BGH Urteil v. - 2 StR 405/15

Strafverfahren wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs und Vergewaltigung: Erforderlichkeit der Urteilsfeststellungen zur sexuellen Motivation des Täters; Vorliegen einer schutzlosen Lage bei bloßer Ausnutzung des Alleinseins; Gewaltanwendung bei Penetration eines Kleinkindes

Gesetze: § 176a Abs 2 Nr 1 StGB, § 177 Abs 1 Nr 1 StGB, § 177 Abs 1 Nr 3 StGB, § 184h StGB

Instanzenzug: LG Gera Az: 2 KLs - 460 Js 14653/13 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte im Oktober 2012 die Zeugin S.     S.       kennen und bezog mit dieser und ihrer am geborenen Tochter So.    im Dezember 2012 eine gemeinsame Wohnung. Dort war am die Schwester seiner Lebensgefährtin, M.      S.      , zu Besuch. In der Zeit zwischen 18.30 Uhr und 18.45 Uhr brachte der Angeklagte das Kind zu Bett. Gegen 19.00 Uhr verließen S.     und M.       S.       die Wohnung, um Einkäufe vorzunehmen. In der Zeit ihrer etwa einstündigen Abwesenheit drang der Angeklagte mit einem Körperteil oder einem Gegenstand in die Scheide des Kindes ein, das dadurch Schmerzen erlitt und blutete. Dies wurde zunächst von S.     und M.        S.       nach ihrer Rückkehr nicht bemerkt. Gegen 21.00 Uhr begab sich der Angeklagte zur Arbeit. Etwa eine Stunde später stellte S.     S.       fest, dass das Kind eingenässt hatte und Blutungen im Genitalbereich aufwies. Nach dem Ergebnis einer anschließenden ärztlichen Untersuchung hatte es einen Dammriss erlitten.

3Der Angeklagte hat die Tatbegehung bestritten. Das sachverständig beratene Landgericht hat aus der Art der Verletzung darauf geschlossen, dass ausschließlich eine Penetration die Ursache dafür gewesen sein könne. Als Täter komme nach den festgestellten Umständen nur der Angeklagte in Betracht.

4Das Landgericht hat die Tat als Vergewaltigung durch Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, in Tateinheit mit einem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes bewertet.

II.

5Die Revision hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

61. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden.

7a) Eine Verurteilung ist in einem Ausschlussverfahren möglich, wenn kein Beweisanzeichen vorliegt, das unmittelbar auf die Tatbegehung und den Täter schließen lässt. Dieses methodische Vorgehen bildet allerdings nur dann eine tragfähige Grundlage für die Verurteilung eines Angeklagten, wenn alle relevanten Alternativen mit einer den Mindestanforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung genügenden Weise abgelehnt werden, wobei ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gestützte Zweifel nicht mehr zulässt (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 395/11, StraFo 2012, 466 f.).

8b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.

9aa) Das Landgericht hat aufgrund des medizinischen Befundes darauf geschlossen, dass nur eine Penetration als Ursache für den Dammriss in Betracht kommt. Für einen Sturz des Kindes auf einen Gegenstand mit gespreizten Beinen als Alternative hat es keinen konkreten Hinweis gesehen. Gegen seine Beweiswürdigung ist insoweit rechtlich nichts zu erinnern.

10bb) Auch die Annahme, dass nach den zeitlichen Abläufen nur der Angeklagte als Verursacher der Verletzung des Kindes im Genitalbereich in Betracht kommt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Frauen hat das Landgericht als mögliche Verursacherinnen in rechtlich unbedenklicher Weise ausgeschlossen. Danach blieb in dem für die Tatbegehung verbleibenden zeitlichen Rahmen nur der Angeklagte als Täter übrig.

11Hiernach ist die Tatsache, dass S.     und M.        S.       die Verletzung des Kindes erst geraume Zeit nach ihrer Rückkehr in die Wohnung bemerkt haben, für die Beweiswürdigung unerheblich. Das Landgericht hat die Tatsache, dass das Kind auf die äußerst schmerzhafte Verletzung mit Schreien reagiert haben muss, das jedoch von den Frauen nicht wahrgenommen wurde, nachvollziehbar damit erklärt, dass das Kind nach der in Abwesenheit der Frauen begangenen Tat und seinem Schreien vor Schmerzen so erschöpft war, dass es später auch dem herbeigerufenen Notarzt völlig apathisch erschien.

