BAG Urteil v. - 9 AZR 507/14

Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub - Verfall trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers

Gesetze: § 362 Abs 1 BGB, § 366 Abs 2 BGB, § 9 BUrlG, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Bamberg Az: 4 Ca 722/13 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 7 Sa 32/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Jahr 2012.

2Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit 1968 als Technikumsmitarbeiter in einer Fünftagewoche. Die Parteien wenden auf ihr Arbeitsverhältnis den zwischen der Beklagten und der IG Metall geschlossenen Haustarifvertrag vom an. Dieser verweist in § 2 Ziff. 1 Buchst. a auf den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom (MTV), in dem ua. Folgendes geregelt ist:

3Im Jahr 2012 gewährte die Beklagte dem Kläger an zwölf Arbeitstagen Urlaub. Die Beklagte genehmigte darüber hinaus den vom Kläger beantragten Urlaub vom bis zum . Vom bis zum war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Nach seiner Genesung beantragte der Kläger, ihm vom 10. Juni bis zum Urlaub zu gewähren. Die Beklagte gewährte dem Kläger Urlaub vom 10. bis zum verbunden mit dem Hinweis, zehn Tage des aus dem Jahr 2012 stammenden Urlaubs seien bereits verfallen.

4Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stünden noch zehn Urlaubstage aus dem Jahr 2012 zu. Das Fristenregime des MTV unterscheide sich nicht vom Fristenregime des BUrlG.

5Der Kläger hat zuletzt beantragt

6Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der vom Kläger beanspruchte Urlaub sei mit Ablauf des verfallen.

7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Gründe

8Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert und der Klage stattgegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere zehn Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2012. Die Beklagte hat den aus dem Jahr 2012 stammenden Anspruch des Klägers auf gesetzlichen Mindesturlaub durch die Gewährung von 20 Arbeitstagen Urlaub erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Der darüber hinausgehende Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub ging ungeachtet der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers mit Ablauf des unter. Ein Anspruch des Klägers auf Ersatzurlaub besteht nicht, da sich die Beklagte vor diesem Zeitpunkt nicht in Verzug mit der Urlaubsgewährung befand.

9I. Der Kläger erwarb zu Beginn des Jahres 2012 gemäß § 18 Abschn. B Ziff. 1 MTV, der gemäß § 2 Ziff. 1 Buchst. a des Haustarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, einen Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub. Im Laufe des Jahres nahm der Kläger an zwölf Arbeitstagen Urlaub mit der Folge, dass der Urlaubsanspruch des Klägers insoweit durch Erfüllung unterging (§ 362 Abs. 1 BGB).

101. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts erfüllte die Beklagte nicht nur den Anspruch auf den tariflichen Mehrurlaub, sondern auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Unterscheidet eine tarifvertragliche Regelung hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen gesetzlichen und arbeits- oder tarifvertraglichen Urlaubsansprüchen und räumt sie den Arbeitnehmern einen über den gesetzlichen Anspruch hinausgehenden Anspruch auf Erholungsurlaub ein, kommt ein Rückgriff auf die Auslegungsregel in § 366 Abs. 2 BGB ebenso wenig in Betracht wie eine analoge Anwendung dieser Vorschrift. Denn es handelt sich insoweit um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub, der auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht ( - Rn. 18).

112. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Frage, ob § 366 Abs. 2 BGB auf Urlaubsansprüche anzuwenden ist, werde vom Senat nicht einheitlich beantwortet, geht sein Hinweis auf die Entscheidungen vom (- 9 AZR 914/11 -) und (- 9 AZR 302/12 -) fehl. In diesen Entscheidungen ging es nicht um die Erfüllung von gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüchen, sondern um eine (etwaige) Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers iSv. § 366 Abs. 1 BGB bei der Zahlung von Urlaubsabgeltung.

12II. Der tarifliche Mehrurlaub im Umfang von zehn Tagen verfiel gemäß § 18 Abschn. A Ziff. 7 Satz 1 MTV am .

131. Gemäß § 18 Abschn. A Ziff. 7 Satz 1 MTV erlischt der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaub drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde.

142. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verfalls lagen im Streitfall mit Ablauf des vor. Der Kläger machte den restlichen tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2012 im Umfang von zehn Arbeitstagen nicht vor seinem Verfall gegenüber der Beklagten erfolglos geltend. Gewährt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den von ihm beantragten Urlaub, liegt eine erfolglose Geltendmachung im Tarifsinne unabhängig davon nicht vor, ob der Arbeitnehmer den Urlaub später tatsächlich antritt. Dies ergibt die Auslegung der maßgeblichen Tarifvorschrift (zu den auf Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen vgl.  - Rn. 17 mwN, BAGE 134, 184).

