Instanzenzug: S 90 SO 340/11
Gründe:
I
1Im Streit sind höhere Leistungen der Eingliederungshilfe für eine stationäre Maßnahme nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
2Der 1990 geborene, behinderte Kläger (GdB von 100; Merkzeichen G und H) lebt in einer stationären Einrichtung und wird dort gemäß einem mit dem Beigeladenen geschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrag betreut. Zwischen dem Beigeladenen und dem Beklagten sind Vereinbarungen nach § 75 Abs 3 SGB XII auf der Grundlage des Berliner Rahmenvertrages nach § 79 SGB XII geschlossen, deren Gegenstand ua Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach einem System von Hilfebedarfsgruppen und Leistungsgruppen sind. Der Beklagte gewährte dem Kläger Eingliederungshilfe in Form des Betreuten-Wohnens nach der (höchsten) Hilfebedarfsgruppe V (zuletzt 250,03 Euro täglich). Die Klage gerichtet auf Übernahme einer weiteren Vergütung in Höhe von 98,67 Euro kalendertäglich blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom ; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Berlin-Brandenburg vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass ein Kostenübernahmeanspruch des Klägers gegen den Beklagten allenfalls so weit reichen könne, wie der Kläger dem Beigeladenen eine Vergütung schulde, wenn dadurch der gesamte Hilfebedarf des Klägers abgedeckt werden könne. Mit dem Abschluss der Leistungsvereinbarung habe sich der Beigeladene zu einer umfassenden Versorgung des Klägers verpflichtet; dabei sei die Ermittlung des klägerischen Hilfebedarfs (nach der Hilfebedarfsgruppe V) nach dem in der Leistungsbeschreibung vereinbarten sog "Metzler-Verfahrens" erfolgt. Wohn- und betreuungsvertraglich hätten weitergehende Vergütungsansprüche des Beigeladenen eine Einzelvereinbarung erfordert, die aber nicht abgeschlossen worden sei; für eine stillschweigende Vereinbarung lasse der Wohn- und Betreuungsvertrag keinen Raum. Eine solche Vereinbarung verstieße zudem gegen das Schriftlichkeitsgebot des § 6 Abs 1 und 2 Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (WBVG).
3Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil und beantragt zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Rechtsanwalts. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und formuliert insoweit folgende Rechtsfragen:
41. Stellen die Ermittlung des Hilfebedarfs für behinderte Menschen mit vergleichbarem Hilfebedarf im sog "Metzler-Verfahren" sowie die Zuordnung eines einzelnen Menschen zu einer Hilfebedarfsgruppe ein geeignetes Instrument zur Bestimmung und Ermittlung des individuellen Eingliederungsbedarfs des betroffenen behinderten Menschen in quantitativer und qualitativer Hinsicht unter angemessener Berücksichtigung seines Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person, im Sinne des § 9 Abs 1 SGB XII dar?
2. Kann ein konkludent geschlossener Zusatzvertrag zu einem bestehenden Wohn- und Betreuungsvertrag die bedarfs- und leistungsgerechte Versorgung eines behinderten Menschen iS der §§ 9, 53, 54 SGB XII begründen bzw belegen, oder steht dem insoweit § 6 Abs 1 und 2 WBVG entgegen?
3. Wird der Kostenübernahmeanspruch eines behinderten Menschen begrenzt durch ein "Gesamtentgelt", das sich nach Leistungsvereinbarungen richtet, die gemäß den Bestimmungen des Landesrahmenvertrags zwischen einem freigemeinnützigen Einrichtungsträger der Behindertenhilfe und dem zuständigen Sozialhilfeträger abgeschlossen worden sind?
II
5Die Beschwerde ist unzulässig, weil der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
6Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.
7Es fehlt betreffend die zu 1 und 2 gestellten Rechtsfragen jedenfalls an einer ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nämlich nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31): Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39; SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser formalen Voraussetzungen BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 31).
8Die unter 1 gestellte Rechtsfrage mag - wie es der Kläger im Einzelnen dargestellt hat - klärungsbedürftig sein. Er hat aber nicht näher dargelegt, wie sich das nach seiner Auffassung "ungeeignete" Metzler-Verfahren auf die Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII auswirken soll. Soweit er darstellt, wegen der ungeeigneten Ermittlungsmethode sei der angefochtene Bescheid für die Bestimmung des individuellen Hilfebedarfs sowohl "ermessensfehlerhaft zustande gekommen als auch im Ergebnis fehlerhaft", genügt dies nicht, um nachvollziehbar zu machen, welche Rechtsfolgen sich daraus für die Wirksamkeit der bestehenden Vereinbarungen zwischen dem Beklagten und dem Beigeladenen und in der Folge für die zivilrechtlichen Verträge zwischen ihm und dem Beigeladenen ergeben würden.
9Zur Darlegung der Frage 2 fehlt es an Ausführungen dazu, dass sich auf der Grundlage der Feststellungen des LSG überhaupt ein höherer Anspruch ergäbe; denn auch der Kläger macht nicht geltend, dass ohne eine (zumindest "konkludent" getroffene) vertragliche Regelung zwischen ihm und dem Beigeladenen die Pflicht des Beklagten zu einem weitergehenden Schuldbeitritt bestehen soll. Insoweit trägt der Kläger selbst vor, dass nach den Ausführungen des LSG eine zivilrechtliche Einzelvereinbarung wegen des behaupteten erhöhten Versorgungsbedarfs mit dem Beigeladenen nicht abgeschlossen worden sei und die dem Beigeladenen geschuldete Vergütung den zwischen dem Beklagten und Beigeladenen vereinbarten Vergütungen entspreche. Darüber hinaus rügt er nur, bei Beantwortung der 2. Rechtsfrage hätte das LSG weiter ermitteln müssen, ob zwischen ihm und dem Beigeladenen konkludent eine Vertragsänderung über eine höhere Vergütung zustande gekommen sei. Darin liegt ("mittelbar") nur der Vorwurf eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Auf eine Verletzung des § 103 SGG könnte eine Verfahrensrüge jedoch nur gestützt werden, wenn der Kläger sich auf einen Beweisantrag bezöge, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt wäre; entsprechendes ist schon nicht behauptet.
10Betreffend die unter 3 gestellte Rechtsfrage fehlt es zumindest an der notwendigen Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit. Der Kläger behauptet insoweit nur, dass sie durch das Bundessozialgericht noch nicht entschieden sei. Ohne jede Auseinandersetzung mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung (BSG SozR 4-3500 § 53 Nr 4) genügt dies indes nicht den formalen Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Es hätte vielmehr dargelegt werden müssen, wieso die bezeichnete Senatsentscheidung die formulierte Rechtsfrage nicht beantwortet. Diese Verpflichtung kann der Kläger nicht dadurch umgehen, dass er sich entweder nicht der Mühe unterzieht, veröffentlichte oberstgerichtliche Entscheidungen (auch soweit sie das LSG nicht in Bezug nimmt) zu ermitteln, oder wahrheitswidrig behauptet, es gäbe keine.
11Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 SGG, § 114 Abs 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) bietet, ist dem Kläger auch keine PKH zu bewilligen. Mit der Ablehnung von PKH entfällt zudem die Beiordnung seines Rechtsanwalts (§ 121 ZPO).
12Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstelle(n):
VAAAF-72027