BGH Beschluss v. - 2 StR 116/16

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Gerichtliche Aufklärungspflicht bei fehlendem Beweisantrag des Angeklagten in der Hauptverhandlung zur Vernehmung eines Zeugen

Gesetze: § 244 Abs 2 StPO

Instanzenzug: Az: 23 KLs 24/15

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung förmlichen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

21. Ungeachtet bestehender Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts, der Angeklagte sei zumindest Mitbesitzer der auf dem Couchtisch seines Zimmers liegenden Betäubungsmittel, hat die Revision mit einer zulässig erhobenen Aufklärungsrüge Erfolg.

3Der den Vorwurf bestreitende Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer nicht die bei der Durchsuchung in seinem Zimmer dort angetroffene     H.    zu den Besitzverhältnissen an dem aufgefundenen Marihuana vernommen hat. Das Landgericht hätte sich dazu gedrängt sehen müssen.     H.    war zum damaligen Zeitpunkt – wie sich dem Wohnungsdurchsuchungsbericht entnehmen lässt – seit drei Monaten die Freundin des Angeklagten und hielt sich wie der Angeklagte bei der Durchsuchung in dem Raum auf, in dem die Betäubungsmittel auf dem Couchtisch liegend aufgefunden wurden. Sie kam danach durchaus auch als alleinige Besitzerin des Marihuanas in Betracht, auch wenn die Polizei sie in ihrem Durchsuchungsbericht insoweit nicht als tatverdächtig eingestuft hatte. Sie hätte – entsprechend dem Vorbringen in der Verfahrensrüge – Angaben zu den (unklaren) Besitzverhältnissen machen können. Dementsprechend ist sie in der Anklageschrift auch als Zeugin benannt, der dort ebenfalls als Zeuge aufgeführte Vater des Angeklagten, der sich auch in den von der Polizei durchsuchten Räumlichkeiten aufhielt, wurde im Übrigen von der Strafkammer in der Hauptverhandlung als Zeuge gehört.

4Dass     H.    im Zeitpunkt der Durchsuchung über ihren Hinweis hinaus, sie sei die Freundin des Angeklagten, weitere Angaben nicht machen wollte und im weiteren Ermittlungsverfahren auch zu keinem Zeitpunkt als Zeugin vernommen worden ist, lässt die Aufklärungspflicht hinsichtlich der den Besitz an den Betäubungsmitteln begründenden Umständen nicht entfallen.     H.    stand kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO zur Seite; Anhaltspunkte dafür, dass sie sich in einer Hauptverhandlung möglicherweise auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen könnte, sind der Akte nicht zu entnehmen.

5Schließlich steht auch der Umstand, dass ein entsprechender Beweisantrag des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht gestellt worden ist, dem Erfolg der Rüge nicht im Weg. Die Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich unabhängig vom Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten, die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht kann deshalb nicht daran scheitern, dass der Beschwerdeführer die vermisste Aufklärung in der Hauptverhandlung nicht verlangt hat (BGH NStZ-RR 2002, 145); dies gilt insbesondere dann, wenn sich das Erfordernis weiterer Sachaufklärung – wie hier dargelegt – schon aus Umständen ergibt, die vom Vorbringen der Verfahrensbeteiligten unabhängig ist (vgl. Krehl, KK-StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 32; s. wohl auch Becker, LR-StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 362, dazu Fn. 1777).

62. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 354 Abs. 3 StPO).

Fischer                      Krehl                      Eschelbach

                  Ott                        Zeng

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:130716B2STR116.16.0

Fundstelle(n):
EAAAF-82159