Weisungsrecht - Personalgespräch - Entfernung der Abmahnung
Leitsatz
Während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nur dann anweisen, zu einem Personalgespräch in den Betrieb zu kommen, wenn hierfür ein dringender betrieblicher Anlass besteht, der einen Aufschub der Weisung auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit nicht gestattet, und die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb dringend erforderlich ist und ihm zugemutet werden kann.
Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 106 S 1 GewO, § 241 Abs 1 BGB, § 241 Abs 2 BGB
Instanzenzug: Az: 37 Ca 2857/14 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 6 Sa 2276/14 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Entfernung einer dem Kläger erteilten Abmahnung aus dessen Personalakte sowie über die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an Personalgesprächen während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.
2Der Kläger ist bei der Beklagten, die in Berlin ua. mehrere Krankenhäuser betreibt, seit dem beschäftigt. Zunächst war er als Krankenpfleger tätig, zuletzt wurde er nach einer längeren unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und anschließender Umschulung befristet bis zum als Medizinischer Dokumentationsassistent (MDA) im Klinikum A eingesetzt.
3Vom bis zum war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Beklagte lud ihn mit Schreiben vom „zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ zu einem Gespräch am in ihr Klinikum A ein. Die Angabe in der Betreffzeile des Schreibens lautete: „Beschäftigung als MDA“. Der Kläger sagte das Gespräch per Fax unter Hinweis auf seine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit ab. Unter dem übersandte ihm die Beklagte ein inhaltlich identisches Einladungsschreiben für den . Diesem Schreiben war der Hinweis hinzugefügt, der Kläger habe gesundheitliche Gründe, die ihn an der Wahrnehmung dieses Termins hinderten, durch Vorlage eines speziellen ärztlichen Attests nachzuweisen; die vorliegende allgemeine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reiche hierfür nicht aus. Auch die Teilnahme an diesem Gespräch lehnte der Kläger unter Hinweis auf seine weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit ab. Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom eine Abmahnung. Es sei davon auszugehen, dass er den Gesprächen unentschuldigt ferngeblieben sei, da er keinen Nachweis darüber erbracht habe, an einem Personalgespräch krankheitsbedingt nicht teilnehmen zu können.
4Der Kläger hat gemeint, er sei nicht verpflichtet gewesen, während der Dauer seiner ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit zu den Personalgesprächen im Klinikum A zu erscheinen. Es gebe generell keine Verpflichtung eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers zur Teilnahme an Personalgesprächen.
5Der Kläger hat zuletzt beantragt,
6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sei lediglich die Erbringung der Hauptleistung unmöglich, wohingegen die Nebenpflichten grundsätzlich fortbestünden. Der Kläger sei daher zur Teilnahme an den Personalgesprächen verpflichtet gewesen, in denen sie mit ihm über aktuelle Angebote zu seiner weiteren Beschäftigung als MDA, insbesondere über eine ausgeschriebene Stelle in ihrem Klinikum H, habe sprechen wollen. Krankheitsbedingte Hinderungsgründe habe er nicht nachgewiesen.
7Das Arbeitsgericht hat den beiden ersten Anträgen, auf welche die Klage in den Vorinstanzen beschränkt war, entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten den Klageantrag zu 2. abgewiesen und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit ihren vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen, wobei der Kläger seine Klage nunmehr hilfsweise um den Klageantrag zu 3. erweitert hat.
Gründe
8Die Revisionen sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das dem Klageantrag zu 1. stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen (zu I.). Den Klageantrag zu 2. hat es auf die Berufung der Beklagten zu Recht abgewiesen (zu II.). Der erstmals in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag des Klägers ist unbegründet (zu III.).
9I. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Klageantrag zu 1. ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die Abmahnung vom aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt.
101. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch eine zu Recht erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte zu entfernen, wenn kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht ( - Rn. 13 mwN, BAGE 142, 331).
112. Die Abmahnung der Beklagten ist zu Unrecht erfolgt. Sie beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung der Beklagten. Der Kläger war nicht verpflichtet, zu den von der Beklagten während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit angesetzten Personalgesprächen im Klinikum A zu erscheinen. Er musste daher auch kein gesondertes ärztliches Attest über seine krankheitsbedingte Verhinderung beibringen.
