BGH Beschluss v. - I ZB 31/16

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fehler des Prozessbevollmächtigten bei der Sicherstellung der Fristennotierung

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 3 W 121/15vorgehend LG Würzburg Az: 73 OH 542/15

Gründe

1I. Die Antragstellerin beantragte mit Schriftsatz vom die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen die Antragsgegnerin. Diesen Antrag wies das Landgericht Würzburg mit Beschluss vom als unzulässig zurück, weil die Zuständigkeit deutscher Gerichte aufgrund einer Schiedsabrede zugunsten des H.                für Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht gegeben sei. Dieser Beschluss war nicht mit einer Kostenentscheidung versehen und wurde der Antragstellerin zugestellt, der Antragsgegnerin aber nur formlos mitgeteilt. Die Antragstellerin legte gegen diesen Beschluss am sofortige Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Bamberg wies mit Beschluss vom , der beiden Parteien formlos mitgeteilt wurde, die sofortige Beschwerde zurück.

2Am hat die Antragsgegnerin beantragt, die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen. Mit Beschluss vom hat das Landgericht diesem Antrag entsprochen. Mit Beschluss vom , der Antragstellerin ausweislich des von ihrem Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Empfangsbekenntnisses zugestellt am , hat das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

3Am hat die Antragstellerin Rechtsbeschwerde eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Antragstellerin sei ohne ihr Verschulden gehindert gewesen, bis zum Ablauf der Einlegungsfrist die Rechtsbeschwerde einzulegen. Ein der Antragstellerin zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt R.   liege nicht vor. Das Fristenwesen in seiner Kanzlei sei wie folgt organisiert: Die Mitarbeiterin Frau L.     öffne die Post, versehe sie mit einem Stempel, lege  die Post in eine Postmappe und leite diese Rechtsanwalt R. sowie seiner  ebenfalls in diesem Büro als Rechtsanwältin tätigen Ehefrau Dr. B.   zu. Der sachbearbeitende Rechtsanwalt kreuze auf dem von Frau L.     auf dem  Schriftstück angebrachten Stempel an, ob eine Frist zu notieren sei. Frau L.     arbeite dann die angekreuzten Anweisungen ab. Fristen würden mit  entsprechenden Vorfristen sowohl in einem EDV-Programm als auch im Fristenkalender eingetragen. Sei ein Empfangsbekenntnis beigefügt, werde der Posteingang alsdann nach Fristnotierung dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt nochmals mit dem Empfangsbekenntnis vorgelegt.

4Im Streitfall habe Rechtsanwalt R.   die mit dem Kreuz im Feld „Frist notieren“ versehene Beschlussausfertigung entgegen der üblichen Vorgehensweise aus der Postmappe entnommen. Die Besonderheit des Falles habe darin bestanden, dass für die Rechtsbeschwerde ein beim Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt habe gefunden werden müssen. Die Postmappe sei ohne die angekreuzte Beschlussausfertigung an Frau L.     zurückgelangt, die sodann keine Frist notierte. Rechtsanwalt R.   habe die Beschlussausfertigung zunächst auf seinem Schreibtisch behalten. Er habe noch am selben Tag einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt finden wollen. Am habe er ein Schreiben an die Antragstellerin diktiert, das am geschrieben und abgesandt worden sei. Am habe eine Besprechung mit dem Geschäftsführer der Antragstellerin stattgefunden, der den Auftrag zur Einlegung der Rechtsbeschwerde erteilt habe.

