BGH Urteil v. - VII ZR 107/15

Aufklärungspflicht eines Juweliers über fehlenden Versicherungsschutz bei Entgegennahme von Kundenschmuck zur Anbahnung eines Werk- oder Kaufvertrags

Leitsatz

Ein Juwelier, der Kundenschmuck zur Anbahnung eines Werk- oder Kaufvertrages entgegennimmt, kann nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung verpflichtet sein, über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub aufzuklären, wenn eine solche Versicherung branchenüblich ist.

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 241 Abs 2 BGB

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 5 S 71/14vorgehend AG Winsen Az: 20 C 1350/13nachgehend LG Lüneburg Az: 5 S 71/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht.

2Die Beklagte betreibt ein Juweliergeschäft. Im Februar 2012 übergab die Ehefrau des Klägers der Beklagten in deren Geschäftsräumen diverse im Eigentum des Klägers stehende Schmuckstücke mit der Intention, diese reparieren zu lassen (ein Goldarmband) beziehungsweise der Beklagten zu verkaufen (zwei Ohrringe, zwei Armbänder, zwei Halsketten sowie eine Brosche).

3Anlässlich eines Raubüberfalls am auf das Geschäft der Beklagten wurden unter anderem die Schmuckstücke des Klägers entwendet. Die Beklagte war insoweit nicht versichert, worauf sie in dem Gespräch mit der Ehefrau des Klägers vor Überlassung der Schmuckstücke nicht hingewiesen hatte.

4Der Wert der übergebenen Schmuckstücke ist zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte erachtet den vom Kläger angesetzten Betrag von 2.930 € für übersetzt und geht von einem Wert in Höhe von 200 bis 300 € aus. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz für die geraubten Schmuckstücke unter Berufung darauf, dass er die Schmuckstücke nicht bei der Beklagten belassen hätte, wenn er von dem fehlenden Versicherungsschutz gewusst hätte.

5Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.930 € nebst Zinsen zu zahlen und ihn von Rechtsverfolgungskosten freizustellen.

6Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass es die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

7Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, aus, ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht bestehe nicht. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie hinsichtlich der ihr übergebenen Schmuckstücke das Verlustrisiko durch Diebstahl oder Raub nicht durch Versicherungen abgedeckt habe. Zwar treffe es zu, dass eine Rechtspflicht zur Aufklärung über bestimmte Umstände auch ohne Nachfrage bestehe, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten darf, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind. Vorliegend seien jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es für die Willensbildung des Klägers offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung war, dass die Beklagte die ihr übergebenen Schmuckstücke gegen das Verlustrisiko durch Diebstahl oder Raub versichert hat. Etwas anderes möge gelten, wenn es sich bei den dem Juwelier übergebenen Schmuckstücken um solche von besonders hohem Wert handele. Angesichts dessen, dass auch der Kläger den Gesamtwert des übergebenen Schmuckes auf lediglich knapp 3.000 € beziffere, sei dies vorliegend nicht der Fall.

II.

9Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Aufklärungspflicht der Beklagten über den mangelnden Versicherungsschutz nicht verneint werden.

101. Richtig sieht das Berufungsgericht allerdings, dass eine Pflichtverletzung der Beklagten sich nicht bereits daraus ergibt, dass sie den von der Klägerin entgegengenommen Schmuck nicht gegen das von keiner Vertragspartei zu vertretende Risiko des Verlusts durch Diebstahl oder Raub versichert hat. Dahingestellt bleiben kann dabei, ob zwischen den Parteien betreffend das zur Reparatur übergebene Goldarmband bereits ein Werkvertrag gemäß § 631 BGB zustande gekommen ist. Denn eine generelle Versicherungspflicht besteht für den Juwelier weder für Kundenschmuck, der zur Durchführung eines Werkvertrages (§ 631 BGB), noch für solchen, der zur Abgabe eines Ankaufs- oder Reparaturangebotes (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) entgegengenommen wird (für das Werkvertragsrecht ebenso: OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 107; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 631 Rn. 15; Staudinger/Peters/Jakoby, 2014, BGB, § 644 Rn. 14; Messerschmidt/Voit/Merkens, Privates Baurecht, 2. Aufl., § 644 Rn. 7; BeckOGK/Merkle, BGB, Stand: , § 631 Rn. 469, 469.1; vgl. auch RG, HRR 1928, Nr. 413 zur Versicherungspflicht des Betreibers einer KfZ-Werkstatt gegen Feuergefahr; eine Versicherungspflicht bei Entgegennahme besonders wertvoller Gegenstände bejahend: Schwenker in Erman, BGB, 14. Aufl., § 644 Rn. 5; MünchKommBGB/Busche, 6. Aufl., § 644 Rn. 13; ähnlich auch: BeckOK BGB/Voit, Stand: , § 631 Rn. 62, § 644 Rn. 8).