12a) Dies folgt allerdings entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht bereits daraus, dass die Personalgespräche einem dem betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX entsprechenden Zweck hätten dienen sollen und deshalb nur mit Zustimmung des Klägers hätten durchgeführt werden dürfen. Bereits die vom Landesarbeitsgericht in diesem Sinne vorgenommene Auslegung der beiden Einladungsschreiben hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
13aa) Die Auslegung der Einladungsschreiben, bei denen es sich um atypische Willenserklärungen der Beklagten handelt, kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen oder eine gebotene Auslegung unterlassen hat (vgl. - Rn. 14 mwN).
14bb) Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Auslegung des Landesarbeitsgerichts nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat die maßgeblichen tatsächlichen Gesichtspunkte nur unvollständig berücksichtigt.
15(1) In den Einladungsschreiben ist von einem betrieblichen Eingliederungsmanagement iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX weder ausdrücklich noch sinngemäß die Rede. Anhaltspunkte dafür, es solle um die Klärung der Möglichkeiten gehen, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann, sind nicht erkennbar.
16(2) Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Auslegung der Einladungsschreiben des Weiteren außer Acht gelassen, dass der Einsatz des Klägers als MDA im Klinikum A bis zum befristet war und deshalb unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit Gesprächsbedarf bestand. Ebenso wenig hat es den vom Kläger nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten gewürdigt, wonach sie mit dem Kläger aktuelle Angebote mit dem Inhalt einer weiteren Beschäftigung als MDA, insbesondere auf einer in ihrem Klinikum H ausgeschriebenen Stelle, hat besprechen wollen. Auch insoweit war Abstimmung mit dem Kläger ohne Rücksicht auf seine Erkrankung veranlasst.
17b) Der Senat kann die Einladungsschreiben selbst auslegen, weil das Landesarbeitsgericht die dazu erforderlichen Feststellungen getroffen hat und weiterer Tatsachenvortrag der Parteien nicht zu erwarten steht (vgl. - Rn. 30, BAGE 149, 144). Die Auslegung ergibt, dass die beiden Einladungsschreiben der Beklagten vom und vom eine Weisung an den Kläger enthielten, sich zu einem Gespräch im Klinikum A einzufinden, in dem die Beklagte mit dem Kläger dessen weitere vertragsgemäße Beschäftigung als MDA nach Auslaufen der Befristung erörtern wollte.
18aa) Für diese Auslegung spricht bereits die Angabe „Beschäftigung als MDA“ im Betreff beider Schreiben. Auch nach deren Einleitungssatz sollten die Gespräche „zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ dienen. Daraus kann nur geschlossen werden, dass die Möglichkeit eines weiteren Einsatzes des Klägers in seiner bisherigen Tätigkeit als MDA über den hinaus besprochen werden sollte.
19bb) Dieses Verständnis wird bestätigt durch den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem ersten Einladungsschreiben vom und dem Auslaufen des befristeten Einsatzes des Klägers als MDA zum . Wie ausgeführt, lag infolge des Fristablaufs der im Schreiben angesprochene Gesprächsbedarf auf der Hand. Das gilt für das zweite Einladungsschreiben umso mehr, als die Arbeitsunfähigkeit über den hinweg andauerte.
20cc) Das Interesse der Beklagten, in einem Personalgespräch die weitere Beschäftigung des Klägers als MDA zu klären, musste sich bei dieser Lage auch dem Kläger nachgerade aufdrängen. Ihm waren sowohl der Fristablauf als auch die über den hinaus bestehende Arbeitsunfähigkeit bekannt (zur Berücksichtigung der Interessenlage bzw. der [einseitigen] Vorstellungen einer Partei im Rahmen der Auslegung vgl. - Rn. 22).
21dd) Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger die beiden mit dem Betreff „Beschäftigung als MDA“ versehenen Einladungsschreiben nicht dahin gehend verstehen, dass in den Personalgesprächen seine gesundheitliche Eignung für eine weitere Beschäftigung als MDA besprochen werden sollte. Er hat sich auch im Prozess nicht dementsprechend eingelassen. Vielmehr hat er dem Vortrag der Beklagten, wonach es in den Gesprächen um seine weitere Beschäftigung als MDA - und nicht etwa um die in § 84 Abs. 2 SGB IX niedergelegten Ziele - gehen sollte, nicht widersprochen.
