BFH Beschluss v. - VII B 36/99

Gründe

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte beim Finanzgericht (FG) beantragt, den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) zu verpflichten, bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis 500 000 DM, ersatzweise Haft, zu unterlassen, die falsche Tatsachenbehauptung aufzustellen, der Kläger habe zumindest im Sinne der Beihilfe an der Steuerhinterziehung des X mitgewirkt. Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Bezeichnung des Klägers in dem vor dem beabsichtigten Erlass eines Haftungsbescheids nach § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) an den Kläger gerichteten Anhörungsschreiben vom als Teilnehmer einer Steuerhinterziehung sei zwar ehrenrührig, jedoch in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 des Strafgesetzbuchs) erfolgt. So wie in einem auf § 71 AO 1977 gestützten Haftungsbescheid ausgesprochen werden müsse, dass der Haftende an einer Steuerhinterziehung beteiligt gewesen sei, so sei es dem FA auch nicht verwehrt, in dem vor Erlass eines solchen Bescheids ergangenen Anhörungsschreiben nach § 91 AO 1977 dem Betroffenen seine Rechtsansicht mitzuteilen, damit dieser sich darauf einstellen könne. Eine strafgerichtliche Verurteilung des Betroffenen sei nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens. Das FA sei ferner nicht verpflichtet, in seinem Schreiben den Konjunktiv zu verwenden, wenn es denn subjektiv seiner Sache sicher sei. Ob der Vorwurf zutreffe, sei im Rechtsbehelfs- und Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid zu klären. Allerdings dürfe ein Anhörungsschreiben nicht zu beleidigenden Äußerungen missbraucht werden. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall. Das FA habe den Vorwurf nicht ins Blaue hinein erhoben, sondern könne sich auf bestimmte Verdachtsmomente stützen, die seine Wertungen als nachvollziehbar erscheinen ließen. Das Schreiben sei auch sachlich abgefasst und lediglich an den Kläger persönlich gerichtet. Selbst wenn, nach der Formulierung des letzten Absatzes zu schließen, bereits festgestanden habe, dass ein Haftungsbescheid erlassen werde, wäre dies nicht schädlich. § 91 AO 1977 verlange nur ”Anhörung” und nicht ”Erhörung” des Beteiligten.

Mit der vorliegenden Beschwerde begehrt der Kläger, gestützt auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Zulassung der Revision gegen das vorinstanzliche Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung und Verfahrensmängeln.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Die Beschwerde ist insgesamt unbegründet, weil der Kläger weder die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage noch den Verfahrensmangel der Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO in einer den Anforderungen entsprechenden Weise in der Beschwerdeschrift dargelegt bzw. bezeichnet hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) und das Recht auf Gehör des Klägers nicht verletzt worden ist.

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605), die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. die Hinweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 115 Rz. 8 ff.). Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Beschwerdeschrift schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dazu ist erforderlich, dass der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).

a) Diesen Anforderungen wird die lediglich formelhafte Behauptung des Klägers, ”aus Gründen der Rechtssicherheit und der einheitlichen Handhabung des Rechts besteht ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit” an der Klärung der Frage, ob in einem Anhörungsschreiben die definitive Behauptung aufgestellt werden dürfe, der Anzuhörende habe zumindest eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung begangen oder ob darin lediglich geäußert werden dürfe, dass der Verdacht einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung bestehe, nicht gerecht.

Davon abgesehen dürfte die aufgeworfene Frage für den Streitfall unerheblich sein, denn ob das FA in einem Anhörungsschreiben den Vorwurf der Steuerhinterziehung oder Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Konjunktiv erhebt, wie es der Kläger offensichtlich allein für rechtens hält, oder ob es, wie im Streitfall, formuliert, ”nach der Rechtsauffassung aller beteiligten Stellen sind Sie wegen Ihres vorsätzlich geleisteten Beitrags an der Steuerhinterziehung des X gemäß § 71 AO 1977 in Anspruch zu nehmen” und dann anschließend im Indikativ fortfährt, ist nach Auffassung des Senats allenfalls eine Frage des Stils und des Geschmacks, macht aber rechtlich keinen Unterschied, denn in beiden Fällen teilt das FA dem Betroffenen lediglich seine Rechtsauffassung mit. Im Übrigen ist unerfindlich, wie der Kläger bei einem lediglich an ihn persönlich gerichteten Anhörungsschreiben ernsthaft vorbringen kann, das FA habe die betreffende Äußerung ”gegenüber jedermann” erhoben.

b) In gleicher Weise unzureichend dargelegt ist die weitere vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung, ob nämlich das FA Äußerungen des Angehörten zu berücksichtigen habe oder ob es sich bereits vor der Anhörung auf das Gegenteil festlegen könne. Zudem ist auch hier, so meint der Senat, die aufgeworfene Frage im Streitfall nicht relevant. Aus der vom Kläger als anstößig empfundenen Passage des Anhörungsschreibens (”Gegebenenfalls bitte ich noch um Stellungnahme bis zum . Danach werde ich den entsprechenden Haftungsbescheid erlassen ...”) ergibt sich bei verständiger Auslegung keineswegs, dass das FA eine etwaige Äußerung des Klägers mit Sicherheit nicht berücksichtigen werde, sondern vielmehr, dass nach Ablauf dieser Frist, ohne dass sich der Kläger innerhalb dieser Frist geäußert hätte, ein Haftungsbescheid ergehen wird.

