BSG Beschluss v. - B 12 R 19/15 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Bezeichnung der Divergenz - Sozialversicherungspflicht von Notärzten

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 7 Abs 1 S 1 SGB 4

Instanzenzug: SG Neubrandenburg Az: S 2 R 216/09 Urteilvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: L 7 R 60/12 Urteil

Gründe

1In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Beigeladene zu 1. als Notarzt für den Kläger versicherungspflichtig beschäftigt war.

2Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung seines Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

3Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).Allein die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

4Der Kläger beruft sich in seiner Beschwerdebegründung vom ausschließlich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

51. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewendet hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die eines der in der Norm genannten Gerichte aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht sowie, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN).

6Der Kläger formuliert zur Begründung einer Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung des BSG (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) insgesamt vier Rechtssätze des LSG, denen er Rechtssätze des BSG gegenüberstellt.

9Dazu führt der Kläger ergänzend aus, die tatsächlichen Umstände bei Vertragsabschluss und -anbahnung seien nach dem Maßstab des LSG unerheblich (S 8 Beschwerdebegründung). Das LSG weiche insoweit von den Rechtsgrundsätzen des BSG ab, als es den Zeitraum vor der eigentlichen Durchführung eines Auftrags gänzlich unbeachtet und damit den Umstand der freien Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung einzelner Aufträge bei der Beurteilung der Tätigkeit unberücksichtigt lasse (S 9 Beschwerdebegründung).

10Es bestehen bereits Zweifel, ob der Kläger dem angegriffenen Urteil des LSG schon einen eigenen abstrakten Rechtssatz entnimmt oder ob er nicht vielmehr lediglich die vermeintlich fehlerhafte Subsumtion des Sachverhalts im vorliegenden Einzelfall unter den vom BSG aufgestellten - vom Kläger zitierten - Rechtssatz und damit allein eine mögliche inhaltliche Unrichtigkeit des LSG, nicht aber eine Abweichung "im Grundsätzlichen" rügt. Das LSG hat nämlich auf S 14 seiner Entscheidungsgründe zur Bestätigung der Ausführungen dazu, dass für die rechtliche Einordnung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. "die Verhältnisse nach Annahme - also bei Durchführung - des einzelnen Auftrags" ausschlaggebend seien, ein Zitat gerade der Entscheidung des BSG angeführt, der der Kläger einen dazu im Widerspruch stehenden Rechtssatz entnehmen möchte (Urteil vom - B 12 KR 24/10 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 15).

11Der Kläger bezeichnet jedenfalls nicht hinreichend eine Unvereinbarkeit der beiden gegenübergestellten "Rechtssätze". Der Kläger selbst äußert bereits Zweifel an der Gültigkeit des von ihm formulierten Rechtssatzes des BSG zu dem hier streitigen Gegenstand, indem er auf die Rechtsprechung des BSG zur Bewertung der einzelnen Arbeitseinsätze innerhalb von Dauerrechtsverhältnissen verweist (S 9 f Beschwerdebegründung). Zudem zielt der vom Kläger formulierte "Rechtssatz" des LSG auf die Frage ab, auf welchen Zeitraum hinsichtlich der Umstände zur Beurteilung einer Tätigkeit als Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 SGB IV oder selbstständige Tätigkeit abzustellen ist, während der zitierte Rechtssatz des BSG allgemein den Weg vorgibt, wie eine solche Entscheidung zu treffen ist, dh von der Feststellung und Gewichtung aller maßgeblichen Umstände bis zur Abwägung im Einzelfall. Zu diesen Vorgaben des BSG steht der "Rechtssatz" des LSG nicht im Widerspruch. Wie das Zitat der vom Kläger in den Blick genommenen Entscheidung des - SozR 4-2400 § 7 Nr 15) auf S 14 der Entscheidungsgründe zeigt, geht das LSG selbst - entgegen der Annahme des Klägers (S 10 der Beschwerdebegründung) - gerade nicht von einem anderen Beurteilungsmaßstab aus, sondern zieht diesen vielmehr zur eigenen Entscheidungsfindung heran.

16Der Kläger trägt dazu vor, das LSG weiche von der Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Frage ab, ob es für die Beurteilung einer Beschäftigung erheblich ist, wenn sich das Tätigkeitsbild eines Auftragnehmers nicht von dem eines Beschäftigten unterscheide (S 12 Beschwerdebegründung). Das LSG lasse abstrakt jede äußere Entsprechung von Tätigkeiten bereits für die Bejahung einer Beschäftigung ausreichen, während das BSG dem gerade keine wesentliche Bedeutung beigemessen habe (S 14 Beschwerdebegründung).

