BSG Urteil v. - B 5 RS 3/16 R

Instanzenzug: SG Dresden Az: S 50 RS 1112/14 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 5 RS 152/15 Urteilvorgehend Az: B 5 RS 40/15 B Beschluss

Tatbestand

1Der Kläger begehrt im Zugunstenverfahren die Feststellung weiterer Arbeitsentgelte in Gestalt jährlicher Jahresendprämien (JEP) für Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech).

2Dem im Jahre 1940 geborenen Kläger wurde nach einem Studium in der Fachrichtung Technologie der Bauproduktion an der Hochschule für Bauwesen L. mit Urkunde vom der akademische Grad "Diplom-Ingenieur" verliehen. Vom bis (und darüber hinaus) war er als Ingenieur, Gruppenleiter Technologie, Erster Fachtechnologe und Leiter des Abschnitts Technologie im volkseigenen Betrieb (VEB) G. beschäftigt.

3Der Kläger erhielt zu Zeiten der DDR keine Versorgungszusage und war auch nicht in ein Zusatzversorgungswerk der Anlage 1 zum AAÜG einbezogen.

4Mit Bescheid vom stellte die Beklagte die Beschäftigungszeiten des Klägers vom bis als "nachgewiesene Zeiten" der AVItech sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte fest.

5Mit Schreiben vom beantragte der Kläger die rückwirkende Neufeststellung der Zusatzversorgungszeiten unter Einbeziehung von JEP und Bergmannsprämien. Hierzu legte er eine notariell beglaubigte Erklärung des ehemaligen Generaldirektors Dr. R., des ehemaligen ökonomischen Direktors Dr. T., des ehemaligen stellvertretenden Hauptbuchhalters K. und des ehemaligen Direktors für Arbeiterversorgung und Sozialökonomie S. des ehemaligen VEB G. vom vor. Nach dieser Erklärung sind in den Jahren 1969 bis 1989 in allen Kombinatsbetrieben des VEB G. JEP und zusätzliche Belohnungen im Bergbau gemäß den damaligen Vorschriften gezahlt worden. Auf Anfrage der Beklagten teilte die R. GmbH mit Schreiben vom mit, dass im früheren Beschäftigungsbetrieb des Klägers keine Unterlagen über Prämienzahlungen mehr vorhanden seien. Die zusätzlichen Belohnungen im Bergbau für die Jahre 1966 bis 1990 gab sie anhand fiktiv ermittelter Werte an.

6Mit Bescheid vom stellte die Beklagte erneut die Beschäftigungszeiten des Klägers vom bis als "nachgewiesene Zeiten" der AVItech sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest, wobei sie für die Jahre 1966 bis 1990 unter Berücksichtigung der von der R. GmbH fiktiv ermittelten Werte für zusätzliche Belohnungen im Bergbau höhere Entgelte zugrunde legte. Gleichzeitig hob sie den "bisherigen Bescheid" auf, "soweit er diesem Bescheid entgegensteht" und wies darauf hin, dass Prämien und Auszeichnungen ohne Geldwert nicht berücksichtigt werden könnten.

7Mit Schreiben vom beantragte der Kläger erneut unter Vorlage der notariell beglaubigten Erklärung vom die rückwirkende Feststellung der Zusatzversorgungszeiten unter Einbeziehung von JEP. Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Zufluss dieser Einkünfte sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom ).

8Während das SG Dresden die Klage mit Gerichtsbescheid vom abgewiesen hat, ist die Berufung des Klägers überwiegend erfolgreich gewesen. Mit Urteil vom hat das LSG die Beklagte unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Aufhebung der angefochtenen Bescheide sowie Zurückweisung der Berufung im Übrigen verurteilt, den Bescheid vom in der Fassung des Bescheids vom zu ändern und zu Gunsten des Klägers für die Zuflussjahre 1970 bis 1990 weitere Arbeitsentgelte in Gestalt von JEP im Rahmen der bereits festgestellten Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech in bestimmter jährlicher (im Tenor bezifferter Höhe) festzustellen. Zur Begründung hat des Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

