BGH Beschluss v. - XII ZB 260/16

Betreuerbestellung für bestimmte Aufgabenkreise: Beurteilung des Betreuungsbedarfs des Betroffenen

Leitsatz

Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom , XII ZB 510/16 - juris und vom , XII ZB 131/16, FamRZ 2016, 1668).

Gesetze: § 1896 Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: 2 T 340/16vorgehend AG St. Goar Az: 1 XVII 123/14

Gründe

I.

1Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die ursprünglich bevollmächtigte Ehefrau des Betroffenen gegen die Bestellung der Tochter des Betroffenen zur Betreuerin.

2Der Betroffene leidet an mittelschwerer Demenz bei rascher Progredienz. Zu einer freien Willensbildung ist der Betroffene krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage. Am erteilte der Betroffene seiner damaligen langjährigen Lebensgefährtin, der Beteiligten zu 1, eine umfassende Vorsorgevollmacht, während er zugleich in einer Betreuungsverfügung seine Tochter, die Beteiligte zu 2, als Betreuerin vorschlug. Ob er damals noch geschäftsfähig war, ist nach dem Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens sehr zweifelhaft. Am heiratete der Betroffene die Beteiligte zu 1. Zu diesem Zeitpunkt war er geschäftsunfähig. Die Beteiligte zu 2 widerrief mit Schreiben vom die Vorsorgevollmacht zugunsten der Beteiligten zu 1.

3Das die Beteiligte zu 2 als Betreuerin mit folgenden Aufgabenkreisen bestellt: Vermögenssorge; Vertretung gegenüber Behörden/Versicherungen/Renten- und Sozialleistungsträgern; Gesundheitsfürsorge; Aufenthaltsbestimmung; Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise; Wohnungsangelegenheiten; Abschluss und Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages; Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten; Widerruf von erteilten Vollmachten. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der die Beteiligte zu 1 weiterhin gegen die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen vorgeht.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

51. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Betreuung müsse zwischen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf unterschieden werden. Eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen setze kumulativ voraus: eine psychische Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung; das hieraus resultierende Unvermögen, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise zu besorgen; Erforderlichkeit der Betreuerbestellung wegen Nichtvorhandenseins anderer Hilfen. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Der Betroffene leide an einer zumindest mittelschweren Demenz vom Alzheimer-Typ. Er sei nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten zu besorgen. Die Vorsorgevollmacht vom stehe der Einrichtung einer Betreuung nicht entgegen, weil die Beteiligte zu 2 die Vorsorgevollmacht am wirksam widerrufen habe. Ob der Betroffene bei der Errichtung der Vorsorgevollmacht geschäftsunfähig gewesen sei, brauche deswegen nicht abschließend entschieden zu werden. Die Auslegung des der Beteiligten zu 2 in der angefochtenen Entscheidung übertragenen Aufgabenkreises ergebe zweifelsfrei, dass ihr die Befugnis zum Widerruf der Vorsorgevollmacht ausdrücklich als eigenständiger Aufgabenkreis zugewiesen worden sei.

62. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7a) Gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 510/16 - juris Rn. 18 und vom - XII ZB 131/16 - FamRZ 2016, 1668 Rn. 14 mwN).

8Das Beschwerdegericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die der Beteiligten zu 1 erteilte Vorsorgevollmacht vom der Erforderlichkeit einer Betreuung nicht entgegensteht, nachdem die Beteiligte zu 2 diese Vollmacht wirksam widerrufen hat (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702). Indessen sind die bislang getroffenen Feststellungen hinsichtlich des Aufgabenkreises "Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seiner Bevollmächtigten" nicht ausreichend.

9Soweit das vom Amtsgericht erhobene psychiatrische Sachverständigengutachten vom (St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein / Psychiatrie / Leitender Arzt Priv.-Doz. Dr.   M.       ) zu dem Ergebnis kommt, dass der Betroffene bei der Heirat am nicht geschäftsfähig war, hat das Amtsgericht durch gesonderten Beschluss vom den Aufgabenkreis der Betreuung hinsichtlich der Stellung eines Antrags auf Eheaufhebung erweitert. Dieser Aufgabenkreis ist vorliegend nicht streitgegenständlich. Weitere Feststellungen zu konkreten Rechten des Betroffenen, die gegenüber der Beteiligten zu 1 geltend gemacht werden sollen, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen.

10b) Kommt das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis, dass die Betreuung zu Recht angeordnet ist, muss es auch die Betreuerauswahl auf ihre Richtigkeit hin überprüfen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 579/15 - FamRZ 2016, 1258 Rn. 14). Deshalb hätte sich das Beschwerdegericht mit dem angespannten Verhältnis zwischen der Tochter und der Ehefrau des Betroffenen auseinandersetzen müssen, das durch den Widerruf der Vorsorgevollmacht nicht beseitigt worden ist.

11Auch fehlen jegliche Feststellungen dazu, ob die Beteiligte zu 2 geeignet erscheint, die Rechte des Betroffenen zu wahren, nachdem der ungeklärte Vorwurf im Raum steht, sie habe im Zusammenwirken mit ihrem Bruder versucht, Konten des Betroffenen über insgesamt rund 200.000 € zu kündigen und dieses Geld - ebenso wie insgesamt 20.000 € vom Girokonto des Betroffenen - jeweils hälftig auf Konten der Geschwister zu transferieren.

123. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben.

13Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Landgericht zunächst die erforderlichen Feststellungen zur Frage des Betreuungsbedarfs und der Betreuerauswahl zu treffen haben wird.

14Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:220317BXIIZB260.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 8 Nr. 20
NJW-RR 2017 S. 641 Nr. 11
GAAAG-43423