2. Als Verfahrensfehler macht der Kläger geltend, das FG habe den Inhalt der ihm vorliegenden Akten nicht vollständig oder nicht einwandfrei berücksichtigt und damit gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen. Ferner habe es sein Recht auf Gehör verletzt.

a) Soll als Verfahrensfehler ein Verstoß des FG gegen den klaren Inhalt der Akten gerügt werden, muss schlüssig dargelegt werden, dass das FG unter Zugrundelegung seiner materiell-rechtlichen Auffassung gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts verstoßen hat (vgl. , BFH/NV 1999, 1099). Eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt hiernach vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder wenn eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt geblieben ist. Dementsprechend setzt die schlüssige Rüge eines solchen Verstoßes die Darlegung voraus, dass ein von den Beteiligten vorgetragener oder aus den Akten ersichtlicher Sachverhalt vom FG nicht zur Kenntnis genommen worden sei, dass Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung dem FG sich hätten aufdrängen müssen oder dass das FG falsche Beweisregeln bei der Ermittlung des Gesamtergebnisses des Verfahrens angewendet habe (, BFH/NV 1997, 794).

Die Beschwerdeschrift enthält diesen Anforderungen entsprechende Darlegungen nicht. Der Kläger bezeichnet insbesondere darin keine Tatsachen, die klar feststehen und vom FG etwa außer Acht gelassen worden wären. Der Kläger ist vielmehr der Auffassung, er habe in den im Einzelnen bezeichneten Schriftsätzen dargelegt, dass die vom FA vorgebrachten Verdachtsmomente eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung nicht begründeten und dass das FA bei Erlass seines Anhörungsschreibens wusste, dass dies so ist. Das sind lediglich Rechtsansichten und Wertungen des Klägers, aber keine klar und objektiv feststehenden Tatsachen, die das FG bei seinem Urteil hätte zwingend berücksichtigen müssen. In Wirklichkeit macht der Kläger mit seinen Angriffen lediglich geltend, das FG hätte den Akteninhalt und sein Vorbringen anders, nämlich in seinem Sinne, würdigen müssen. In der nach Auffassung des Beteiligten unzutreffenden Würdigung des eigenen Vorbringens ist aber grundsätzlich kein Verfahrensfehler zu sehen (, BFH/NV 1997, 246). Die Rüge mangelhafter Sachaufklärung, dass sich dem FG etwa Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung hätten aufdrängen müssen, hat der Kläger nicht erhoben, auch nicht, dass das FG falsche Beweisregeln bei der Ermittlung des Gesamtergebnisses des Verfahrens angewendet hätte.

b) Die schließlich erhobene Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör durch eine Überraschungsentscheidung des FG ist jedenfalls unbegründet. Soweit der Kläger den Gesichtspunkt des FG für überraschend hält, dass sich das FA seiner Sache subjektiv sicher gewesen sei und dass es sich keine Einwände habe vorstellen können, die es vom Erlass eines Haftungsbescheids hätten abbringen können, macht er einen Gesichtspunkt geltend, der nach Auffassung des Senats in keiner Weise entscheidungserheblich ist. Wie vorstehend bereits ausgeführt wurde, ist die Formulierung des Anhörungsschreibens im Indikativ nach der gegebenen Einleitung (”nach der Rechtsauffassung aller beteiligten Stellen”) ohne rechtliche Bedeutung. Aus der Nichtverwendung des Konjunktivs kann mithin der Kläger nichts herleiten. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger dazu noch etwas hätte vorbringen wollen.

Das FG ist davon ausgegangen, dass eine ganze Reihe von Verdachtsmomenten die Wertungen des FA als nachvollziehbar erscheinen lasse. Wenn der Kläger nunmehr einen einzigen dieser Punkte (Abstimmung der Antwort an das FA mit Y) herausgreift und sich darauf beruft, dieser rechtliche Gesichtspunkt sei zuvor nicht angesprochen worden, so kann dies nichts daran ändern, dass die anderen vom FG angesprochenen Verdachtsmomente für sich allein ausreichen, die Wertungen des FA als nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Daher ist es auch insoweit unerheblich, ob der Kläger dazu noch etwas hätte vorbringen können und wollen.

Dass es der Kläger schließlich versäumt hat, von seinem Recht auf Akteneinsicht Gebrauch zu machen, muss er sich selbst anlasten. Das FG ist nicht verpflichtet, die Beteiligten im Einzelnen darüber zu unterrichten, welche sich aus den Verwaltungsakten ergebenden Tatsachen es in seine Entscheidung einfließen lassen will. Im Übrigen war der Inhalt des Anhörungsschreibens dem Kläger bekannt, denn darin war ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Auffassung des FA der Auffassung aller beteiligten Stellen (innerhalb des Entscheidungsprozesses der Verwaltung) entsprach. Weshalb das FG den Kläger hierauf hätte ausdrücklich hinweisen müssen, um dessen Recht auf Gehör nicht zu verletzen, ist nicht nachvollziehbar.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 1355 Nr. 11
VAAAA-66045