BGH Beschluss v. - 4 ARs 16/15

Versagung der Strafrahmenmilderung bei selbst verschuldeter Trunkenheit trotz fehlender Feststellung der Risikoerhöhung im Einzelfall

Gesetze: § 21 StGB, § 49 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 3 StR 63/15 Beschlussnachgehend Az: GSSt 3/17 Beschlussnachgehend Az: 3 StR 63/15 Beschluss

Gründe

I.

1Der 3. Strafsenat hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, der wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden ist. Das Landgericht hat dem Angeklagten eine Strafrahmenmilderung nach § 213 bzw. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB versagt und dies damit begründet, dass die Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten auf einer von ihm selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruhe. Feststellungen zu einer vorhersehbar signifikanten Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung aufgrund persönlicher oder situativer Verhältnisse des Einzelfalls (vgl. , BGHSt 49, 239, 241) hat das Landgericht nicht getroffen.

2Der 3. Strafsenat beabsichtigt, die Revision des Angeklagten zu verwerfen und zu entscheiden:

"Der Tatrichter übt sein Ermessen bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft aus, wenn er im Rahmen einer Gesamtwürdigung der schuldmindernden Umstände die Versagung der Strafmilderung allein auf den Umstand stützt, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht."

3Er hat gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob deren Rechtsprechung entgegensteht und ob – sollte dies der Fall sein – daran festgehalten wird.

II.

4Der Senat versteht die Anfrage des 3. Strafsenats wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich. Soweit der so verstandenen beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegensteht (Beschluss vom – 4 StR 433/89, BGHR StGB § 21 Vorverschulden 1; vgl. auch – wenngleich hinsichtlich der Vorlagefrage nicht tragend – Urteile vom – 4 StR 314/05, NStZ 2006, 274 f. und vom – 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185, 186), hält der Senat an dieser Rechtsprechung nicht fest.

5Bei der Entscheidung, ob dem Angeklagten die Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zugute kommen soll, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Tatrichters (, BGHR § 21 Strafrahmenverschiebung 21; Urteil vom – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239, 241), die revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (, NStZ 2009, 202, 203 und vom – 5 StR 64/09, NStZ 2009, 496, 497). Es ist Aufgabe des Tatrichters, auf Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen ( Rn. 7 und vom – 4 StR 216/14 Rn. 4). Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (st. Rspr.; siehe etwa , NStZ-RR 2012, 336 f.; , NStZ-RR 2008, 310 f.; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 146 mwN).

6Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände ist dabei die selbst zu verantwortende Trunkenheit ein zu berücksichtigender Umstand unter anderen (vgl. , vom – 4 StR 444/05, jeweils aaO, und vom – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239, 241). Feste Regeln, die der Tatrichter bei dieser Abwägung zu beachten hätte, und insbesondere, welches Gewicht er einzelnen Umständen beizumessen hätte, befürwortet der Senat nicht. Im Rahmen der vom Tatrichter zu treffenden Ermessensentscheidung kann deshalb auch die selbst zu verantwortende Trunkenheit den Ausschlag dafür geben, im Einzelfall die Strafmilderung nach §§ 21, 49 StGB zu versagen. Das Revisionsgericht prüft diese Ermessensentscheidung lediglich daraufhin nach, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist.

Sost-Scheible                               Roggenbuck                         Cierniak

                           Mutzbauer                                 Bender

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:280416B4ARS16.15.0

Fundstelle(n):
AAAAF-81226