9Der Kläger habe einen Anspruch auf Feststellung der JEP als weitere Arbeitsentgelte in dem tenorierten Umfang. JEP seien Arbeitsentgelte iS von § 14 SGB IV und damit iS von § 6 Abs 1 S 1 AAÜG. Gemäß § 117 Abs 1 AGB-DDR habe ein Anspruch auf JEP bestanden, wenn deren Zahlung für das Arbeitskollektiv, dem der Werktätige angehört habe, im Betriebskollektivvertrag vereinbart worden sei, der Werktätige und sein Arbeitskollektiv die vorgesehenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hätten und der Werktätige während des gesamten Planjahres Angehöriger des Betriebs gewesen sei. Um eine Feststellung von JEP als zusätzliche Entgelte beanspruchen zu können, müsse der jeweilige Antragsteller nachweisen oder glaubhaft machen, dass diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Jahr erfüllt worden seien und zusätzlich, dass ihm ein bestimmter berücksichtigungsfähiger Betrag auch zugeflossen, dh tatsächlich gezahlt worden sei. Gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG entscheide das Gericht dabei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Neben dem Vollbeweis, dh der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, sei auch die Möglichkeit der Glaubhaftmachung des Vorliegens weiterer Arbeitsentgelte in Gestalt von JEP gegeben. Dies könne aus der Vorschrift des § 6 Abs 6 AAÜG abgeleitet werden. Danach werde, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht werde, der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt. Der Kläger habe zwar nicht nachgewiesen, aber glaubhaft gemacht, dass die drei rechtlichen Voraussetzungen des § 117 Abs 1 AGB-DDR für den Bezug einer JEP in den geltend gemachten Beschäftigungsjahren 1969 bis 1989 vorgelegen hätten und ihm jeweils eine JEP tatsächlich gezahlt worden sei. Die konkrete Höhe der JEP, die in den jeweils nachfolgenden Jahren (1970 bis 1990) für das vorangegangene Beschäftigungsjahr zur Auszahlung an ihn gelangten, habe er weder nachweisen noch glaubhaft machen können; hinsichtlich der Höhe mache das Gericht jedoch von seiner im Rahmen der konkreten Einzelfallwürdigung von Rechts wegen gegebenen Möglichkeit der Schätzung Gebrauch. Nach dem - SozR 3-8570 § 8 Nr 3) dürfe und müsse das Gericht, wenn der Bezug (irgend-)einer JEP für die konkreten Beschäftigungsjahre dem Grunde nach glaubhaft gemacht worden sei, deren Höhe aber weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht werden könne, diese im Rahmen der konkreten Einzelfallwürdigung schätzen.

10Die Befugnis hierzu ergebe sich aus § 202 SGG iVm § 287 Abs 2, Abs 1 S 1 Altern 2 ZPO. Die Voraussetzungen dieser Normen seien hier gegeben: Bei der Feststellung weiterer Arbeitsentgelte im Rahmen der festgestellten Zeiten der fingierten Zugehörigkeit des Klägers zur AVItech handele es sich zumindest mittelbar und sekundär um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Das von der Beklagten nach § 6 Abs 1 S 1 AAÜG festzustellende und dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung mitzuteilende (§ 8 Abs 1 S 1 und S 2 AAÜG) erzielte Arbeitsentgelt sei Grundlage der Berechnung der Höhe einer Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dass es sich bei dem Verfahren über die Feststellung von Entgeltdaten nach dem AAÜG in einem dem Vormerkungsverfahren nach § 149 SGB VI ähnlichen Verfahren, welches der späteren Rentenfeststellung nur vorgelagert sei, um eine vermögensrechtliche Streitigkeit iS des § 287 Abs 2 ZPO handele, habe das BSG bereits im Urteil vom (aaO) implizit bestätigt und aktuell nochmals mit Beschluss vom (B 5 RS 11/14 B - amtlicher Umdruck, RdNr 10) hervorgehoben. Die vollständige Aufklärung aller für die Berechnung der konkret zugeflossenen JEP-Beträge maßgebenden Umstände (jährliche Betriebskollektivverträge, individuelle und kollektive Leistungskennziffern, Berechnungsmethoden und Berechnungsgrundlagen ausgehend von den Zielvorgaben der staatlichen Planauflagen, beispielsweise in einer Betriebsprämienordnung) sei auch mit Schwierigkeiten verbunden, die zur Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stünden.

