BAG Urteil v. - 1 AZR 938/13

Sozialplanabfindung - Benachteiligung wegen Behinderung

Leitsatz

Eine an die Rentenberechtigung aufgrund der Schwerbehinderung anknüpfende Pauschalierung der Sozialplanabfindung benachteiligt schwerbehinderte Arbeitnehmer unmittelbar gegenüber nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern, welche in gleicher Weise von dem sozialplanpflichtigen Arbeitsplatzverlust betroffen sind und eine höhere, nach ihren individuellen Betriebs- und Sozialdaten zu ermittelnde Sozialplanabfindung verlangen können.

Gesetze: § 75 Abs 1 BetrVG, § 1 AGG, § 3 Abs 1 S 1 AGG

Instanzenzug: Az: 13 Ca 5641/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 12 Sa 692/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Zahlung einer höheren Sozialplanabfindung.

2Der 1950 geborene Kläger war bis zum bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.852,00 Euro beschäftigt. Er ist schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 70. Sein Arbeitsverhältnis endete aus betriebsbedingten Gründen wegen Stilllegung einer Betriebsabteilung. Die anlässlich dieser Betriebsänderung am von der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat geschlossene „Vereinbarung über einen Sozialplan“ (SP 2011) lautet auszugsweise:

3Die Beklagte zahlte dem Kläger, der eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem abschlagsfrei und mit frühestem Rentenbeginn ab dem mit Abschlägen beziehen konnte, neben dem Zusatzbetrag nach § 2 Ziff. 5 SP 2011 iHv. 1.000,00 Euro eine Abfindung entsprechend § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 iHv. 10.000,00 Euro. Die Berechnung der Abfindung nach der in § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 festgelegten Formel hätte 64.558,00 Euro ergeben.

4Mit seiner Klage hat der Kläger eine weitere Abfindung iHv. 53.558,00 Euro nebst Zinsen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Regelung des § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 sei unwirksam. Sie benachteilige ihn wegen seiner Schwerbehinderung. Die Abfindung berechne sich daher nach der in § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 niedergelegten Formel.

5Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

6Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit der Auffassung begründet, § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 bewirke keine nachteilige Behandlung von Arbeitnehmern aufgrund deren Schwerbehinderung. Auch könne sich die Festlegung der pauschalierten Abfindung für die bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund ihrer Schwerbehinderung rentenberechtigten Arbeitnehmer gegenüber einer individuellen Berechnung der Abfindungshöhe entsprechend § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 sogar günstiger auswirken, insbesondere bei einer sehr kurzen Betriebszugehörigkeit.

7Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer weiteren Abfindung iHv. 30.000,00 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen mit der Begründung abgewiesen, der dem Kläger zustehende und auf der Grundlage der Formelberechnung des § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 zu ermittelnde Abfindungsbetrag sei nach § 2 Ziff. 3 erster Gliederungspunkt SP 2011 auf 40.000,00 Euro begrenzt. Das Landesarbeitsgericht hat die nur von der Beklagten eingelegte Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollumfängliche Klageabweisung weiter.

Gründe

8Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage iHv. 30.000,00 Euro brutto stattgebende arbeitsgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat nach dem Sozialplan einen Anspruch auf eine Abfindung, deren Höhe sich ausgehend von der in § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 niedergelegten Formelberechnung bestimmt. Unter Berücksichtigung des dem Kläger gezahlten Abfindungsbetrags und der von ihm nicht mehr angegriffenen Begrenzung der Abfindung nach § 2 Ziff. 3 erster Gliederungspunkt SP 2011 ist die Klageforderung in der in die Revisionsinstanz gelangten Höhe begründet.

9I. Der Kläger unterfällt dem Anwendungsbereich des SP 2011 nach dessen § 1 Ziff. 1. Er stand am in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis und ist von der Stilllegung der Frischdienstorganisation betroffen. Hierüber streiten die Parteien nicht.

10II. Der Kläger unterliegt nicht dem Anwendungsausschluss des § 1 Ziff. 3 SP 2011. Er hatte im Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf eine gesetzliche Vollrente wegen Alters oder wegen voller, unbefristeter Erwerbsminderung. Mit der Formulierung „gesetzliche Vollrente wegen Alters“ haben die Betriebsparteien offensichtlich den Regelaltersrentenanspruch nach § 35 Satz 1, § 235 SGB VI, jedenfalls aber einen ungekürzten Rentenbezug gemeint. Auch die Beklagte hat sich nicht auf den Standpunkt gestellt, dass der Anspruch des Klägers auf eine Sozialplanleistung nach § 1 Ziff. 3 SP 2011 ausgeschlossen sei.

