voraussetzungen eines gerichtlichen Vergleichs iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG nur dann, wenn das Gericht an dem Vergleich verantwortlich mitwirkt. Das ist bei einem nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 ZPO zustande gekommenen Vergleich der Fall. Dagegen wird ein nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO geschlossener Vergleich den Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG in der Regel nicht gerecht. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

16aa) Nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 ZPO wird ein Vergleich dadurch geschlossen, dass die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Durch den Vergleichsvorschlag wirkt das Gericht am Inhalt des Vergleichs verantwortlich mit (vgl.  - Rn. 23; - 7 AZR 2/14 - Rn. 28; - 7 AZR 734/10 - Rn. 25, BAGE 140, 368; - 6 AZR 394/06 - Rn. 55 f., BAGE 120, 251). Wird der Vergleich hingegen nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO dadurch geschlossen, dass die Parteien dem Gericht einen übereinstimmenden schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten, fehlt es in der Regel an der erforderlichen verantwortlichen Mitwirkung des Gerichts ( - Rn. 23; - 7 AZR 2/14 - Rn. 26; - 7 AZR 734/10 - Rn. 19, aaO). Bei einem solchen Vergleich ist der gerichtliche Beitrag - abgesehen von der Prüfung von Verstößen gegen Strafgesetze und gegen §§ 134, 138 BGB - regelmäßig auf eine Feststellungsfunktion beschränkt (vgl.  - Rn. 23; - 7 AZR 2/14 - Rn. 28; - 7 AZR 734/10 - Rn. 25, aaO). Ein nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO zustande gekommener Vergleich genügt nur ausnahmsweise den Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG, wenn das Gericht den Vergleich selbst vorgeschlagen hat (vgl.  - Rn. 24). Diese Differenzierung ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG. Dieser unterscheidet nicht zwischen den beiden Alternativen des § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO. Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG erweist sich jedoch insoweit unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift als unergiebig, da es die in § 278 Abs. 6 ZPO getroffene Regelung bei Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes am noch nicht gab. Bis Ende des Jahres 2001 musste ein den Prozess beendender Vergleich vor Gericht abgeschlossen und nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 ZPO protokolliert werden. Aus der Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG (BT-Drs. 14/4374 S. 19) ergibt sich allerdings, dass der Gesetzgeber den gerichtlichen Vergleich deshalb als Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsvertrags anerkannt hat, weil das Gericht die Möglichkeit und die Obliegenheit hat, beim Abschluss des Vergleichs darauf hinzuwirken, dass bei dessen Inhalt - auch unter Berücksichtigung der Prozessaussichten in dem beigelegten Rechtsstreit - die Schutzinteressen des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich von dem Erfordernis der gerichtlichen Mitwirkung an dem Vergleich Abstand genommen hat. Aus dem Zweck der zum in Kraft getretenen und zum erweiterten Regelung in § 278 Abs. 6 ZPO, den Abschluss eines Prozessvergleichs zu vereinfachen, folgt nicht der Wille des Gesetzgebers, die Befristung eines Arbeitsverhältnisses zu erleichtern ( - Rn. 27).