11Bei der gebotenen Schätzung lege das Gericht als jährlichen Basiswert der JEP-Höhe den im jeweiligen Planjahr erzielten durchschnittlichen Bruttomonatslohn des Klägers zugrunde, der im Bescheid der Beklagten vom festgestellt sei. Bei der JEP habe es sich um ein sog 13. Monatsgehalt in der (Mindest-)Höhe eines Bruttomonatslohns gehandelt. Ein anderer Ausgangswert sei zudem nicht vorhanden, weil die Grundlagen der konkreten Leistungskennziffern unbekannt seien. In diesen Fällen sei auch nach den maßgeblichen DDR-Regelungen von den im Betrieb üblichen Bedingungen auszugehen, wobei vergleichende Feststellungen mit den an andere Betriebsangehörige als JEP gezahlten Beträgen als Anhaltspunkte dienen könnten. Auch die maßgeblichen Prämienverordnungen hätten in ihren abstrakten Rahmenvorgaben hinsichtlich der Höhe der JEP an den durchschnittlichen Monatsverdienst angeknüpft. Von diesem jährlichen Basiswert mache das Gericht einen Abschlag in Höhe von 30 %. Mit diesem Abschlag werde den Tatsachen Rechnung getragen, dass die konkrete Höhe der jeweiligen jährlichen JEP von einer Vielzahl individueller und kollektiver Faktoren abhängig gewesen sei, die rückschauend betrachtet in ihrer Gesamtheit nicht mehr im Einzelnen nachvollzogen werden könnten. Von den somit zugrunde gelegten (geschätzten) 70 % eines monatlichen Bruttodurchschnitts sei ein weiterer Abzug in Höhe eines Sechstels als sachgerecht zu veranschlagen, so dass im Ergebnis lediglich fünf Sechstel von 70 % zu berücksichtigen seien. Dieser zusätzliche Abschlag sei nach Ansicht des Senats aus zwei Gründen gerechtfertigt: Zum einen werde damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger den Zufluss der JEP dem Grunde nach nicht nachgewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht habe (Rechtsgedanke des § 6 Abs 6 AAÜG). Zum anderen sei dieser Abschlag auch wegen eines Erstrecht-Schlusses (argumentum a fortiori) gerechtfertigt. Wenn schon das Gesetz in § 6 Abs 6 AAÜG eine Berücksichtigung von fünf Sechsteln bei nur glaubhaft gemachter Höhe des weiteren Arbeitsentgelts vorsehe, dann müsse dies erst recht gelten, wenn die Höhe nicht einmal glaubhaft gemacht sei, sondern lediglich vom Gericht geschätzt werden könne. Auf der Grundlage dieser Schätzung ergäben sich für die Jahre 1969 bis 1989 (und damit für die Zuflussjahre 1970 bis 1990) die tenorierten JEP-Zahlungen.

12Soweit der Kläger darüber hinausgehend die Feststellung noch höherer Arbeitsentgelte begehre, sei die Berufung unbegründet.