22c) Der Kläger war nicht verpflichtet, der in beiden Schreiben ausgesprochenen Einladung der Beklagten zu folgen und zu den Personalgesprächen im Klinikum A zu erscheinen. Die diesbezüglichen Weisungen der Beklagten waren nicht von dem ihr gemäß § 106 GewO zustehenden Direktionsrecht gedeckt. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass das Erscheinen des krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Klägers im Klinikum A am und am unumgänglich war, um den Austausch der Hauptleistungen sinnvoll zu ermöglichen.
23aa) Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
24(1) Das Weisungsrecht betrifft danach zum einen die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht. Es ermöglicht dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer bestimmte Aufgaben zuzuweisen und den Ort und die Zeit ihrer Erledigung verbindlich festzulegen. Das beinhaltet die Berechtigung, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen der Arbeitgeber Weisungen in einem der oben genannten Bereiche vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden will ( - Rn. 17).
25(2) Ebenfalls vom Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst, weil zur „Leistung der versprochenen Dienste“ iSd. § 611 Abs. 1 BGB zählend, ist jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise von deren Erbringung unmittelbar zusammenhängt ( - Rn. 17). Als derartige Tätigkeit kann zum Beispiel das vorherige Anlegen einer arbeitgeberseitig vorgeschriebenen Dienstkleidung oder das Unterlassen des Tragens bestimmter privater Kleidungsstücke anzusehen sein (vgl. dazu - Rn. 27 mwN).
26(3) Darüber hinaus bewirkt die besondere persönliche Bindung der Vertragspartner im Arbeitsverhältnis ( - zu II 2 a der Gründe, BAGE 81, 15) für beide Parteien des arbeitsvertraglichen Schuldverhältnisses nach § 241 Abs. 1 BGB eine nicht abschließend aufzählbare, je nach den Umständen näher zu bestimmende Vielzahl von Pflichten, deren Erfüllung unumgänglich ist, um den Austausch der Hauptleistungen sinnvoll zu ermöglichen (vgl. - Rn. 17). Sie zielen auf die Verwirklichung des Leistungserfolgs, indem sie der Erhaltung der Leistungsmöglichkeit, der Vorbereitung, Unterstützung, Förderung und ordnungsgemäßen Durchführung sowie der Sicherung der Hauptleistung dienen (dazu allgemein - Rn. 28; Jauernig/Mansel BGB 16. Aufl. § 241 Rn. 9; Bamberger/Roth/Sutschet BGB 3. Aufl. § 241 Rn. 14; Staudinger/Olzen [2015] § 241 BGB Rn. 147 ff.; ErfK/Preis 16. Aufl. § 611 BGB Rn. 707 ff.). In Bezug auf diese sog. leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten besteht ebenfalls ein Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO (zur Terminologie vgl. Staudinger/Olzen aaO Rn. 147). Rechtsgrund für die leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten ist der vertragliche Wille der Parteien zum Leistungsaustausch (MüKoBGB/Bachmann 7. Aufl. § 241 Rn. 53, 58). Deshalb schützen sie nicht „nur“ das Integritätsinteresse des Gläubigers (vgl. Staudinger/Olzen aaO Rn. 151; iE ebenso Jauernig/Mansel aaO; Bamberger/Roth/Sutschet aaO Rn. 15; zwischen unselbstständigen Nebenleistungspflichten [§ 241 Abs. 1 BGB] und davon als Teilmenge abzugrenzenden allgemeinen, leistungsunabhängigen Rücksichtnahmepflichten [§ 241 Abs. 2 BGB] differenzierend MüArbR/Reichold 3. Aufl. § 47 Rn. 3; die Zuordnung zu § 241 Abs. 2 BGB befürwortend MüKoBGB/Bachmann aaO Rn. 57).