11III. Der Kläger hat nach § 2 Ziff. 1 Satz 1 bis Satz 5 SP 2011 einen Anspruch auf die noch rechtshängige Sozialplanabfindung iHv. 30.000,00 Euro brutto. Er muss sich nicht auf die Abfindungspauschale nach § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 verweisen lassen. Diese Regelung ist mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG nicht vereinbar. Sie ist daher auf den Kläger nicht anwendbar.

121. Gemäß § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 haben Mitarbeiter, die aufgrund einer Schwerbehinderung bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Rente in Anspruch nehmen können, keinen Anspruch auf Abfindung nach der in § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 festgelegten Faktorenberechnung. Sie erhalten ungeachtet ihrer insoweit maßgeblichen Berufs- und Sozialdaten einen pauschalierten Abfindungsbetrag iHv. 10.000,00 Euro. Die Betriebsparteien haben hierbei nicht auf den tatsächlichen Bezug der Rente, sondern auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs abgehoben. Auch haben sie nicht differenziert zwischen den Möglichkeiten, die Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a SGB VI abschlagsfrei (beim Kläger gemäß § 236a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VI nach Vollendung des 63. Lebensjahres) oder vorzeitig mit Abschlägen (beim Kläger gemäß § 236a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 iVm. § 77 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 Buchst. a SGB VI nach Vollendung des 60. Lebensjahres) in Anspruch zu nehmen.

13Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Für ihn bestand unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab dem die Möglichkeit, eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen vorzeitig in Anspruch zu nehmen (§ 236a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB VI). Er hatte in diesem Zeitpunkt das 60. Lebensjahr vollendet.

142. Gleichwohl muss er sich für die Berechnung der Sozialplanabfindung nicht auf § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 verweisen lassen. Die in dieser Vorschrift geregelte Ausgestaltung der Sozialplanabfindung für rentenberechtigte schwerbehinderte Menschen verstößt gegen § 75 Abs. 1 BetrVG.

15a) Sozialpläne unterliegen, wie andere Betriebsvereinbarungen, der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle. Sie sind daraufhin zu überprüfen, ob sie mit höherrangigem Recht, wie insbesondere dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, vereinbar sind ( - Rn. 18).

16b) Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in der Vorschrift genannten Gründen unterbleibt. § 75 Abs. 1 BetrVG enthält nicht nur ein Überwachungsgebot, sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Differenziert ein Sozialplan für die Berechnung einer Abfindung zwischen unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen, hat ein damit einhergehender Systemwechsel die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu beachten. Der Gesetzgeber hat die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote in § 75 Abs. 1 BetrVG übernommen ( - Rn. 19). Dazu gehört auch das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung ( - Rn. 20, BAGE 138, 107).

17c) Der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltene Begriff der Benachteiligung und die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung richten sich nach den Vorschriften des AGG ( - Rn. 21, BAGE 138, 107). Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

18d) Dieses Diskriminierungsverbot haben die Betriebsparteien bei dem Systemwechsel für die Berechnung der Sozialplanabfindung missachtet. Dies bedingt eine unmittelbare Benachteiligung der langjährig für die Beklagte tätigen schwerbehinderten Arbeitnehmer.

19aa) Die Betriebsparteien haben bei den unter den Geltungsbereich des Sozialplans fallenden Arbeitnehmern mit § 2 Ziff. 1 Satz 1, Satz 6 und Satz 7 SP 2011 unterschieden zwischen Mitarbeitern, denen ein in Abhängigkeit von Betriebszugehörigkeit, Monatsentgelt und Lebensalter zu ermittelnder Abfindungsbetrag zusteht, und denen, die hiervon ausgenommen sind und einen pauschalierten Betrag erhalten. Diese Systemumstellung bei dem Anspruch auf Abfindung stellt eine Ungleichbehandlung dar.

20bb) § 2 Ziff. 1 Satz 6 SP 2011 verknüpft den Ausschluss von einer Abfindung nach der Berechnung des § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 mit einem Rentenanspruch aufgrund einer Schwerbehinderung. Der zu dem Ausschluss und der pauschalierten Abfindung des § 2 Ziff. 1 Satz 7 SP 2011 führende Grund liegt also allein in einer solchen Rente, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Schwerbehinderung beanspruchen kann. Bei der Behinderung, worunter die Schwerbehinderung fällt, handelt es sich um ein in § 1 AGG genanntes Merkmal. § 2 Ziff. 1 Satz 6 SP 2011 betrifft damit ausschließlich Träger dieses Diskriminierungsmerkmals. Der Grund für die Ungleichbehandlung bei dem Anspruch auf Abfindung steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer nach § 1 AGG verbotenen Differenzierung wegen einer Behinderung.