13Mit der vom Senat zugelassenen Revision (Beschluss vom - B 5 RS 40/15 B) rügt die Beklagte im Wesentlichen die Verletzung von § 6 Abs 1 S 1, § 8 Abs 1 S 2 AAÜG. Ob das Gericht im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) von seiner ihm von Gesetzes wegen zustehenden Schätzbefugnis und damit von einer Beweiserleichterung Gebrauch mache, sei eine Entscheidung, die es nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen habe. Im vorliegenden Fall sei dem LSG ein Ermessensfehlgebrauch unterlaufen. Es habe die Grenzen richterlicher Beweiswürdigung verletzt. Das LSG habe die Höhe der JEP nicht schätzen dürfen. Ein Rückgriff auf die Vorschrift des § 287 Abs 2 ZPO im geschlossenen System des Nachweises bzw der Glaubhaftmachung von Entgelten in der gesetzlichen Rentenversicherung sei systemwidrig. Eine Schätzung sei deshalb von vornherein ausgeschlossen, wie auch das LSG Mecklenburg-Vorpommern ua im Urteil vom - L 7 R 311/12 - entschieden habe. Das Berufungsgericht habe Arbeitsentgelt beweiserleichternd geschätzt, obwohl nach seiner eigenen Bewertung die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 117 Abs 1 AGB-DDR für diese Art von Geldleistungen nicht nachgewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht worden seien. Für das LSG stehe also nicht fest, dass der Kläger einen solchen Anspruch auf JEP dem Grunde nach gehabt habe. Es halte dieses nur für überwiegend wahrscheinlich bzw sehe eine gute Möglichkeit dafür, dass ein solcher Anspruch an sich bestanden habe. Bei der Feststellung der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale sei jedoch nur der Beweismaßstab des Vollbeweises (Gewissheit, an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit) anzulegen. Auch im Sozialrecht müssten alle anspruchsbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Richters erwiesen sein, dh ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, bevor eine gesetzliche Beweiserleichterung (Schätzung der Höhe eines Anspruchs) zum Tragen kommen könne (vgl - RdNr 4). Das Beweismaß der Glaubhaftmachung in § 6 Abs 6 AAÜG gelte nur für die Höhe von Arbeitsentgelt. Der Überzeugungsgrad der Glaubhaftmachung betreffe dagegen nicht diejenigen Tatsachen, die den Zahlungsanspruch als solchen begründeten. In diesem Sinne verhalte sich auch die Entscheidung des . Zudem habe das Berufungsgericht die Entscheidung des (aaO) missverstanden: Nur wenn und soweit die Höhe des tatsächlich gewährten Arbeitsentgelts nicht nachgewiesen werden könne, komme nach dieser Entscheidung hilfsweise eine Glaubhaftmachung und Schätzung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Betracht. Von einer Beweiserleichterung bei der den Rechtsgrund betreffenden Tatsachenermittlung sei in dieser Entscheidung keine Rede. Darüber hinaus habe das LSG den Ausführungen des BSG im sog "Jahresendprämien-Urteil" vom (B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr 4) keine Beachtung geschenkt. Die Beklagte sei der Auffassung, dass durch diese Entscheidung der Vollbeweis für die anspruchsbegründenden Tatsachen gefordert werde. Dort sei explizit herausgestellt, dass bei der Feststellung von Zusatzversorgungszeiten für die Versorgungsberechtigten der DDR die Einzelfallprüfung anzuwenden sei und für die Feststellung von JEP-Beträgen die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 117, 118 AGB-DDR durch den Anspruchsteller nachzuweisen seien. Das BSG habe damit in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2007 jedweden Beweiserleichterungen im Hinblick auf die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale eine eindeutige Absage erteilt. Dies habe das Berufungsgericht verkannt.

14Schließlich seien dem LSG bei der Art und Weise, wie es den Schätzungsvorgang gestalte, Verfahrensfehler unterlaufen. Sein "Schätzprocedere" sei unter verschiedenen Gesichtspunkten weder plausibel noch aus sich heraus verständlich.

15Die Beklagte beantragt,das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom abzuändern und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom in vollem Umfang zurückzuweisen.

16Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

17Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Gründe

18Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet, so dass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat der Berufung des Klägers gegen den klagabweisenden Gerichtsbescheid des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) im Wesentlichen stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Die Beklagte ist deshalb nicht verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom in der Fassung des Bescheids vom zusätzlich geschätzte JEP als weitere Arbeitsentgelte für die Jahre 1970 bis 1990 vorzumerken. Dem Kläger steht kein entsprechender Anspruch auf Feststellung höherer Arbeitsverdienste zu.

19Der Kläger begehrt im Wege der Kombination (§ 56 SGG) einer Anfechtungs- und mehrerer Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1 und 3 SGG), den Bescheid vom und den Widerspruchsbescheid vom (§ 95 SGG) aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, die bestandskräftigen (§ 77 SGG) Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) über die Festsetzung der Arbeitsentgelte für die Jahre 1970 bis 1990 im Bescheid vom in der Fassung des Bescheids vom zurückzunehmen und höhere Arbeitsentgelte unter Einbeziehung von JEP festzusetzen.

201. Die insoweit erstrebte Rücknahme richtet sich nach § 44 SGB X, der auch im Rahmen des AAÜG anwendbar ist (§ 8 Abs 3 S 2 AAÜG; vgl auch Senatsurteil vom - B 5 RS 6/09 R - Juris RdNr 13 und ausführlich BSGE 77, 253, 257 = SozR 3-8570 § 13 Nr 1 S 5). Danach ist ein (iS von § 45 Abs 1 SGB X) nicht begünstigender Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit er (anfänglich) rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt ist immer mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Abs 2 S 1 aaO), soweit er noch Rechtswirkungen hat, also noch nicht iS von § 39 Abs 2 SGB X erledigt ist. Die Rücknahme hat (gebundene Entscheidung) für die Vergangenheit zu erfolgen, wenn wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes "Sozialleistungen" zu Unrecht nicht erbracht oder "Beiträge" zu Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs 1 S 1 SGB X). Das Gebot zur rückwirkenden Rücknahme gilt nicht in bestimmten Fällen der Bösgläubigkeit (Abs 1 S 2 aaO). Im Übrigen "kann" (Ermessen) der anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakt auch in sonstigen Fällen, also über die Fälle des Abs 1 S 1 aaO hinaus, für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs 2 S 2 aaO).