17bb) Die Differenzierung ist auch unionsrechtlich geboten (vgl.  - Rn. 17, BAGE 140, 368). Nach § 5 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom ergreifen die Mitgliedstaaten, um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, eine oder mehrere der in § 5 Nr. 1 Buchst. a bis Buchst. c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen. Entschließt sich ein Mitgliedstaat zu einer oder mehreren dieser Maßnahmen, hat er das unionsrechtlich vorgegebene Ziel der Verhinderung des Missbrauchs durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu gewährleisten (vgl.  - [Pérez López] Rn. 30 f.; - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 76 f.; - C-362/13 ua. - [Fiamingo ua.] Rn. 60 f.; - C-378/07 ua. - [Angelidaki ua.] Rn. 94 f. mwN, Slg. 2009, I-3071). Es ist Aufgabe der nationalen Gerichte, im Rahmen ihrer Zuständigkeit diesem Ziel bei der Auslegung der nationalen Vorschriften Rechnung zu tragen (vgl.  - [Pérez López] Rn. 35; - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 82; - C-362/13 ua. - [Fiamingo ua.] Rn. 67; - C-378/07 ua. - [Angelidaki ua.] Rn. 106, aaO; - C-53/04 - [Marrosu und Sardino] Rn. 56, Slg. 2006, I-7213; - C-180/04 - [Vassallo] Rn. 41, Slg. 2006, I-7251). Dies geschieht bei dem in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG geregelten Sachgrund durch das Erfordernis der verantwortlichen Mitwirkung des Gerichts an dem Vergleichsschluss (vgl.  - Rn. 29; - 7 AZR 734/10 - Rn. 17, aaO).

182. Danach ist die in dem Vergleich vom vereinbarte Befristung zum entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG gerechtfertigt. Die Parteien haben die streitbefangene Befristung nicht in einem gerichtlichen Vergleich iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG vereinbart. Das Gericht hat am Abschluss des Vergleichs nicht durch einen Vergleichsvorschlag verantwortlich mitgewirkt, vielmehr war sein Beitrag auf eine Feststellungsfunktion beschränkt. Die Parteien haben dem Arbeitsgericht übereinstimmend den die Befristung des Arbeitsvertrags zum enthaltenden Vergleichsvorschlag unterbreitet. Das Arbeitsgericht hat lediglich das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs mit Beschluss vom nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1, Satz 2 ZPO festgestellt.

19IV. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich.

201. Der Senat kann auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob die Befristung durch den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG, auf den sich die Beklagte berufen hat, gerechtfertigt ist. Das Landesarbeitsgericht hat dies nicht geprüft. Dies ist vom Landesarbeitsgericht - ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - nachzuholen.

212. Die Zurückverweisung ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs daran gehindert wäre, sich auf den Sachgrund der Vertretung zu berufen. Das ist nicht der Fall.

22a) Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen (vgl.  - [Popescu] Rn. 44 f., 66; - C-16/15 - [Pérez López] Rn. 31; - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 77, 102; - C-362/13 ua. - [Fiamingo ua.] Rn. 62, 72; - C-586/10 - [Kücük] Rn. 40). Die Beachtung von § 5 Nr. 1 Buchst. a der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom verlangt, dass konkret geprüft wird, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse der Deckung eines zeitweiligen Bedarfs dient und ob eine nationale Vorschrift nicht in Wirklichkeit genutzt wird, um einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken. Hierzu sind stets alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen und dabei namentlich die Zahl der mit derselben Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zurückgreifen, mögen diese auch angeblich zur Deckung eines Vertretungsbedarfs geschlossen worden sein ( - [Popescu] Rn. 65 f.; - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 101 f.; - C-586/10 - [Kücük] Rn. 39 f., 43, 51, 55). Die dazu gebotene zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen (vgl.  - Rn. 23; - 7 AZR 944/13 - Rn. 14; - 7 AZR 310/13 - Rn. 24; - 7 AZR 891/12 - Rn. 27, BAGE 150, 8; grundlegend:  - Rn. 38, BAGE 142, 308 und - 7 AZR 783/10 - Rn. 33).