21cc) Die an das Merkmal der Schwerbehinderung anknüpfende Ungleichbehandlung benachteiligt den Kläger unmittelbar iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Er wird durch die Systemumstellung bei dem Abfindungsanspruch gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation weniger günstig behandelt.

22(1) § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt eine Ungleichbehandlung, die für den Betroffenen einen eindeutigen Nachteil bewirkt, voraus (vgl.  - Rn. 25, BAGE 133, 265). Das ist hier der Fall. Nach § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 stünde dem Kläger die Abfindungspauschale iHv. 10.000,00 Euro zu, während sich für ihn bei einer Abfindungsberechnung gemäß der Faktorenformel des § 2 Ziff. 1 Satz 1 SP 2011 ein Abfindungsbetrag iHv. 64.558,00 Euro ergibt.

23(2) Als ein dem Geltungsbereich des Sozialplans unterfallender Arbeitnehmer befindet sich der Kläger auch in einer einem nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer vergleichbaren Situation.

24(a) Die Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. Dabei müssen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret erfolgen (vgl.  - Rn. 29, BAGE 138, 107; zur Auslegung der übereinstimmenden Maßgabe in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG ua.  - [Hay] Rn. 32 f. mwN; - C-147/08 - [Römer] Rn. 41 ff., Slg. 2011, I-3591; - C-267/06 - [Maruko] Rn. 67 ff., Slg. 2008, I-1757). Der Vergleich der jeweiligen Situationen ist daher fallbezogen anhand des Zwecks und der Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistungen festzustellen (vgl.  - aaO; vgl. auch  - Rn. 28 mwN).

25(b) Sozialpläne haben nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihnen vorgesehenen Leistungen sollen gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die künftigen Nachteile ausgleichen oder abmildern, die den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehen können. Sie stellen kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste dar (vgl.  - Rn. 23; - 1 AZR 198/08 - Rn. 23, BAGE 131, 61).

26(c) Gemessen hieran ist der Kläger als ein Arbeitnehmer, der aufgrund seiner Behinderung als schwerbehinderter Mensch iSd. § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt ist, in Bezug auf seine durch die Betriebsänderung verursachten wirtschaftlichen Nachteile in einer vergleichbaren Situation iSd. § 3 Abs. 1 AGG mit nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern. Ebenso wie diese verliert er infolge der Betriebsänderung und dem damit verbundenen Verlust seines Arbeitsplatzes seinen Anspruch auf das bisher gewährte Arbeitsentgelt. Aus dem Umstand der früheren Möglichkeit der Inanspruchnahme einer (vorzeitigen) Altersrente aufgrund seiner Schwerbehinderung folgt nicht, dass seine Situation eine andere als die eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers ist (vgl.  - [Odar] Rn. 62).

27dd) Für den Systemwechsel bei der Berechnung nach § 2 Ziff. 1 Satz 1 bis Satz 5 sowie Satz 6 und Satz 7 SP 2011 fehlt es an einem zulässigen Differenzierungsgrund. Ein Rückgriff auf die in § 3 Abs. 2 AGG genannten Rechtfertigungsgründe ist ausgeschlossen. Auch kann weder von einer positiven Maßnahme iSv. § 5 AGG noch von einer zulässigen unterschiedlichen Behandlung unter den in §§ 8 bis 10 AGG genannten Voraussetzungen ausgegangen werden.

28ee) Zur Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung wegen einer Behinderung bedarf es nicht der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Es ist unionsrechtlich geklärt, dass ein letztentscheidungsbefugtes nationales Gericht unter Zugrundelegung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Vergleichsmaßstabs selbst zu prüfen hat, ob sich der Betroffene in einer vergleichbaren Situation mit anderen befindet ( - [Römer] Rn. 52, Slg. 2011, I-3591; - C-267/06 - [Maruko] Rn. 73, Slg. 2008, I-1757). Ebenso ist geklärt, dass bei einer Sozialplanleistung der durch die frühere Möglichkeit der Inanspruchnahme von Altersrente gewährte Vorteil für schwerbehinderte Arbeitnehmer diese gegenüber anderen Arbeitnehmern nicht in eine besondere Situation bringt (vgl.  - [Odar] Rn. 62).