27(4) Schließlich kann ein Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 Satz 1 GewO auch in Bezug auf Unterlassungspflichten des Arbeitnehmers, wie etwa Geheimhaltungspflichten oder die Pflicht zur Einhaltung des vertraglichen Wettbewerbsverbots, sowie hinsichtlich der aus § 241 Abs. 2 BGB folgenden Schutz- und Rücksichtnahmepflichten bestehen.
28bb) Während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hat der Arbeitgeber kein Weisungsrecht gemäß § 106 GewO, soweit es Pflichten betrifft, von deren Erfüllung der Arbeitnehmer krankheitsbedingt befreit ist. Dazu zählen die Arbeitspflicht als Hauptleistungspflicht (zu diesem Begriff vgl. - Rn. 28) sowie die unmittelbar damit zusammenhängenden Nebenleistungspflichten, die der Arbeitspflicht nahekommen oder sogar Bestandteil der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht sind und ausschließlich den Interessen des Arbeitgebers dienen (vgl. dazu - Rn. 18). Solche Nebenleistungspflichten entfallen für den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, falls ihre Erfüllung nicht ohnehin krankheitsbedingt unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB), jedenfalls nach § 275 Abs. 3 BGB, weil das Leistungsinteresse des Gläubigers insoweit zurückzutreten hat.
29cc) Das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf die leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten aus § 241 Abs. 1 BGB und die gemäß § 241 Abs. 2 BGB bestehenden Rücksichtnahmepflichten sowie auf Unterlassungspflichten des Arbeitnehmers bleibt dagegen von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich unberührt. Die ärztlich attestierte „Arbeitsunfähigkeit“ bezieht sich nur auf die arbeitsvertraglich geschuldete Hauptleistung und die unmittelbar mit der Arbeitsleistung zusammenhängenden Nebenleistungspflichten.
30(1) Für den Begriff der „Arbeitsunfähigkeit“ ist eine vom Arzt nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Bewertung des Gesundheitszustands maßgebend (vgl. die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V vom , zuletzt geändert durch Beschluss vom , BAnz. AT B2). Die Arbeitsfähigkeit beurteilt sich nach der vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung, wie sie der Arbeitgeber ohne die Arbeitsunfähigkeit als vertragsgemäß annehmen muss. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung der Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde ( - Rn. 19).
31(2) Die Arbeitsunfähigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der erkrankte Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten anstatt voll nur teilweise zu erbringen vermag ( - zu II 1 der Gründe, BAGE 69, 272). Eine Teilarbeitsunfähigkeit mit teilweiser Arbeitspflicht und teilweisem Entgeltfortzahlungsanspruch gibt es nicht; jedenfalls braucht sich weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer auf eine Teilleistung einzulassen. Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen der Arbeitnehmer eine volle Arbeitsleistung erbringen kann und lediglich gehindert ist, der gesamten Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich möglichen Leistungsbestimmungen gerecht zu werden. Hier liegt keine (Teil-)Arbeitsunfähigkeit vor (vgl. - Rn. 24, BAGE 148, 16).
32dd) Das grundsätzlich nicht durch die Arbeitsunfähigkeit berührte Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf die leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten aus § 241 Abs. 1 BGB, auf die gemäß § 241 Abs. 2 BGB bestehenden Rücksichtnahmepflichten sowie auf Geheimhaltungs- und Unterlassungspflichten des Arbeitnehmers ist durch die auch den Arbeitgeber treffende Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB auf die Rechte und Rechtsgüter des Arbeitnehmers begrenzt. Diese bezieht sich auf alle schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers ( - Rn. 45) und schließt insbesondere die Verpflichtung ein, Erfüllungshindernisse zu beseitigen und dem anderen Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu lassen ( - Rn. 31, BAGE 131, 325). Wegen der latenten Gefahr einer Beeinträchtigung des Genesungsprozesses und einer dadurch bedingten Verlängerung des krankheitsbedingten Ausfalls der Arbeitsleistung gebietet es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB dem Arbeitgeber daher, die Erteilung von Weisungen auf dringende betriebliche Anlässe zu beschränken und sich bezüglich der Art und Weise, der Häufigkeit und der Dauer der Inanspruchnahme am wohlverstandenen Interesse des Arbeitnehmers zu orientieren. Ist kein derartiger Anlass gegeben, hat der Arbeitgeber jegliche Weisung während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu unterlassen.