112. Eine Pflicht der Beklagten, den Kläger darauf hinzuweisen, dass das Risiko des Verlustes durch Diebstahl oder Raub nicht oder nicht in voller Höhe durch Versicherungen gedeckt war, kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.

12a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (, NJW 2001, 3331, 3332, juris Rn. 15; vom - XII ZR 192/08, NJW 2010, 3362 Rn. 21; jeweils m.w.N.) besteht bei Vertragsverhandlungen zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage besteht allerdings dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (, BauR 1979, 447, juris Rn. 8; vom - VIII ZR 335/89, NJW 1991, 1223, 1224, juris Rn. 14; vom - IX ZR 360/00, aaO Rn. 15; vom - XII ZR 192/08, aaO Rn. 22; jeweils m.w.N.). Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (, aaO Rn. 22).

13b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kann ein Juwelier verpflichtet sein, einen Kunden auf den fehlenden Versicherungsschutz dann hinzuweisen, wenn es sich um Schmuckstücke von außergewöhnlich hohem Wert handelt.

14Ein solcher Fall liegt hier auch unter Zugrundelegung der Vorstellung des Klägers vom Wert der übergebenen Schmuckstücke (2.930 €) nicht vor.

15c) Ferner kann der Kunde gegebenenfalls nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dann eine Aufklärung über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub erwarten, wenn diese Versicherung branchenüblich ist.

16Branchenüblichkeit liegt vor, wenn sich innerhalb einer Gruppe von Unternehmen, die ähnliche Leistungen auf dem Markt anbieten, eine Gepflogenheit oder ein Brauch innerhalb einer bestimmten Tätigkeit entwickelt hat, der nicht nur vorübergehend besteht, sondern eine gewisse Kontinuität erkennen lässt. Dies ist für die hier in Rede stehende Versicherung für die Revision mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten des Klägers zu unterstellen.

17Die Branchenüblichkeit kann eine berechtigte Erwartung des Kunden begründen, dass ein solcher Versicherungsschutz besteht. Dies ist für den Juwelier als Mitglied der Branche auch erkennbar. Wenn der Juwelier die deshalb möglicherweise gebotene Aufklärung unterlässt, begeht er eine Pflichtverletzung.

18Soweit die Revisionserwiderung die Aufklärung durch den Juwelier für unzumutbar hält, weil dies seine wirtschaftliche Tätigkeit wegen des damit verbundenen Zeitaufwands lähmen würde, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Bei den hier in Rede stehenden Vertragsanbahnungen handelt es sich nicht um Massengeschäfte, die eine derartige zeitliche Inanspruchnahme nicht zuließen.

193. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage des Parteivorbringens Feststellungen zur Branchenüblichkeit und der daraus folgenden Verkehrsanschauung zu treffen haben.

Eick                      Kartzke                        Jurgeleit

            Sacher                       Wimmer

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:020616UVIIZR107.15.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 1537
NJW 2016 S. 9
NJW-RR 2016 S. 859 Nr. 14
NWB-Eilnachricht Nr. 26/2016 S. 1949
WM 2016 S. 1351 Nr. 28
XAAAF-76523