23aa) Die Kontrolle einer Befristung nach den Grundsätzen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs hängt maßgeblich von der Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie der Anzahl der Vertragsverlängerungen ab. Ist danach die Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs veranlasst, sind weitere Umstände zu berücksichtigen. Dabei kann von Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Bei zunehmender Anzahl befristeter Verträge und Dauer der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann es zudem für eine missbräuchliche Ausnutzung der dem Arbeitgeber an sich rechtlich eröffneten Befristungsmöglichkeit sprechen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreift ( - Rn. 36 mwN). Bei aneinandergereihten befristeten Arbeitsverträgen zur Vertretung liegt die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs näher, wenn die Laufzeit der Verträge wiederholt hinter der prognostizierten Dauer des Vertretungsbedarfs zurückbleibt, ohne dass dafür ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers erkennbar ist (vgl. grundsätzlich  - Rn. 46, BAGE 142, 308). Anhaltspunkte für und gegen einen Rechtsmissbrauch können sich auch aus der Art der Vertretung ergeben; regelmäßig erweist sich etwa eine Befristung zur unmittelbaren Vertretung gegenüber einer mittelbaren Vertretung oder einer Vertretung nach dem Modell der sog. gedanklichen Zuordnung als weniger missbrauchsanfällig (vgl. dazu  - Rn. 22; - 7 AZR 113/13 - Rn. 20 f.). Die Anzahl und Dauer etwaiger Unterbrechungen zwischen den befristeten Arbeitsverträgen können gegen einen Rechtsmissbrauch sprechen (vgl.  - Rn. 27). Bei der Gesamtwürdigung können daneben weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Grundrechtlich gewährleistete Freiheiten können ebenso von Bedeutung sein ( - Rn. 25; - 7 AZR 987/12 - Rn. 38; - 7 AZR 260/12 - Rn. 36; - 7 AZR 443/09 - Rn. 47, aaO) wie besondere Anforderungen der in Rede stehenden Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien, sofern dies objektiv gerechtfertigt ist ( - [Kommission/Luxemburg] Rn. 40;  - Rn. 15).

24bb) Für die Kontrolle einer durch einen Sachgrund gerechtfertigten Befristung nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs gilt ein dreistufiges System. Dieses war bereits in den Ausgangsentscheidungen des Senats ( - Rn. 48, BAGE 142, 308 und - 7 AZR 783/10 - Rn. 43) angelegt und wurde in der weiteren Rechtsprechung des Senats konkretisiert ( - Rn. 25).

25(1) Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen kann an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft werden. Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sachgrundbefristung und erleichtert damit den Abschluss von befristeten Verträgen bis zu der festgelegten Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit. Sie kennzeichnet den nach Auffassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Daher besteht bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrunds kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind (vgl. hierzu etwa  - Rn. 31 f.; - 7 AZR 113/13 - Rn. 31; - 7 AZR 17/13 - Rn. 46, BAGE 150, 366; - 7 AZR 2/14 - Rn. 47; - 7 AZR 96/12 - Rn. 35; - 7 AZR 833/11 - Rn. 25; - 7 AZR 661/11 - Rn. 25, BAGE 144, 193; - 7 AZR 462/11 - Rn. 31; - 7 AZR 783/10 - Rn. 44). Davon ist auszugehen, wenn nicht mindestens das Vierfache eines der in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG bestimmten Werte oder das Dreifache beider Werte überschritten ist. Liegt ein Sachgrund vor, kann also von der Befristung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden, es sei denn, die Gesamtdauer übersteigt bereits acht Jahre oder es wurden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart ( - Rn. 26).

26(2) Werden die Grenzen des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG alternativ oder kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten (vgl. hierzu etwa  -; - 7 AZR 225/11 -). Hiervon ist idR auszugehen, wenn einer der Werte des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG mehr als das Vierfache beträgt oder beide Werte das Dreifache übersteigen. Überschreitet also die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses acht Jahre oder wurden mehr als zwölf Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart, hängt es von weiteren, zunächst vom Kläger vorzutragenden Umständen ab, ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist. Gleiches gilt, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden ( - Rn. 27).

27(3) Werden die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder kumulativ in besonders gravierendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziert sein (vgl. etwa  - Rn. 16; - 7 AZR 310/13 - Rn. 26; - 7 AZR 443/09 - Rn. 48, BAGE 142, 308). Von einem indizierten Rechtsmissbrauch ist idR auszugehen, wenn durch die befristeten Verträge einer der Werte des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten wird oder beide Werte mehr als das jeweils Vierfache betragen. Das bedeutet, dass ein Rechtsmissbrauch indiziert ist, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder wenn mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen. In einem solchen Fall hat allerdings der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften ( - Rn. 28).