33(1) Nach dieser Maßgabe darf der Arbeitgeber den erkrankten Arbeitnehmer etwa anweisen, mit ihm ein kurzes Personalgespräch zu führen, wenn der Arbeitnehmer über Informationen zu wichtigen betrieblichen Abläufen oder Vorgängen verfügt, ohne deren Weitergabe dem Arbeitgeber die Fortführung der Geschäfte erheblich erschwert oder gar unmöglich würde (vgl. - zu 4 der Gründe). Ein dringender betrieblicher Anlass für eine solche Weisung kann auch gegeben sein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über aktuell bevorstehende Änderungen des Arbeitsablaufs, die erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers haben, informieren und seine Meinung dazu einholen möchte, oder wenn er mit ihm über seine Bereitschaft sprechen will, eine neue Arbeitsaufgabe zu übernehmen, bevor die Stelle anderweitig besetzt wird. Voraussetzung für solche Gespräche ist allerdings stets, dass sie nicht auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit aufschiebbar und dem Arbeitnehmer zumutbar sind.
34(2) Auch wenn diese Anforderungen erfüllt sind, ist der Arbeitgeber nur ausnahmsweise berechtigt, den erkrankten Arbeitnehmer anzuweisen, im Betrieb zu erscheinen. Voraussetzung dafür ist, dass die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb dringend erforderlich ist. Dies kann zum einen auf technischen Gründen beruhen. Das persönliche Erscheinen des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers im Betrieb kann zum anderen aber auch dann ausnahmsweise unumgänglich sein, wenn der Arbeitgeber mit der Planung des zukünftigen Einsatzes, die gravierende Auswirkungen auch auf andere Arbeitnehmer hat, aus betrieblichen Gründen nicht bis nach der Genesung zuwarten kann und vor der Umsetzung seines Plans mit allen Betroffenen ein gemeinsames Gespräch führen möchte, um anderenfalls drohenden erheblichen Störungen des Betriebsfriedens oder des Arbeitsablaufs vorzubeugen.
35(3) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Weisung im Rahmen der gesetzlichen, arbeitsvertraglichen und kollektiv-rechtlichen Grenzen erfolgt ist, trägt der Arbeitgeber (vgl. - Rn. 81).
36ee) Nach den vorstehenden Maßgaben war die Beklagte nicht berechtigt, den erkrankten Kläger anzuweisen, am und am zu einem Personalgespräch im Klinikum A zu erscheinen. Zwar betraf die Weisung weder die Hauptleistungspflicht noch dieser nahekommende Pflichten, von deren Erfüllung der Kläger ohnehin krankheitsbedingt befreit war. Vielmehr betraf sie eine der Vorbereitung der Verwirklichung des künftigen Leistungserfolgs dienende Nebenpflicht des Klägers gemäß § 241 Abs. 1 BGB, da in den Personalgesprächen die weitere vertragsgemäße Beschäftigung nach dem Ablauf seines befristeten Einsatzes als MDA am erörtert werden sollte. Die Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, dass ein dringender betrieblicher Anlass für die Erteilung der Weisung gegeben und warum die Anwesenheit des arbeitsunfähig erkrankten Klägers im Klinikum A unabdingbare Voraussetzung für die Erörterung war.
37(1) Auf der Grundlage des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts ist bereits fraglich, ob ein dringender betrieblicher Anlass vorlag, aufgrund dessen die Beklagte berechtigt war, mit dem Kläger trotz der bestehenden Arbeitsunfähigkeit ein Personalgespräch zu führen. Es ist von der Beklagten weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, warum die Frage des künftigen Einsatzes des Klägers nicht erst nach der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit erörtert werden konnte. Der bloße Hinweis auf eine freie Stelle im Klinikum H reicht hierfür nicht aus.