12cc) Aus der Art der Verletzung und den Umständen zur Tatzeit – nach Zubettbringen des Kindes – konnte das Landgericht schließlich auf das Vorliegen einer sexuellen Handlung als Ursache schließen.

13Die Strafkammer konnte zwar nicht feststellen, ob der Angeklagte einen Körperteil oder einen Gegenstand in die Scheide der Nebenklägerin eingeführt hat. Beides stellt aber eine im Hinblick auf Art und Ausmaß der Verletzung im Genitalbereich und der Vaginalpenetration als Verletzungsursache eine dem Beischlaf ähnliche Handlung dar, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB).

14Dass die Strafkammer keine Feststellungen zur Motivlage des Angeklagten zu treffen vermochte, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da der sexuelle Charakter der Handlung bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild auf der Hand liegt. Eine sexuelle Motivation des Täters ist dann zur Feststellung des Vorliegens einer sexuellen Handlung nicht erforderlich (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 184h Rn. 4; BeckOK-StGB/Ziegler, StGB, 29. Ed., § 184h Rn. 3).

152. Der Schuldspruch ist entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts abzuändern, da die Feststellungen die Annahme einer tateinheitlich verwirklichten sexuellen Nötigung nicht tragen.

16a) Für eine Anwendung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB reicht es nicht aus, dass der Angeklagte die Abwesenheit schutzbereiter Dritter, also der Mutter des Kindes und deren Schwester, zur Verwirklichung der Tat ausnutzte. Aus dem bloßen Alleinsein von Täter und kindlichem Opfer, das aufgrund seiner konstitutionellen Lage keinen Widerstand leisten kann, kann sich daher nicht schon eine schutzlose Lage im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB ergeben (vgl. ​Fischer, StGB § 177 Rn. 29; MünchKomm/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 177 Rn. 50). Vielmehr ist zur Erfüllung dieses Tatbestands erforderlich, dass die sexuellen Handlungen gegen den Willen des Opfers geschehen und das Opfer keinen Widerstand leistet, weil es dies aufgrund seiner schutzlosen Lage für aussichtslos hält (vgl. ; BGHSt 50, 359, 366; Beschluss vom - 5 StR 12/15, BGHR StGB § 176a Abs. 3 Konkurrenzen 1; Fischer, StGB § 177 Rn. 40). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Landgericht nicht festgestellt. Es ist auch nicht zu erwarten, dass entsprechende Feststellungen vom neuen Tatrichter getroffen werden können.

17b) Ferner ist nicht anzunehmen, dass das Landgericht in der neuen Hauptverhandlung noch weitere Feststellungen treffen könnte, die zu einer Anwendung von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB führen würden.

18Die Penetration als sexuelle Handlung ist von einer Gewaltanwendung als Nötigungshandlung zu unterscheiden, denn der Verbrechenstatbestand setzt insoweit sowohl eine Nötigung mit Gewalt als auch die Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung als Nötigungserfolg voraus (vgl. , BGHSt 17, 1, 3 f.; Urteil vom – 2 StR 669/81, BGHSt 31, 76, 77; Beschluss vom - 3 StR 256/04, NStZ 2005, 268; Fischer, StGB § 177 Rn. 14; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2013, § 177 Rn. 17; SSW/Wolters, StGB, 2. Aufl., § 177 Rn. 14).

19Allein aus der Tatsache, dass eine Penetration erfolgt ist, die das Kind verletzt hat, kann auch nicht zugleich auf die Anwendung von Gewalt, etwa durch ein Festhalten des Opfers, geschlossen werden. Da der Angeklagte die Tatbegehung bestreitet, das geschädigte Kind nicht aussagetüchtig ist und sonstige Beweismittel fehlen, lässt sich im Ergebnis nicht nachweisen, dass der Angeklagte über die Vornahme der sexuellen Handlung hinaus nötigende Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB eingesetzt hat.

20c) Deshalb muss der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Vergewaltigung entfallen. Die Anwendung von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist rechtsfehlerfrei. Das Verfahren ist mit der Anklageerhebung auf den Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes beschränkt worden.

21Der Senat ändert den Schuldspruch dementsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich bei einem rechtlichen Hinweis auf diese Möglichkeit nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

223. Die Änderung des Schuldspruchs zwingt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

Fischer                           Appl                           Krehl

                Eschelbach                      Bartel

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:300316U2STR405.15.0

Fundstelle(n):
RAAAF-74367