21Da sich § 44 Abs 1 SGB X nur auf solche bindenden Verwaltungsakte bezieht, die - anders als die feststellenden Verwaltungsakte im Bescheid vom in der Fassung des Bescheids vom - unmittelbar Ansprüche auf nachträglich erbringbare "Sozialleistungen" (§ 11 S 1 SGB I) iS der §§ 3 ff und 18 ff SGB I betreffen (BSGE 69, 14, 16 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3), kann sich der Rücknahmeanspruch des Klägers nur aus Abs 2 aaO ergeben. Nach dieser Vorschrift ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar (und damit zugleich bindend) geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (S 1). Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (S 2). Die Feststellungen über die Höhe der erzielten Arbeitsentgelte im Bescheid vom in der Fassung des Bescheids vom , die jeweils einzelne feststellende Verwaltungsakte iS des § 31 S 1 SGB X sind und die in Bezug auf die geltend gemachten JEP keinen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt haben (nicht begünstigender Verwaltungsakt iS von § 45 Abs 1 SGB X), waren jedoch im Zeitpunkt ihres Erlasses (Bekanntgabe iS von § 37 SGB X) rechtmäßig. Denn die geltend gemachten JEP sind nicht als tatsächlich erzieltes Arbeitsentgelt festzustellen.

222. Als Anspruchsgrundlage für die begehrten rechtlichen Feststellungen kommt allein § 8 Abs 2, Abs 3 S 1 und Abs 4 Nr 1 AAÜG in Betracht. Nach § 8 Abs 3 S 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträgerin für das Zusatzversorgungssystem der Anl 1 (§ 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG) dem Berechtigten durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach Abs 2 aaO bekannt zu geben. Diese Mitteilung hat ua "das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen" (= Arbeitsverdienste) zu enthalten.

233. Maßstabsnorm, nach der sich bestimmt, welche Arbeitsverdienste den Zugehörigkeitszeiten zu einem (Zusatz-)Versorgungssystem der DDR zuzuordnen sind, ist § 6 Abs 1 S 1 AAÜG. Danach ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl § 5 aaO) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Der Begriff des Arbeitsentgelts iS des § 6 Abs 1 S 1 AAÜG bestimmt sich nach § 14 SGB IV, wie der erkennende Senat (BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 6 RdNr 15) im Einklang mit dem 4. Senat des BSG (SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 24 ff), der früher für das Recht der Rentenüberleitung zuständig gewesen ist, bereits entschieden hat. Dabei ist durch die Rechtsprechung des 4. Senats, der sich der erkennende Senat anschließt, gleichermaßen geklärt, dass die JEP einmalige Einkünfte aus einer Beschäftigung iS des § 14 Abs 1 S 1 SGB IV waren und diese bundesrechtliche Qualifizierung nicht durch § 17 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB IV iVm § 1 ArEV vom (BGBl I 1642) ausgeschlossen ist (BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 27, 33). Gleichzeitig folgt für die Feststellung von Bezug und Höhe dieser einmaligen Einkünfte aus der Formulierung "erzieltes Arbeitsentgelt" in § 6 Abs 1 S 1 AAÜG im Zusammenhang mit § 5 Abs 1 S 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt handeln muss, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also in bestimmter Höhe tatsächlich gezahlt worden ist (BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 19).

