BFH Urteil v. - X R 69/98

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) schloss am mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern einen Auseinandersetzungs- und Übergabevertrag, aufgrund dessen sie das Alleineigentum an dem bebauten Grundstück A-Straße in B erhielt. Die Auflassung wurde sofort erklärt. Der Übergang des Eigentums auf die Klägerin wurde am im Grundbuch eingetragen. Die Übergabe war laut Vertrag zum vorgesehen. Ab diesem Zeitpunkt sollten die Nutzungen, die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung sowie die öffentlichen Lasten und Abgaben auf die Klägerin übergehen. Die Klägerin räumte ihrer Mutter ein ”Auszugsrecht” ein, welches das alleinige Wohnrecht an sämtlichen Räumen im Erdgeschoss des Gebäudes und die ”Pflege und Verpflegung ... in gesunden und kranken Tagen” auf Lebenszeit der Berechtigten umfasste. Zum Zwecke der Gleichstellung hatte die Klägerin an ihre beiden Geschwister Ausgleichszahlungen zu leisten.

In einem ”Nachtrag zum Auseinandersetzungs- und Übergabevertrag” vom erklärten die Vertragschließenden, mit dem Vertrag vom sei ”auch die Übergabe des Grundstücks erfolgt”. Die Vertragsbestimmung hinsichtlich des Übergangs von Nutzungen und Lasten zum habe ”nur zur Sicherstellung der Herauszahlungen an die Geschwister dienen” sollen. Weiterhin heißt es:

”Somit wird klarstellend vereinbart, dass die Nutzungen, die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung sowie die öffentlichen Lasten und Abgaben bereits mit Wirkung zum auf den Übernehmer übergegangen sind.”

Die Klägerin bewohnt das Dachgeschoss des Hauses. Für das Streitjahr 1995 beantragte sie die Grundförderung nach § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Anschaffungs-/Herstellungskosten gab sie mit 88 151 DM an.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) versagte in dem Einkommensteuerbescheid für 1995 den Abzugsbetrag nach § 10e EStG mit der Begründung, nach dem Übergabevertrag solle das Eigentum erst am übergehen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Sein Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 119.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des FG nutze sie ihre Wohnung aus eigenem Recht. Die von ihr benutzte Wohnung sei ihr als bürgerlich-rechtlicher Eigentümerin zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 der AbgabenordnungAO 1977—). Die Annahme einer Nutzung aufgrund fremden Rechts gehe fehl. Die Erbengemeinschaft, zu der sie selbst gehöre, könne sie als Eigentümerin schon allein wegen des sehr kurzen Übergabedatums () nicht für die gewöhnliche Nutzungsdauer des Gebäudes von der Einwirkung auf dieses Wirtschaftsgut ausschließen. Somit sei die Erbengemeinschaft weder zivilrechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer. Sie selbst habe mit Zustimmung ihrer Eltern die Dachgeschosswohnung auf eigene Kosten ausgebaut, mit dem Versprechen der Eltern und in Absprache mit den Geschwistern, dass sie später einmal Eigentümerin werden solle.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Abänderung

des angefochtenen Einkommensteuerbescheides den Sonder-

ausgabenabzug nach § 10e EStG in Höhe von 5 290 DM zu

gewähren sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum

Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Entgegen der Auffassung des FG steht der Klägerin die Förderung nach § 10e Abs. 1 EStG dem Grunde nach zu.

1. Die Steuerbegünstigung nach § 10e EStG kann —unter weiteren Voraussetzungen— der Steuerpflichtige beanspruchen, der eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung ”im eigenen Haus” oder eine eigene Eigentumswohnung hergestellt oder angeschafft hat. Der Begriff ”eigen” bedeutet, dass der Steuerpflichtige Eigentümer des begünstigten Objekts i.S. des § 39 Abs. 1 oder Abs. 2 AO 1977 sein muss. In Fällen, in denen zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum nicht übereinstimmen, ist der wirtschaftliche Eigentümer zur Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung nach § 10e Abs. 1 EStG berechtigt (ausführlich , BFHE 168, 261, BStBl II 1992, 944; vom X R 92/92, BFHE 182, 104, BStBl II 1998, 97). Eine vom bürgerlichen Recht abweichende Zurechnung unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Eigentums kommt nur in Betracht, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse ein anderer als der rechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft ausübt und den nach bürgerlichem Recht Berechtigten auf Dauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO 1977), so dass der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat oder kein Herausgabeanspruch besteht (vgl. , BFHE 127, 423, BStBl II 1979, 466; vom XI R 14/87, BFHE 163, 571, BStBl II 1991, 628, und vom III R 233/90, BFHE 166, 49, BStBl II 1992, 182, jeweils m.w.N.).