15a) Bereits der Wortlaut des § 18 Abschn. A Ziff. 7 Satz 1 MTV spricht gegen die seitens des Klägers präferierte Auslegung, der zufolge der Arbeitnehmer den Urlaub auch dann erfolglos geltend macht, wenn der Arbeitgeber ihn antragsgemäß genehmigt, der Arbeitnehmer ihn aber infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen kann. Die Tarifvorschrift spricht von einer Geltendmachung des Urlaubs, nicht aber von Urlaubsnahme. Der Arbeitnehmer macht seinen Urlaub gegenüber dem Arbeitgeber geltend, wenn er diesen auffordert, ihm Urlaub zu gewähren. Erteilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den beantragten Urlaub - unter Zusage der Zahlung von Urlaubsentgelt (vgl.  - Rn. 21) -, hat die Geltendmachung Erfolg, da der Arbeitgeber die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung vorgenommen hat (vgl.  - Rn. 19). Die spätere krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers (vgl. § 9 BUrlG) ist ein nachträgliches Erfüllungshindernis, das aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammt.

16b) Mit der Tarifierung der Einschränkung „es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde“ haben die Tarifvertragsparteien im Interesse einer Kodifizierung eine umfassende Regelung der tariflichen Urlaubsansprüche treffen wollen. Dabei haben sie in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Senats, der zufolge dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs ein Anspruch auf (Ersatz-)Urlaub zusteht, wenn der Arbeitgeber einen fristgerecht gestellten Urlaubsantrag ablehnt (vgl. im Einzelnen  - Rn. 10), bestimmt, dass dem Arbeitnehmer der Anspruch verbleibt, wenn er den Arbeitgeber vor dem Verfall des Urlaubs in Verzug gesetzt hat.

173. Die über den fortdauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers gibt kein anderes Ergebnis vor. Während der Anspruch des Klägers auf gesetzlichen Mindesturlaub über das erste Quartal des Jahres 2013 hinaus fortbestand (vgl.  - Rn. 32 ff., BAGE 142, 371), ging der Anspruch des Klägers auf tariflichen Mehrurlaub mit Ablauf des unter. Die Tarifbestimmung des § 18 Abschn. A Ziff. 7 Satz 1 MTV ist insoweit wirksam, als sie einen Verfall des tariflichen Mehrurlaubs regelt.

18a) Die Parteien des MTV haben den tariflichen Mehrurlaub einem eigenständigen Fristenregime unterstellt. Das hat der Senat in seinem Urteil vom (- 9 AZR 747/14 - Rn. 15 ff.) zur wortgleichen Vorgängerregelung in § 25 Abschn. A Ziff. 7 Satz 1 des MTV vom idF vom entschieden (vgl. ferner zur strukturell ähnlichen Vorschrift des § 12 Abschn. I Ziff. 11 des Manteltarifvertrags für die chemische Industrie vom idF vom  - Rn. 27 f.). Die Abweichung vom gesetzlichen Fristenregime hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer das Risiko trägt, dass der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub infolge Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar ist.

19b) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub krankheitsbedingt arbeitsunfähiger Arbeitnehmer unwirksam ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG iVm. § 134 BGB). Für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, bleibt sie wirksam (vgl.  - Rn. 13).

20III. Den nach dem verbleibenden Anspruch des Klägers auf acht Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub erfüllte die Beklagte mit der Gewährung von Urlaub im Zeitraum vom 10. bis zum (§ 362 Abs. 1 BGB).

21IV. Der Klageantrag hat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schadensersatzes keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 287 Satz 2, § 249 Satz 1 BGB liegen nicht vor. Hat der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch auf Gewährung von Ersatzurlaub um (vgl.  - Rn. 11, BAGE 138, 58). Als der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub mit Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums am verfiel, befand sich die Beklagte mit der Urlaubsgewährung nicht in Verzug.

221. Dem Antrag des Klägers, mit dem er Urlaub vom bis zum begehrte, hat die Beklagte entsprochen. Die von ihr geschuldete Erfüllungshandlung, die Freistellung des Klägers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung mit der konkludenten Zusage, das Urlaubsentgelt an den Kläger zu zahlen, hat sie erbracht. Die Beklagte hat es nicht zu vertreten, dass der Leistungserfolg ausgeblieben ist (vgl. § 287 Satz 1 BGB). Grund hierfür war allein die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers, also ein Umstand aus der Sphäre des Klägers als Gläubiger des Urlaubsanspruchs.

232. Als der Kläger nach seiner Genesung Urlaub vom 10. Juni bis zum beantragte, war der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub bereits untergegangen.

24V. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen (§ 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:190116.U.9AZR507.14.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 947 Nr. 16
YAAAF-70296