244. Für den Zufluss von Entgeltbestandteilen wie der JEP trägt der Zahlungsempfänger die Feststellungs- bzw objektive Beweislast (BSG SozR 4-8570 § 6 Nr 4 RdNr 42), dh das Risiko bzw den Nachteil, dass sich diese Tatsache nicht beweisen und feststellen lässt (non liquet). Der Tatbestand öffentlich-rechtlicher Normen ist regelmäßig nur dann erfüllt, wenn ein einschlägiger Sachverhalt nach Ausschöpfung grundsätzlich aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisgrundlagen bis zur Grenze der Zumutbarkeit (Senatsbeschluss vom - B 5 R 208/09 - Juris RdNr 9; 8 C 76.80 - Buchholz 310 § 86 Abs 1 VwGO Nr 147 S 9 und Beschluss vom - 1 B 2/15 - Juris RdNr 4; vgl auch - BVerfGE 101, 106 = Juris RdNr 67) mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl zB - BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7) im Vollbeweis, dh zur vollen Überzeugung des hierzu berufenen Anwenders im Sinne einer subjektiven Gewissheit feststeht. Für das sozialgerichtliche Verfahren ergibt sich dies aus § 103 S 1 Halbs 1, § 128 Abs 1 S 1 SGG. Abweichungen (Gewissheit, hinreichende Wahrscheinlichkeit oder Glaubhaftmachung) von diesem Regelbeweismaß bedürfen einer gesetzlichen Grundlage (BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4 = Juris RdNr 4, vgl auch - BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3; 9 B 257.88 - NVwZ-RR 1990, 165; Bolay in Lüdtke, SGG, 4. Aufl 2012, § 128 RdNr 13 ff; Höfling/Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl 2014, § 108 RdNr 87; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl 2016, § 108 RdNr 5; Kühl in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 118 RdNr 3 ff). Nur dann ist gewährleistet, dass normativ angeordnete Rechtsfolgen allein Fällen der gesetzlich vorgesehenen Art zugeordnet werden und im Streitfall effektiver Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) gewährleistet ist. Die in § 6 Abs 6 AAÜG normierten Beweiserleichterungen verhelfen der Klage indessen nicht zum Erfolg.

255. Zwar hat das LSG auf dieser Grundlage für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass dem Kläger in den jeweils ausgeurteilten Jahren tatsächlich JEP zugeflossen sind, weil dies zwar nicht (im Vollbeweis) nachgewiesen, aber glaubhaft gemacht, dh "überwiegend wahrscheinlich" sei (vgl dazu § 23 Abs 1 S 2 SGB X; § 202 S 1 SGG iVm § 294 ZPO). Dabei geht das LSG zu Recht davon aus, dass dieser - im Vergleich zum Regelbeweismaß - abgesenkte Beweisgrad ausreicht, um im Einzelfall den tatsächlichen Zufluss von Arbeitsentgelt anzunehmen und festzustellen (so auch Bayerisches - Juris LS; - Juris RdNr 42 ff; - Juris RdNr 37; - Juris RdNr 19 ff; offen gelassen - Juris RdNr 25 ff). Dies ergibt die Auslegung des § 6 Abs 6 AAÜG. Danach wird der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird. Die Formulierungen "der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes" und "der andere Teil" sind prinzipiell weit und ermöglichen es, die Glaubhaftmachung dieses Verdienstteils sowohl auf dessen Höhe als auch auf dessen Zufluss oder auf beides zu beziehen, während der Nachweis des übrigen Verdienstteils schon logisch Zufluss und Höhe erfassen muss. Angesichts der klaren gesetzlichen Differenzierung des Gesamtverdienstes in einen glaubhaft gemachten und einen nachgewiesenen Teil liegt es indes fern, die Glaubhaftmachung auf die Höhe des Verdienstes bei nachgewiesenem Zufluss zu beschränken. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Norm mit dem Erfordernis, dass Zufluss und Höhe eines Verdienstteils im Vollbeweis nachgewiesen sein müssen, bereits ausdrücklich das strenge Regelbeweismaß anlegt und damit einen starken Anker schafft, was spiegelbildlich Abstriche beim Beweismaß für Höhe und Zufluss des anderen Verdienstteils legitimiert und ggf Rückschlüsse aufgrund zuvor oder anschließend erzielten Arbeitsentgelts erlaubt (vgl dazu - SozR 3-2600 § 123 Nr 1 S 4; Spegel, MittLVA Württ 1996, 164 jeweils zu § 256c SGB VI). Zudem findet die einschneidende Rechtsfolge, die einen erheblichen Abschlag in Höhe eines Sechstels vorsieht, auch und gerade in Fällen ihre Rechtfertigung, in denen neben der Höhe auch der Zufluss von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nur glaubhaft gemacht werden kann und damit die Verdienstfeststellung in ihrer anteiligen Gänze auf Wahrscheinlichkeitsüberlegungen beruht.