Die Klägerin ist zivilrechtliche Eigentümerin (§ 39 Abs. 1 AO 1977) und als solche nach § 10e EStG begünstigt. Die Steuerbegünstigung wäre nur dann zu versagen, wenn ein anderer Rechtsträger —hier: die Mutter und/oder eine aus den Geschwistern bestehende Rechtsgemeinschaft— wirtschaftlicher Eigentümer des ganzen Grundstücks i.S. des § 39 Abs. 2 AO 1977 wäre. Dies ist indes nicht der Fall. Es kann dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der vertragliche ”Vorbehalt von Nutzungen, Gefahr und der Tragung öffentlicher Lasten” rechtliche Bedeutung erlangen konnte angesichts des Umstandes, dass die Klägerin den Teil des Grundstücks, hinsichtlich dessen die Förderung nach § 10e Abs. 1 EStG in Betracht kommt, tatsächlich bewohnt und, wie sie behauptet, auch die öffentlichen Lasten des gesamten Grundstücks getragen hat. Trifft ihre Behauptung zu, dass sie die Dachgeschosswohnung ”aufgrund eindeutiger mündlicher Absprache mit den Eltern und Geschwistern” als eigene Wohnung genutzt und auch bereits seit dem die öffentlichen Lasten für das Grundstück getragen hat —hierfür würde sprechen, dass sie die Wohnung offenbar nicht aufgrund eines Mietvertrages nutzt— wäre die Vorbehaltsklausel rechtlich gegenstandslos. Ohnehin ist nicht nachvollziehbar, in welcher zivilrechtlich wirksamen Weise der ”Zurückbehalt” des Besitzes dem Sicherungsbedürfnis der anspruchsberechtigten Geschwister hätte Rechnung tragen können. Jedenfalls aber bewirkt diese Klausel kein Auseinanderfallen von zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum. Die Mutter der Klägerin konnte weder allein noch in Rechtsgemeinschaft mit ihren weiteren Kindern die Klägerin auf Dauer von der Einwirkung auf die von ihr genutzte Wohnung ausschließen. Dies war auch angesichts der Befristung des Vorbehalts, der nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin nur Sicherungscharakter haben sollte, nicht gewollt. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob mit der Nachtragsvereinbarung vom der wirkliche Wille der Vertragsparteien klargestellt worden ist.

Dem steht nicht entgegen, dass im Regelfall wirtschaftliches Eigentum in den Fällen, in denen der Übergang des rechtlichen Eigentums nachfolgen soll, in dem Zeitpunkt auf den Erwerber übergeht, zu dem ihm Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten übertragen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553 unter 1. b der Gründe, m.w.N.; vom IV R 114/94, BFHE 180, 57, BStBl II 1997, 382 - sog. ”Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs"; vom VIII R 11/95, BFHE 185, 205, BStBl II 1998, 379; s. auch , BStBl I 1994, 887, Rz. 18; vom , BStBl I 1998, 190, Rz. 24). Dieser Grundsatz berührt nicht die Geltung des § 39 Abs. 1 AO 1977 für Fälle wie —möglicherweise— dem vorliegenden, in denen der Übergang von Besitz, Nutzungen, Lasten und Gefahr am ganzen Grundstück dem Übergang des zivilrechtlichen Eigentums nachfolgen sollte.

Schafft der Steuerpflichtige eine Wohnung an, die er bisher als Mieter bewohnt hat, nutzt er die Wohnung von dem Zeitpunkt an zu eigenen Wohnzwecken, in dem er das (wirtschaftliche) Eigentum an der Wohnung erlangt, d.h. im Regelfall, wenn Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf ihn übergehen (, BFHE 186, 271, BStBl II 1998, 563). Auch diese rechtliche Aussage betrifft den typischen Sachverhalt, dass der —vertraglich gestaltbare— Übergang von Besitz und Nutzungen dem Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch, über den die Beteiligten nicht disponieren können, vorausgeht.