38(2) Die Beklagte hat darüber hinaus nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie ausnahmsweise berechtigt war, den Kläger zur Teilnahme an den beiden Personalgesprächen im Klinikum A anzuweisen. Aus ihrem Vortrag ergibt sich nicht, warum die persönliche Anwesenheit des arbeitsunfähig erkrankten Klägers im Klinikum A unabdingbare Voraussetzung für die „Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ gewesen sein könnte, die Gegenstand der Personalgespräche sein sollte. Wenn die Beklagte den arbeitsunfähig erkrankten Kläger über aktuelle Angebote mit dem Inhalt einer weiteren Beschäftigung als MDA, insbesondere auf einer von ihr ausgeschriebenen Stelle im Klinikum H, informieren oder ihn fragen wollte, ob ihm diese Stelle genehm sei, hätte sie ihn ohne Weiteres schriftlich oder per E-Mail über das Stellenangebot und ihre diesbezüglichen Vorstellungen unterrichten und ihn bitten können, bei Interesse Kontakt mit ihr aufzunehmen.
39(3) Da die Beklagte bereits nicht aufgezeigt hat, dass sie berechtigt war, den Kläger zu den Personalgesprächen ins Klinikum A einzubestellen, entbehrt auch ihr in der Abmahnung erhobener weiterer Vorwurf, der Kläger habe keinen ärztlichen Nachweis darüber erbracht, an einem Personalgespräch nicht teilnehmen zu können, einer rechtlichen Grundlage. Auf die Frage, ob der Kläger tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, an den beiden Personalgesprächen teilzunehmen, kommt es danach nicht an.
40II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageantrag zu 2. zu Recht abgewiesen.
411. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageantrag zu 2. zutreffend als Globalantrag verstanden, der sich auf das Führen aller Gespräche zwischen den Parteien bezieht, die auf Initiative der Beklagten stattfinden sollen und einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben, und zwar unabhängig davon, ob sie telefonisch oder an einem vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer bestimmten Ort stattfinden. Unter Berücksichtigung der Klagebegründung, in der der Kläger der Beklagten im Falle seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unter anderem unter Berufung auf sein Recht zur freien Bestimmung seines Aufenthalts jegliches Recht zur Kontaktaufnahme mit ihm abspricht, kann der Klageantrag zu 2. nur den vom Landesarbeitsgericht angenommenen - weiten - Inhalt haben.
422. Mit diesem Inhalt ist der Antrag auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet und auch hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Wie vorstehend unter I 2 c dd dargelegt, sind Fallgestaltungen denkbar, in denen der Kläger verpflichtet ist, an Personalgesprächen teilzunehmen, die während der Zeit einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit stattfinden.
43III. Der erstmals in der Revisionsinstanz vom Kläger angebrachte Hilfsantrag zum Klageantrag zu 2. ist zulässig, aber ebenfalls unbegründet.
44Zwar ist nach § 559 Abs. 1 ZPO eine Klageänderung in der Revisionsinstanz grundsätzlich ausgeschlossen. Von diesem Grundsatz hat das Bundesarbeitsgericht allerdings insbesondere aus prozessökonomischen Gründen Ausnahmen zugelassen, wenn - wie hier - der geänderte Sachantrag auf einen in der Berufungsinstanz festgestellten oder von den Parteien übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt gestützt wird, sich das rechtliche Prüfprogramm nicht wesentlich ändert und die Verfahrensrechte der anderen Partei durch eine Sachentscheidung nicht verkürzt werden (vgl. - Rn. 39 mwN). Der Hilfsantrag hat jedoch in der Sache ebenso wenig Erfolg wie der Klageantrag zu 2. Auch er beinhaltet Fallgestaltungen, in denen die im Antrag Bezeichnete Anordnung der Beklagten aus den vorstehend unter I 2 c dd (2) dargelegten Gründen ausnahmsweise berechtigt ist.
45IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:021116.U.10AZR596.15.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 2803 Nr. 46
BB 2017 S. 243 Nr. 5
BB 2017 S. 700 Nr. 12
DB 2016 S. 16 Nr. 45
DB 2017 S. 7 Nr. 4
DStR 2016 S. 14 Nr. 45
DStR 2017 S. 335 Nr. 6
NJW 2016 S. 28 Nr. 48
NJW 2017 S. 906 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2016 S. 3513
ZIP 2016 S. 95 Nr. 49
NAAAG-34849