293. Die Annahme des Senats, die Abfindungsregelung des § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 bedinge eine mit dem AGG unvereinbare Benachteiligung wegen einer Behinderung, wahrt die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung. Entgegen der Auffassung der Revision konnte die Beklagte auf die Rechtmäßigkeit des im Sozialplan angeordneten Systemwechsels nicht vertrauen.

30a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung kann daher in der Regel nur bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen ( - Rn. 81, BVerfGE 131, 20).

31b) Danach konnte die Beklagte nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, dass die in Rede stehende Sozialplangestaltung rechtmäßig ist.

32aa) Ein solches Vertrauen ist nicht im Hinblick auf die Senatsentscheidung vom begründet (- 1 AZR 34/10 - Rn. 32 f., BAGE 138, 107; vgl. hierzu nachgehend  -). Der Senat hat in dieser Entscheidung erkannt, dass Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausgenommen werden können, wenn sie wegen des Bezugs einer befristeten vollen Erwerbsminderungsrente nicht beschäftigt sind und mit der Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit auch nicht zu rechnen ist. In diesem Zusammenhang ist der Senat davon ausgegangen, dass von Sozialplanleistungen ausgeschlossene erwerbsgeminderte Arbeitnehmer nicht unmittelbar wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. Zu der Frage einer an die Altersrente für schwerbehinderte Menschen anknüpfenden unmittelbaren Ungleichbehandlung bei einer Sozialplanabfindung verhält sich die Senatsentscheidung nicht.

33bb) Auch die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Senats vom (- 1 AZR 475/07 - BAGE 128, 275) vermag keinen Vertrauensschutz zu vermitteln. In dieser Entscheidung hatte der Senat eine vor dem Inkrafttreten des AGG getroffene Sozialplangestaltung zu beurteilen und angenommen, dass in Sozialplänen für Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf vorzeitige Altersrente haben, geringere Abfindungen vorgesehen werden können. Der Senat hat hierin keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot schwerbehinderter Menschen - das nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum geltenden Fassung sowie nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zu prüfen war - gesehen. Er hat ausgeführt, dass eine unmittelbare Benachteiligung schon deshalb ausscheidet, weil die streitige Sozialplanbestimmung nicht ausdrücklich an das Merkmal der Behinderung angeknüpft hat. Eine mit der Regelung möglicherweise verbundene mittelbare Ungleichbehandlung schwerbehinderter Menschen hat der Senat als sachlich gerechtfertigt angesehen. Nur insoweit könnte sich überhaupt ein Vertrauenstatbestand ergeben, auf den es hier aber nicht ankommt, weil § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 eine unmittelbare Benachteiligung bewirkt. Soweit im Übrigen nunmehr nach der Wertung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seiner Entscheidung vom (- C-152/11 - [Odar]) in der Reduzierung der Sozialplanabfindung in Abhängigkeit von einem frühestmöglichen Renteneintritt eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung wegen einer Behinderung liegt, sind die Möglichkeiten der nationalen Gerichte zur Gewährung von Vertrauensschutz ohnehin unionsrechtlich vorgeprägt und begrenzt (vgl.  - Rn. 28).

344. Rechtsfolge der unzulässigen Ungleichbehandlung ist, dass der Kläger verlangen kann, wie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer behandelt zu werden (vgl. [bei einer Tarifvorschrift]  - Rn. 11; vgl. auch [zur Unanwendbarkeit einer Sozialplanvorschrift]  - Rn. 23, 39 ff., BAGE 125, 366). Es kommt daher nicht darauf an, dass sich nach dem - insoweit allerdings auch nicht konkretisierten - Vorbringen der Beklagten die Bestimmung des § 2 Ziff. 1 Satz 6 und Satz 7 SP 2011 bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer mit einer sehr kurzen Betriebszugehörigkeit gegenüber der individualisierten Abfindung sogar als günstiger erweisen kann. Denn die unterschiedliche und nicht gerechtfertigte Behandlung einer Gruppe von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Schwerbehinderung entfällt nicht dadurch, dass eine andere Gruppe dieser Arbeitnehmer nicht benachteiligt ist (vgl.  (F) - Rn. 17 mwN).

35IV. Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:171115.U.1AZR938.13.0

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 2931 Nr. 48
BB 2016 S. 1085 Nr. 18
BB 2016 S. 884 Nr. 15
DB 2016 S. 1140 Nr. 19
DB 2016 S. 7 Nr. 13
DStR 2016 S. 422 Nr. 7
ZIP 2015 S. 92 Nr. 47
ZIP 2016 S. 689 Nr. 14
RAAAF-69890