BGH Beschluss v. - 4 StR 215/16

Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit: Voraussetzungen für das Vorliegen von Schuldunfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB

Instanzenzug: LG Landau (Pfalz) Az: 1 KLs 7112 Js 7126/15

Gründe

1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

2Die Anordnung der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil die Ausführungen des angefochtenen Urteils nicht belegen, dass die Anlasstaten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen wurden.

31. Nach den Feststellungen legte die Beschuldigte, die seit dem Jahr 1975 an einer hebephrenen Schizophrenie leidet, am 7. Januar und in den jeweiligen gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnten Wohnungen jeweils unter Einfluss der bei ihr bestehenden psychischen Erkrankung Feuer, wodurch die Wohnungen vollständig ausbrannten und Sachschäden in Höhe von 83.200 € und 150.000 € entstanden. Bei dem Brand im Januar 2015 zog sich eine Hausmitbewohnerin bei der Flucht durch das bereits verrauchte Treppenhaus eine leichte Rauchgasvergiftung zu.

4Nach Überzeugung der Strafkammer war die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten sicher erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB. Darüber hinaus sei eine völlige Aufhebung der Schuldfähigkeit in der Variante aufgehobener Einsichtsfähigkeit nicht auszuschließen. Ausweislich der Urteilsausführungen ist das Landgericht auf der Grundlage einer Bewertung der im Einzelnen näher dargestellten psychischen Verfassung der Beschuldigten bei den Brandlegungen zu der Ansicht gelangt, dass nicht nur von einer erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Unrechtseinsicht, sondern zumindest nicht ausschließbar davon auszugehen sei, dass der Beschuldigten aufgrund des psychotischen Erlebens eine geordnete Realitätskontrolle nicht mehr möglich gewesen sei, so dass zum jeweiligen Tatzeitpunkt von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden müsse. Auch nach dem in der Hauptverhandlung von der Beschuldigten gewonnenen persönlichen Eindruck liege es nahe, dass die Beschuldigte wegen einer bestehenden psychotischen Störung nicht in der Lage gewesen sei, sich in freier Entscheidung zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden. Zur Frage der Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

52. Mit diesen Ausführungen hat das Landgericht mit der erforderlichen Sicherheit lediglich eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten im Zeitpunkt der Anlasstaten festgestellt. Dies reicht nicht aus, um eine Begehung der Taten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB darzutun.

6Nimmt der Tatrichter eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss er darüber befinden ob diese zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat. Denn eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat. Nur unter dieser Voraussetzung führt eine verminderte Einsichtsfähigkeit - je nachdem, ob das Fehlen der Einsicht dem Täter zum Vorwurf gereicht -, zur Anwendung von § 20 StGB oder § 21 StGB. Sieht der Täter dagegen trotz seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns tatsächlich ein, handelt er in vollem Umfange schuldhaft (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273 f.; vom - 2 StR 405/12, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 4; vom - 1 StR 504/12, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 5; Urteile vom - 1 StR 514/90, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3; vom - 2 StR 529/65, BGHSt 21, 27, 28). Dass der Beschuldigten bei den beiden Brandlegungen die Einsicht in das Unrecht ihres Handelns tatsächlich fehlte, hat die Strafkammer gerade nicht sicher festgestellt.

73. Die Sache bedarf daher neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung. Die unter II. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können bestehen bleiben. Die Strafkammer war aus Rechtsgründen nicht gehindert, der Vielzahl überwiegend ungeklärter Brände im Lebensumfeld der Beschuldigten "in geringem Umfang" indizielle Bedeutung für eine Täterschaft der Beschuldigten bei den Anlasstaten beizumessen.

Sost-Scheible                       Cierniak                          Franke

                         Bender                        Quentin

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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:050716B4STR215.16.0

Fundstelle(n):
BAAAF-79559