BGH Urteil v. - VII ZR 170/16

Bauvertrag: Wirksamkeit eines formularmäßig vereinbarten Sicherheitseinbehalts durch den Auftraggeber bei Ablösungsmöglichkeit erst nach Beseitigung festgestellter Mängel

Leitsatz

Die von einem Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Formularklauseln

Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den Auftraggeber in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen.

Der Auftragnehmer ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen.

sind bei der gebotenen Gesamtbeurteilung wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (Fortführung von , BGHZ 157, 29).

Gesetze: § 307 Abs 1 S 1 BGB

Instanzenzug: Az: 7 U 702/15vorgehend LG Gera Az: 2 O 853/13

Tatbestand

1Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von Restwerklohn für Bauarbeiten.

2Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit schriftlichem "Bauwerkvertrag nach BGB" vom 25./ (im Folgenden: Bauwerkvertrag) mit der Errichtung eines Rohbaus für einen Anbau (Einliegerwohnung/Erweiterungsbau zum bestehenden Einfamilienhaus) in J. zum Pauschalpreis von brutto 150.000 €.

3§ 22 des Bauwerkvertrags lautet auszugsweise:

"§ 22 Sicherheitseinbehalt

22.1 Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den AG [= Auftraggeber] in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen.

22.2 Der AN [= Auftragnehmer] ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen. …"

4Die Klägerin kündigte den Vertrag mit Anwaltsschreiben vom wegen fehlender Baufreiheit. Sie erteilte am Schlussrechnung, mit der sie einen Restbetrag von 59.469,09 € geltend machte. Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Schreiben vom wegen Schuldnerverzugs.

5In einem vom datierenden, von der Beklagten und dem Architekten O., nicht aber von der Klägerin unterschriebenen Abnahmeprotokoll sind Mängel und nicht erfolgte Restarbeiten aufgeführt.

6Die Klägerin hat in erster Instanz Restwerklohn zuletzt in Höhe von 59.169,09 € nebst Zinsen gefordert. Das Landgericht hat die Beklagte nach Beweisaufnahme verurteilt, an die Klägerin 14.063,08 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen dieses Urteil sind erfolglos geblieben.

7Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision zugelassen, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme (= 7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen hat der Senat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil zurückgewiesen.

8Mit der Revision verfolgt die Klägerin den nicht zuerkannten Werklohnanspruch zuzüglich Zinsen im Umfang der Zulassung der Revision weiter.

Gründe

9Die Revision der Klägerin führt im angefochtenen Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

10Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

11Bezüglich des Sicherheitseinbehalts sei die Berufung unbegründet. Das Landgericht habe den Sicherheitseinbehalt zu Recht von der Klageforderung abgezogen. Er sei entgegen der Ansicht der Klägerin wirksam vereinbart. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Einbehalt nicht nur wegen wesentlicher, sondern auch wegen unwesentlicher Mängel zugelassen sei.

12Auch die fehlende Regelung über eine Einzahlung auf ein Sperrkonto führe nicht zur Unwirksamkeit der Klausel. Denn eine solche Anforderung stelle nur § 17 VOB/B. Die VOB/B sei aber im vorliegenden Fall nicht wirksam in den Bauvertrag einbezogen worden. Deshalb sei auch die Sperrkontoregelung des § 17 VOB/B nicht anzuwenden.

13Einer Wirksamkeit der Einbehaltsklausel stehe auch nicht entgegen, dass ein Sicherheitseinbehalt neben einem Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht werden könne.

II.

14Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen nicht zurückgewiesen werden.

151. Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 und § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.

162. Auf dieser Grundlage ist die Vereinbarung eines Einbehalts "in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen" gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

17a) Nach dieser Vorschrift ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. Rn. 22; vom - III ZR 264/15, NJW-RR 2016, 1387 Rn. 25; vom - IV ZR 172/15, VersR 2016, 1420 Rn. 27 und vom - VII ZR 29/13, BauR 2016, 1475 Rn. 15 = NZBau 2016, 556).