28b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Beklagte nicht daran gehindert, sich auf den Sachgrund der Vertretung zu berufen.

29aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beschäftigungszeiten seit dem keinen Anlass für eine Rechtsmissbrauchskontrolle begründen. Die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen sind nicht um ein Mehrfaches überschritten. Die Klägerin war in der Zeit vom bis zum insgesamt etwa 14,5 Monate aufgrund von sieben befristeten Verträgen einschließlich des Vergleichs bei der Beklagten beschäftigt.

30bb) Das Landesarbeitsgericht durfte die Beschäftigungszeiten der Klägerin vor dem bei der Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs unberücksichtigt lassen.

31(1) Zwar sind grundsätzlich die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und die Gesamtzahl der Vertragsverlängerungen in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Unterbrechungszeiten können im Rahmen der Gesamtwürdigung gegen eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Sachgrunds der Vertretung sprechen (vgl.  - Rn. 30). Handelt es sich jedoch um erhebliche Unterbrechungen, welche die Annahme „aufeinanderfolgender Arbeitsverträge“ ausschließen, sind im Rahmen der Rechtsmissbrauchsprüfung nur die Dauer des Arbeitsverhältnisses und die Zahl der Vertragsverlängerungen nach der Unterbrechung zu berücksichtigen (vgl.  - Rn. 47).

32(2) Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin in der Zeit vom bis zum schließe die Annahme „aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse“ im Streitfall aus, nicht zu beanstanden. Eine Unterbrechung von zwei Jahren schließt in der Regel aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse und damit einen Rechtsmissbrauch aus. Bei einer so langfristigen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Beschäftigung nicht der Deckung eines ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarfs dient. Vorliegend kommt hinzu, dass das Arbeitsverhältnis auch vom bis zum und vom bis zum längerfristig unterbrochen war. Die Klägerin wurde für die Dauer des jeweiligen Vertretungsbedarfs befristet beschäftigt. Die Unterbrechungen zeigen, dass kein dauerhafter Beschäftigungsbedarf bestand.

333. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht erübrigt sich nicht deshalb, weil die klageabweisende Entscheidung aus anderen Gründen richtig wäre (§ 561 ZPO). Dies ist nicht der Fall. Der Klägerin ist es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nach § 242 BGB verwehrt, die Unwirksamkeit der Befristung geltend zu machen.

34a) Es verstößt nicht grundsätzlich gegen Treu und Glauben, wenn eine Partei ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft angreift. Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn dadurch für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen ( - Rn. 27, BAGE 140, 368; - 7 AZR 214/07 - Rn. 32 mwN).

35b) Die Beklagte durfte nicht allein deshalb auf die Wirksamkeit der Befristung vertrauen, weil sie in einem Vergleich zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits über die Wirksamkeit der vorangegangenen Befristung vereinbart worden ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten begründet auch der Umstand, dass die Klägerin den Abschluss eines Vergleichs über eine befristete Weiterbeschäftigung vorgeschlagen und den mit der Beklagten abgestimmten Vergleichsvorschlag dem Arbeitsgericht mitgeteilt hat, kein schützenswertes Vertrauen. Besondere Umstände, welche die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen, liegen nicht vor. Die Klägerin hat die Beklagte nicht dazu veranlasst, den Vergleich nur im Weg des § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO (und nicht anders) zu schließen. Vielmehr hatte sie das Arbeitsgericht gebeten, den von ihr zunächst mitgeteilten Vergleichstext als Vergleichsvorschlag zu unterbreiten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:210317.U.7AZR369.15.0

Fundstelle(n):
BB 2017 S. 1267 Nr. 22
DStR 2018 S. 362 Nr. 7
TAAAG-45257