266. Ebenso für das Revisionsgericht verbindlich hat das Berufungsgericht aber auch (negativ) festgestellt, dass die Höhe der einschlägigen Zahlungen weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist. Insofern ist unerheblich, dass das angegriffene Urteil möglicherweise nicht auf diesen Feststellungen beruht (vgl dazu - BSGE 73, 195 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3; Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 15). Soweit das LSG die Höhe der JEP jedoch auf 58,33 % eines im jeweiligen Beschäftigungsvorjahr erzielten monatlichen Bruttodurchschnittsbetrages geschätzt hat, ist der Senat an diese weitergehenden Feststellungen (§ 163 SGG) nicht gebunden. Denn das Berufungsgericht geht insofern von rechtlich unzutreffenden Annahmen hinsichtlich des Beweismaßes aus, die der sachlichen Prüfung durch das BSG unterliegen. Das AAÜG enthält jedenfalls für Fälle der vorliegend zur Entscheidung stehenden Art abschließende Regelungen zu Möglichkeiten und Folgen einer Beweiserleichterung hinsichtlich der Höhe des zugrunde zu legenden Verdienstes. Zusätzliche Beweiserleichterungen des materiellen (a) oder des sog formellen Rechts (b) greifen daneben nicht ein.

27a) § 6 Abs 6 AAÜG erlaubt es dem Versicherten ausnahmsweise, die Höhe eines Verdienstteils glaubhaft zu machen, wenn der andere Teil des Verdienstes nachgewiesen ist und eröffnet insoweit zu seinen Gunsten im beschränkten Umfang eine Beweismaßreduzierung, allerdings auf Kosten eines Abschlags in Höhe eines Sechstels des glaubhaft gemachten Teils des Verdienstes. Eine weitere Verminderung des Beweismaßstabes im Sinne einer Schätzungswahrscheinlichkeit sieht § 6 AAÜG nicht vor. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzbefugnis schaffen wollen, so hätte er dies gesetzlich anordnen und Regelungen sowohl zu ihrer Reichweite (Schätzung des Gesamtverdienstes oder nur eines Teils davon) als auch zum Umfang der Anrechnung des geschätzten Verdienstes treffen müssen, nachdem er schon für den strengeren Beweismaßstab der Glaubhaftmachung nur die Möglichkeit einer begrenzten Berücksichtigung (zu fünf Sechsteln) ermöglicht hat.

28Auch aus § 6 Abs 5 AAÜG iVm § 256b Abs 1 und § 256c Abs 1 und 3 S 1 SGB VI ergibt sich keine materiell-rechtliche Schätzbefugnis. Rechtsfolge einer fehlenden Nachweismöglichkeit des Verdienstes ist hiernach stets die Ermittlung eines fiktiven Verdienstes nach Tabellenwerten, nicht jedoch die erleichterte Verdienstfeststellung im Wege der Schätzung im Sinne einer Überzeugung von der bloßen Wahrscheinlichkeit bestimmter Zahlenwerte. Insofern kann offenbleiben, ob Abs 5 überhaupt neben Abs 6 zur Anwendung kommen kann (idS BT-Drucks 13/2590 S 33).

29b) Die prozessuale Schätzbefugnis gemäß § 287 ZPO, die nach § 202 S 1 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren lediglich subsidiär und "entsprechend" anzuwenden ist (vgl zB 11/7 RAr 41/87 - SozR 4100 § 115 Nr 2, vom - 10 RKg 12/85 - BSGE 62, 5 = SozR 1750 § 287 Nr 1, vom - 9 RVs 16/78 - SozR 3870 § 3 Nr 5, vom - 2 RU 37/78 - Juris RdNr 21), greift hier von vornherein nicht ein. Denn § 6 Abs 6 AAÜG regelt als vorrangige und bereichsspezifische Spezialnorm die vorliegende Fallkonstellation (ein Verdienstteil ist nachgewiesen, ein anderer glaubhaft gemacht) abschließend und lässt für die allgemeine Schätzungsvorschrift des § 287 ZPO keinen Raum. Indem § 6 Abs 6 AAÜG die Höhe des glaubhaft gemachten Verdienstteils selbst pauschal auf fünf Sechstel festlegt, bestimmt er gleichzeitig die mögliche Abweichung gegenüber dem Vollbeweis wie die Rechtsfolge der Glaubhaftmachung selbst und abschließend. Eine einzelfallbezogene Schätzung scheidet damit aus. Andernfalls käme es zu unauflösbaren Widersprüchen, wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt: Bei der Schätzmethode des LSG handelt es sich um ein in sich geschlossenes Konstrukt, in das mit einer nachträglichen Kürzung des Schätzergebnisses derart intensiv eingegriffen würde, dass von einer Schätzung nicht mehr die Rede sein kann. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzung zulassen wollen, so hätte er das Schätzverfahren weiter ausgestalten und festlegen müssen, ob und ggf wie mit dem Abschlag im Rahmen der Schätzung umzugehen ist. Das Fehlen derartiger Bestimmungen belegt im Sinne eines beredten Schweigens zusätzlich den abschließenden Charakter der Ausnahmeregelung in § 6 Abs 6 AAÜG als geschlossenes Regelungskonzept.