5Wegen einer außergewöhnlichen Belastungssituation sei Rechtsanwalt R.   nicht in der Lage gewesen, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben. Sein zu diesem Zeitpunkt 87 Jahre alter Vater habe am einen Herzschrittmacher eingepflanzt bekommen. Im Zuge dieser Operation habe der Vater reanimiert werden müssen. Während der folgenden Rehabilitation im -Klinikum B.        sei der Vater ein weiteres Mal auf die Intensivstation verlegt worden und habe künstlich beatmet werden müssen. Sodann habe er sich eine Infektion mit einem resistenten Krankenhauskeim sowie eine Lungenentzündung zugezogen. Am habe der leitende Arzt Rechtsanwalt R.   einbestellt und ihm mitgeteilt, dass die Zusage der Kostenübernahme durch die Krankenkasse lediglich bis zum gelte. Es müsse ein Platz in einem Pflegeheim gefunden werden. Innerhalb der verbleibenden vier Tage habe Rechtsanwalt R.   nur in letzter Minute einen nahegelegenen Pflegeplatz ausfindig machen können. Am sei der Vater ohne Medikamente und medizinische Hilfsmittel für die Übergangszeit in das Pflegeheim gebracht worden. Rechtsanwalt R.   habe mit Hilfe eines Arztes Medikamente und Hilfsmittel beschaffen sowie Kleider und einen Rasierer besorgen müssen; hierzu habe ein ständiger Austausch mit dem Pflegeheim stattgefunden. In den folgenden Tagen habe Rechtsanwalt R.   neben täglichen Besuchen beim Vater zahlreiche Termine mit Behandlern und Angestellten von Sanitätshäusern wahrgenommen. Der Zustand des Vaters habe sich im Pflegeheim zunächst gebessert. Am sei der Vater verstorben. Diese Situation habe die gesamte Kanzlei erheblich belastet, insbesondere Rechtsanwalt R.   und seine Ehefrau, Rechtsanwältin Dr. B.  . Die Belastungssituation sei für Rechtsanwalt R.   einmalig gewesen und habe Krankheitswert besessen. Hierzu beruft sich die Antragstellerin auf ein psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie A.     vom .  Am Abend des sei Rechtsanwalt R.   das Verfahren wie- der in den Sinn gekommen. Er habe sich sofort in die Kanzlei begeben und bemerkt, dass die Rechtsbeschwerdefrist nicht notiert worden war.

6Die Antragstellerin beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legt Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom ein.

7Die Antragsgegnerin beantragt, den Wiedereinsetzungsantrag abzulehnen und die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

8II. Der Wiedereinsetzungsantrag hat keinen Erfolg (1.). Die Rechtsbeschwerde ist infolgedessen als unzulässig zu verwerfen (2.).

91. Die Antragstellerin war nicht ohne ihr Verschulden an der Einlegung der Rechtsbeschwerde gehindert. Ihr ist ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

10a) Es stellt ein Versäumnis des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin dar, dass er am die Ausfertigung des angegriffenen Beschlusses aus der ihm vorgelegten Postmappe entnahm, ohne durch Einzelanweisung die Notierung der Frist sicherzustellen.

11Nach ständiger Rechtsprechung gehört es zu den Aufgaben des Rechtsanwalts, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen (vgl. , NJW 2011, 151 Rn. 6; Beschluss vom - VI ZB 6/13, NJW 2013, 2821 Rn. 9). Auf welche Weise der Anwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei. Durch die organisatorischen Maßnahmen muss aber sichergestellt werden, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden (vgl. , VersR 2003, 1460, 1461). Weicht der Rechtsanwalt von den allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen seiner Kanzlei für die Fristwahrung ab, muss er stattdessen eine klare und präzise Anweisung für den konkreten Fall erteilen, deren Befolgung die Fristwahrung sicherstellt (vgl. , NJW 1996, 130; Beschluss vom - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935; Beschluss vom - III ZB 27/04, BGH-Report 2005, 44, 45 f.; Beschluss vom - V ZB 91/07, JurBüro 2008, 280; Beschluss vom - V ZB 191/08, NJW 2009, 3036; Beschluss vom  - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 13).

12Durch die Entnahme der Beschlussausfertigung, die mit dem für die Fristennotierung zu markierenden Stempel versehen war, aus der ihm vorgelegten Postmappe ist der Prozessbevollmächtigte von den in seiner Kanzlei bestehenden organisatorischen Maßnahmen zur Fristeinhaltung abgewichen. Er hat es sodann versäumt, durch eine Einzelanweisung die Eintragung der Frist sicherzustellen.

13b) Ein weiteres Versäumnis des Prozessbevollmächtigten liegt darin, dass er das mit der Beschlussausfertigung übersandte Empfangsbekenntnis am unterzeichnete, obwohl die Fristenkontrolle nicht sichergestellt war.

14Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (, BGHR ZPO § 233 - Empfangsbekenntnis 1 mwN; Beschluss vom - VI ZB 1/96, VersR 1996, 1390; Beschluss vom - VI ZB 2/96, VersR 1996, 1390; Beschluss vom - VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417). Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen (, NJW 2010, 1080 Rn. 6).

15Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte das Empfangsbekenntnis unterzeichnet, ohne durch eigenhändige Eintragung oder eine Einzelanweisung an sein Kanzleipersonal die Notierung der Frist sicherzustellen.

16c) Die vorstehenden Versäumnisse des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin sind als schuldhaft zu beurteilen.

17Zwar ist anerkannt, dass eine krankheitsbedingte Fristversäumung des Anwalts unter besonderen Voraussetzungen, insbesondere bei einer plötzlich auftretenden Erkrankung, für die der Anwalt keine Vorsorge treffen konnte, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann (, NJW-RR 1998, 639; Beschluss vom - X ZR 181/98, NJW-RR 1999, 938; Beschluss vom - XII ZB 298/11, NJW-RR 2012, 694 Rn. 15). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall aber nicht glaubhaft gemacht.

18Die Antragstellerin macht geltend, ihr Prozessbevollmächtigter habe unter einer krankheitswertigen Belastung gelitten, die die ordnungsgemäße Berufsausübung unmöglich gemacht habe, und legt hierzu das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie A.      vom vor. Dieses Gutachten basiert auf einer am vorgenommenen psychiatrischen Untersuchung. Das Gutachten verweist darauf, dass der drohende Verlust des Vaters bei dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin aufgrund einer zeitlebens bestehenden besonders engen emotionalen und geistigen Vater-Sohn-Beziehung überdimensionale Angst vor dem Ableben des Vaters hervorgerufen habe. Nach dem Tod des Vaters sei er mit fremdartigen und unerträglichen Dimensionen konfrontiert worden und habe sich in einem tiefen Schockzustand befunden. Sein Lebenskonzept sei aufgrund der verlorenen Bindung zum Vater verlorengegangen, er habe vor einem überdimensionalen Nichts gestanden. Er sei eine Zeit lang nicht mehr vollständig in der Lage gewesen, seinen privaten und beruflichen Verpflichtungen nachzugehen und sei in seiner Trauer erstarrt gewesen. Aus psychiatrischer Sicht lasse sich im verfahrensgegenständlichen Zeitraum eine schwere Belastungsstörung depressiver Art nach ICD-10: F43.0 eruieren. Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten sei hierdurch grundsätzlich erklärlich. Die Störung habe zirka 20 Tage angehalten. Im Zeitpunkt der Untersuchung sei das psychische Befinden unauffällig gewesen.

19Dieses Gutachten ist nicht geeignet, eine krankheitsbedingte Fristversäumung glaubhaft zu machen. Es erscheint schon fraglich, ob eine einzige ärztliche Exploration, die am bei psychisch unauffälligem Befinden des Untersuchten vorgenommen wird, verlässliche Aussagen über Art, Umfang und Dauer einer psychischen Erkrankung erlaubt, die mehrere Wochen zuvor bestanden haben soll. Jedenfalls aber lässt sich dem Gutachten nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, innerhalb welchen genauen Zeitraums der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin zur Berufsausübung nicht in der Lage gewesen sein soll. Das Gutachten erschöpft sich in der Aussage, „im verfahrensgegenständlichen Zeitraum“ lasse sich eine schwere Belastungsstörung eruieren, die „ca. 20 Tage“ angehalten habe. Es bleibt offen, wann dieser Zeitraum begonnen und geendet hat. Auf dieser Grundlage kann nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden, dass der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin bereits am krankheitsbedingt nicht zur Berufsausübung in der Lage war.

202. Die Rechtsbeschwerde ist mangels rechtzeitiger Einlegung als unzulässig zu verwerfen (§ 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am zugestellt worden. Die einmonatige Einlegungsfrist endete mithin am . Die Rechtsbeschwerde ist erst am eingelegt worden.

213. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Büscher                        Kirchhoff                              Koch

                  Löffler                             Feddersen

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:290916BIZB31.16.0

Fundstelle(n):
XAAAF-88200