17Auch hier bestehen bereits Zweifel, ob der Entscheidung des LSG ein - wie vom Kläger formulierter - abstrakter Rechtssatz überhaupt zugrunde liegt. Das LSG hat die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. der eines "angestellten" Arztes lediglich im Hinblick auf eine (vergleichbare) Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Klägers gegenübergestellt. Nur "insofern" (S 15 Entscheidungsgründe) konnte das LSG keine entscheidungsrelevanten Unterschiede bei der Ableistung von Diensten feststellen. Das LSG hat mit der Vergleichbarkeit von Tätigkeiten nur in Bezug auf ein Beschäftigungsmerkmal nach § 7 Abs 1 S 2 SGB IV argumentiert, darauf allein jedoch noch nicht die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses insgesamt gestützt.

18Jedenfalls bezeichnet der Kläger nicht ausreichend eine Unvereinbarkeit der beiden gegenübergestellten Rechtssätze. Es wird nicht hinreichend deutlich, inwiefern der den Entscheidungsgründen des LSG entnommene Rechtssatz im Widerspruch zu den formulierten Rechtssätzen des BSG stehen soll. Beurteilt das LSG ein mit einer Beschäftigung vergleichbares Tätigwerden als bloßes "Indiz" für eine abhängige Beschäftigung, steht das vielmehr im Einklang mit den Vorgaben des BSG, wonach bestimmte Vorgaben des Auftraggebers, insbesondere zum äußeren Ablauf der Tätigkeit keine entscheidende Bedeutung bei der Beurteilung des Vorliegens einer Beschäftigung nach § 7 Abs 1 SGB IV haben und nicht allein zur Einordnung als abhängige Beschäftigung führen. Die "Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls" ist auch nach Auffassung des LSG maßgeblich gewesen (S 13 Entscheidungsgründe).

22Der Kläger macht hierzu geltend, das LSG beziehe das Merkmal der unternehmerischen Chancen und Risiken ausschließlich auf das einzelne Auftragsverhältnis und berücksichtige nicht die auftragslosen Zeiten zwischen den Einzelaufträgen (S 17 f Beschwerdebegründung).

23Der Kläger bezeichnet mit diesem Vorbringen ebenfalls keine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) in der gebotenen Weise. Der Kläger entnimmt dem angegriffenen Urteil einen Rechtssatz, den das LSG so nicht aufgestellt hat. Anders als vom Kläger in dem von ihm formulierten Rechtssatz vorgetragen - "während das Risiko, bei ausbleibenden Aufträgen einen Verlust zu erleiden, außer Acht zu bleiben hat" (S 16 Beschwerdebegründung) -, hat das LSG "das Risiko des Beigeladenen zu 1., etwa bei fehlendem Bedarf in geringerem Umfang eingesetzt zu werden", ausdrücklich als "Unternehmerrisiko" gewertet (S 15 der Entscheidungsgründe). Dass das LSG diesem Umstand in seinen folgenden Ausführungen kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat, hat seinen Grund in der Bewertung weiterer Umstände, insbesondere dem fehlenden Kapitaleinsatz (insbesondere in Form von Betriebsmitteln) und der Vergütung der Bereitschaftsdienste, die das LSG zur Beurteilung eines Unternehmerrisikos insgesamt mit herangezogen hat (S 15 f der Entscheidungsgründe).

26Der Kläger führt dazu aus, das LSG versage vertraglichen Abreden und ihrer Durchführung grundsätzlich die Beachtung im Rahmen einer Gesamtabwägung, wenn diese dem Beteiligtenwillen geschuldet seien, einen bestimmten Vertragstypus zu begründen (S 20 Beschwerdebegründung). Das LSG lege einen anderen Beurteilungsmaßstab an als das BSG und klammere - je nach bekundetem Vertragswillen - Indizien wie Entgeltfortzahlung, Urlaub usw völlig aus (S 22 Beschwerdebegründung).

27Auch nach diesem Vortrag fehlt es an einer hinreichenden Bezeichnung des Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) aufgrund einer Nichtübereinstimmung abstrakter Aussagen (im Grundsätzlichen). Den Entscheidungsgründen des LSG kann der vom Kläger angegebene Rechtssatz nicht entnommen werden. Anders als vom Kläger vorgebracht, hat das LSG nicht "grundsätzlich" dem Fehlen von Abreden und Verfahrensweisen, die für Arbeitsverhältnisse typisch sind, jegliche Aussagekraft abgesprochen. Vielmehr hat das LSG erst am Ende seiner Ausführungen - zumal konkret in dem zu entscheidenden Einzelfall - "dem Willen des Klägers und des Beigeladenen zu 1., kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründen zu wollen" deswegen keine entscheidungserhebliche Bedeutung zugemessen, weil dieser den "festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen" widersprochen habe. Nur deshalb seien bestimmte Vertragsinhalte "im vorliegenden Rechtsstreit keine geeigneten Kriterien für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit" gewesen (S 16 Entscheidungsgründe).

282. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

293. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

304. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:010816BB12R1915B0

Fundstelle(n):
KAAAG-37643