18Bei der Prüfung, ob eine vom Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellte Klausel, mit der ein Sicherheitseinbehalt vereinbart wird, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, sind nicht nur Höhe und Dauer des Einbehalts, sondern auch der Regelungszusammenhang, in dem die Klausel steht, zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für die Art, wie der Einbehalt abgelöst werden kann (vgl. , BGHZ 136, 27, 30, juris Rn. 12). Sicherungseinbehalt und Ablösungsmöglichkeit sind untrennbar miteinander verknüpft, was eine einheitliche, die wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Gesamtbeurteilung des die Sicherungsvereinbarung betreffenden Regelungsgefüges gebietet (vgl. , BGHZ 179, 374 Rn. 20 m.w.N.).

19Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs benachteiligt eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, nach der der Auftraggeber für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche vornehmen darf, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, wenn diesem kein angemessener Ausgleich dafür zugestanden wird, dass er, der Auftragnehmer, den Werklohn nicht sofort ausgezahlt bekommt, das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen muss und ihm die Liquidität sowie die Verzinsung des Werklohns vorenthalten werden (, NZBau 2007, 583 Rn. 6 m.w.N. = BauR 2007, 1575, 1576).

20Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, wonach ein Sicherheitseinbehalt in Höhe von 5 % der Bausumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist durch eine selbstschuldnerische unbefristete Bürgschaft abgelöst werden kann, nicht gemäß § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam (, BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 f.). Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass die in der Zinsbelastung und der Einschränkung der Kreditlinie liegenden Nachteile bei Bereitstellung einer derartigen Bürgschaft in Anbetracht der berechtigten Sicherungsinteressen des Auftraggebers nicht als so gewichtig erscheinen, dass ihretwegen die Unwirksamkeit der Klausel angenommen werden müsste (, BauR 2004, 841, 843, juris Rn. 20 = NZBau 2004, 323).

21Eine solche Klausel ist indes nach § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam, wenn die Ablösung des Sicherheitseinbehalts zusätzlich davon abhängig gemacht wird, dass wesentliche Mängel nicht (mehr) vorhanden sind (vgl. , BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 und 17).

22b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die formularmäßige Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

23Die Vertragsbestimmungen § 22.1 und § 22.2 Satz 1 bilden entsprechend dem vorstehend Ausgeführten eine untrennbare Einheit; sie unterliegen einer Gesamtbeurteilung.

24Die getroffene Regelung benachteiligt die Klägerin als Auftragnehmerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Das ergibt sich jedenfalls aus der Einschränkung, dass eine Ablösungsmöglichkeit bezüglich des Sicherheitseinbehalts frühestens nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlenden Leistungen besteht. Diese Einschränkung ist so weitreichend, dass ein angemessener Ausgleich zu den mit dem Sicherheitseinbehalt für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen nicht mehr zugestanden wird (vgl. , BGHZ 157, 29, 32, juris Rn. 17). Die Frage, ob im Abnahmeprotokoll festgestellte Mängel vollständig beseitigt sind, kann Gegenstand langwieriger Kontroversen sein, die sich über die Dauer der Verjährungsfrist für die Mängelansprüche hinziehen können. Jeder diesbezügliche Streit kann zur Blockade der Ablösungsmöglichkeit führen, so dass es dann bei dem Sicherheitseinbehalt und den mit diesem für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen bleibt (vgl. , aaO). Entsprechendes gilt bezüglich etwaiger im Abnahmeprotokoll als fehlend festgestellter Leistungen.

III.

25Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. In diesem Umfang ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen in der Sache nicht selbst entscheiden (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO), weshalb die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

26Das Berufungsgericht wird Feststellungen dazu zu treffen haben, ob es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:300317UVIIZR170.16.0

Fundstelle(n):
BB 2017 S. 1026 Nr. 19
DB 2017 S. 6 Nr. 16
NJW 2017 S. 1941 Nr. 27
NJW 2017 S. 8 Nr. 19
WM 2017 S. 802 Nr. 17
ZIP 2017 S. 31 Nr. 16
ZIP 2017 S. 975 Nr. 20
WAAAG-42878