30Aber selbst wenn man § 287 ZPO in Fällen der vorliegenden Art für anwendbar hält, scheidet eine Schätzung gemäß § 287 Abs 1 ZPO schon mangels "Schadens" von vornherein aus. Schließlich sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 287 Abs 2 ZPO nicht erfüllt. Denn diese Norm greift - als Ausnahme von den Grundsätzen in § 286 ZPO und § 128 Abs 1 S 1 SGG - nur ein, wenn eine "Forderung" dem Grunde nach mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht, dh im Vollbeweis belegt ist, und nur noch ihre "Höhe … streitig ist" (vgl - SozR 4-3300 § 15 Nr 1 RdNr 12; - Juris RdNr 45 und vom - IX ZR 76/83 - MDR 1985, 494 Juris RdNr 13; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, § 63 RdNr 85; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl 2016, § 287 RdNr 11; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl 2016, § 287 RdNr 1; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl 2008, § 287 RdNr 11 und 29; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl 2016, § 287 RdNr 20; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl 2016, § 287 RdNr 7; Saenger, ZPO, 6. Aufl 2015, § 287 RdNr 11). Die Schätzbefugnis und die damit verbundene Beweismaßreduzierung beschränkt sich somit auf die Höhe nachgewiesener Forderungen; nur wenn und soweit allein die Forderungshöhe streitig ist, darf der Richter insofern Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen. Andernfalls käme es zu doppelten Wahrscheinlichkeitsüberlegungen und zu dem Problem, dass hinsichtlich des "Ob" des Zuflusses (Glaubhaftmachung im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit) und mit Blick auf die Höhe der Forderung (Schätzungswahrscheinlichkeit) unterschiedliche Erwägungen zu unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsgraden anzustellen wären. Damit würde aber das rechtswidrige Ergebnis in Kauf genommen, dass beide Faktoren in ihrer Überlagerung bzw Kombination nicht mehr wahrscheinlich, sondern lediglich möglich wären. Eine derart weite Loslösung von der Wirklichkeit und die damit verbundene Aufweichung der Feststellungslast sieht § 287 Abs 2 ZPO nicht vor; die bloße Möglichkeit, dass dem Versicherten Arbeitsentgelt in geschätzter Höhe zugeflossen ist, genügt keinesfalls (vgl zB - SozR 3-3900 § 15 Nr 4). Schließlich erscheint es methodisch ausgeschlossen, die Schätzbefugnis nach § 287 Abs 1 S 1 ZPO erst nach mehrfacher entsprechender Anwendung dieser Vorschrift zu eröffnen: Über die Verweisung in § 202 S 1 SGG ist § 287 ZPO überhaupt nur "entsprechend anzuwenden" und innerhalb dieser zivilprozessualen Norm ist die Schätzbefugnis in § 287 Abs 1 S 1 SGG über Abs 2 aaO ihrerseits ebenfalls nur "entsprechend anzuwenden", und zwar vorliegend erst, nachdem dessen Regelungsbereich zuvor auf Fallkonstellationen mit ungeklärter Haftungsgrundlage erweitert worden ist, obgleich die insofern einschlägigen tatsächlichen Umstände gerade zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen müssen (§ 286 ZPO).

31Fragestellungen zur Ermittlung und Feststellung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Kalenderjahren mit Arbeitsausfalltagen, die der Entscheidung des 4. Senats in seinem Urteil vom (B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr 3) zugrunde liegen, waren vorliegend nicht zu beantworten. In diesem Fall ebenso wie in dem Urteil vom (B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr 4) ging es dem Grunde nach um nachgewiesene Zahlungen.

32c) Da die Höhe der glaubhaft erzielten JEP weder im Vollbeweis noch im Wege der Glaubhaftmachung belegt ist und der Kläger insofern die Feststellungslast trägt, hat er keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Rücknahme der bisherigen Regelung weitere Arbeitsentgelte unter Einbeziehung geschätzter JEP festsetzt.

33Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:151216UB5RS316R0

Fundstelle(n):
MAAAG-39044