2. § 10e Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 2 EStG setzt des Weiteren voraus, dass der Steuerpflichtige die angeschaffte Wohnung in dem Abzugszeitraum ”zu eigenen Wohnzwecken” genutzt hat. Auch dieses gesetzliche Erfordernis hat die Klägerin erfüllt. Die Rechtsgrundsätze des Senatsurteils vom X R 143/94 (BFH/NV 1998, 160) stehen der Annahme einer Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht entgegen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin nicht die tatsächliche Sachherrschaft an den ihren persönlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechenden Räumen gehabt hätte.

Für die Auffassung des FG folgt auch nichts aus dem (BFHE 184, 134). Nach dieser Entscheidung wird ein Grundstück noch nicht i.S. des § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geliefert, wenn der Steuerpflichtige zwar das Eigentum daran überträgt, es aber aufgrund eines gleichzeitig vorbehaltenen Nießbrauchs wie bisher besitzt und den Ertrag durch Fortsetzung der bestehenden Mietverhältnisse zieht. Hiernach ist das umsatzsteuerrechtliche Tatbestandsmerkmal ”Verschaffung der Verfügungsmacht” nicht erfüllt, wenn der Eigentümer zwar sein Recht an einem Grundstück überträgt, aber aufgrund des gleichzeitig vorbehaltenen Nießbrauchs das Grundstück wie bisher (unmittelbar oder mittelbar) besitzt und den Ertrag aus dem Grundstück durch Fortsetzung der bestehenden Mietverhältnisse (als Nießbraucher) zieht; unter dieser Voraussetzung ist das Eigentum an dem Gebäude wirtschaftlich ohne die durch Vorbehaltsnießbrauch gesicherte Nutzungsmöglichkeit übertragen. Eine vergleichbare rechtliche Konstruktion haben die Vertragschließenden im Streitfall nicht gewählt.

3. Da das FG von abweichenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist und sich seine Entscheidung auch nicht aus anderen Rechtsgründen als zutreffend darstellt, war das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück. Dieses wird im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Klägerin den von ihr beantragten Abzugsbetrag zutreffend ermittelt hat. Hierbei wird es berücksichtigen, dass das Entgelt für den Erwerb des Grundstücks (Ausgleichszahlungen an die Geschwister und Erwerbsnebenkosten) auf die beiden Wohnungen nach den jeweiligen Wertverhältnissen aufzuteilen ist, wobei die in den so ermittelten Teilbeträgen enthaltenen Anschaffungskosten für den Grund und Boden nur zur Hälfte in die Bemessungsgrundlage für die Grundförderung einbezogen werden dürfen. Zum anderen ist bei der Aufteilung des Entgelts zu berücksichtigen, dass die Wohnungen wegen des vorbehaltenen Wohnrechts an der Erdgeschosswohnung nicht gleichwertig sind. Es ist daher der Verkehrswert festzustellen und dieser im Verhältnis der Nutzflächen auf die Wohnungen aufzuteilen; vom Wert der Erdgeschosswohnung ist der Kapitalwert der vorbehaltenen Nutzung abzuziehen (vgl. , BFHE 171, 202, BStBl II 1993, 704). Das tatsächliche Entgelt ist sodann im Verhältnis der so ermittelten Verkehrswerte aufzuteilen (vgl. BFH-Entscheidungen vom IX R 33, 34/92, BFHE 175, 70, BStBl II 1994, 927; vom X R 1-2/90, BFHE 177, 36, BStBl II 1996, 680; vom X B 46/96, BFH/NV 1997, 345; a.a.O., Rz. 52 Satz 4 i.V.m. Rz. 55). Des Weiteren wird zu klären sein, ob die im Jahre 1992 angefallenen Baumarktrechnungen in die Bemessungsgrundlage des § 10e EStG einbezogen werden können.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 1331 Nr. 11
IAAAA-65021