BGH Beschluss v. - NotZ (Brfg) 2/16

Verwaltungsrechtliche Notarsache: Zulässigkeit der Änderung der Mitwirkungsregeln eines überbesetzten Spruchkörpers während ihrer Geltungsdauer unter Verwendung unbestimmter Begriffe

Leitsatz

Die Geschäfts- und Mitwirkungsregeln eines überbesetzten Spruchkörpers müssen die Mitwirkung im Voraus generell-abstrakt regeln und dürfen keinen vermeidbaren Spielraum lassen. Sofern dem - auch bei der Änderung - Rechnung getragen ist, dürfen Mitwirkungsregeln auch während ihrer Geltungsdauer und auch mit Wirkung für anhängige Verfahren unter Verwendung unbestimmter und auslegungsbedürftiger Begriffe (hier: Sachzusammenhang) geändert werden (Anschluss an BVerfG, , 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322 ff.; BVerfG, , 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689 ff. und BVerfG, , 2 BvR 229/09, NJW 2009, 1734 ff.).

Gesetze: § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 111d S 2 BNotO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 1 Not 2/14

Gründe

I.

1Der 1947 geborene Kläger ist seit 1975 als Rechtsanwalt zugelassen; im Dezember 1985 wurde er zum Notar für den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit dem Amtssitz in Frankfurt am Main bestellt. Mit Bescheid vom enthob ihn der Beklagte zu 1 vorläufig seines Amtes. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zu 2 zurück. Die mit Verfügung vom erfolgte Amtsenthebung ist Gegenstand des Parallelverfahrens NotZ(Brfg) 3/16.

2Die gegen die vorläufige Amtsenthebung gerichtete Anfechtungsklage sowie die gegen die Beklagte zu 3 gerichtete Leistungsklage, mit der der Kläger von der Beklagten zu 3 begehrt, im Wege der Folgenbeseitigung die Beklagten zu 1 und 2 dazu anzuhalten, die vorläufige Amtsenthebung aufzuheben, blieben vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Der Kläger beantragt, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts die Berufung zuzulassen.

II.

3Ein Grund zur Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) besteht nicht.

4Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) oder eine Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) sind nicht ersichtlich. Der Rechtssache fehlt entgegen der Ansicht des Klägers auch die grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO). Entscheidungserhebliche Verfahrensfehler liegen ebenfalls nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO).

51. Das Oberlandesgericht hat die Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen. Dazu wird zunächst auf die Ausführungen des Senats in dem im Parallelverfahren ergangenen Beschluss vom heutigen Tag (NotZ(Brfg) 3/16 unter II 1) Bezug genommen. Auch soweit das Oberlandesgericht die Klage gegen den Beklagten zu 2 wegen fehlender Passivlegitimation abgewiesen hat (§ 111c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. §§ 78, 79 VwGO), sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung weder aufgezeigt noch ersichtlich.

62. Das Oberlandesgericht hat die gegen die Beklagte zu 3 gerichtete Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Entgegen der Ansicht des Klägers, kann er sich nicht auf einen durch eine etwaige Feststellung einer Menschenrechtsverletzung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufschiebend bedingten Anspruch stützen.

73. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO zuzulassen.

8a) Eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts, mithin ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, ist nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, das Dezernat der zum aus dem Notarsenat ausgeschiedenen Richterin am Oberlandesgericht P., die für die Bearbeitung der Endziffer 2 zuständig gewesen sei, sei am von dem zu dem Senat hinzutretenden Richter am Oberlandesgericht S. übernommen worden. Anlässlich des Richterwechsels und wegen der vorhandenen Belastung sei das Dezernat durch eine Änderung der Geschäftsverteilung vom von drei Eingängen des Jahres 2014 freigestellt worden. Hiervon seien solche Verfahren ausgenommen worden, die kraft Sachzusammenhangs in das Dezernat fielen oder bereits vor dem zugewiesen gewesen seien. In der vorliegenden, am durch Verfügung des Vorsitzenden zugewiesenen Sache sei es wegen des Sachzusammenhangs mit den Verfahren 1 Not 2/13, 1 Not 3/13 und 1 Not 4/13 bei der Zuständigkeit von Richter am Oberlandesgericht S. verblieben.

9Das begegnet nach den an die Bestimmung der Sitz- oder Spruchgruppen von Berufsrichtern anzulegenden Maßstäben (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entgegen der Ansicht des Klägers keinen Bedenken. Die Geschäfts- und Mitwirkungsregelungen der Spruchkörper müssen im Voraus generell-abstrakt die Mitwirkung der Richter in überbesetzten Spruchkörpern regeln (BVerfGE 95, 322, 328 f.) und dürfen keinen vermeidbaren Spielraum lassen (aaO, 329). Sofern dem Rechnung getragen ist, dürfen Mitwirkungspläne - auch während ihrer Geltungsdauer und mit Wirkung für anhängige Verfahren - unter Verwendung unbestimmter und auslegungsbedürftiger Begriffe - wie hier: "Sachzusammenhang" - geändert werden (aaO, 332 f.).

10Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auch einen Verstoß gegen § 109 VwGO rügt, kann das Urteil nicht auf der von dem Kläger vermissten Zwischenentscheidung beruhen.

11b) Die pauschale Rüge des Klägers, das Oberlandesgericht habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt (§ 86 VwGO), ihn aber jedenfalls unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) zum Nachteil des Klägers gewürdigt, greift nicht durch. Der Kläger zeigt eine Gehörsverletzung sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot nicht auf. Insoweit kann ebenfalls auf die Ausführungen des Senats in dem im Parallelverfahren ergangenen Beschluss vom heutigen Tag (NotZ(Brfg) 3/16 unter II 1) Bezug genommen werden.

124. Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 2 BNotO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung des Streitwerts hat der Senat wegen des vorläufigen Charakters der angefochtenen Amtsenthebung die Hälfte des in § 111g Abs. 2 Satz 1 BNotO bestimmten Regelbetrags zugrunde gelegt. Insoweit war die Streitwertfestsetzung in dem angefochtenen Urteil gemäß § 63 Abs. 3 GKG entsprechend anzupassen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:211116BNOTZ.BRFG.2.16.0

Fundstelle(n):
DNotZ 2017 S. 312 Nr. 4
NJW 2017 S. 10 Nr. 6
NJW-RR 2017 S. 894 Nr. 14
OAAAG-34853