BAG Urteil v. - 9 AZR 610/14

Altersteilzeit - Grenzgänger - Aufstockungsbetrag

Gesetze: Art 45 Abs 2 AEUV, Art 13 Abs 5 DBA FRA, Art 7 EWGV 1612/68, Art 7 EUV 492/2011, § 15 S 1 AltTZG 1996, § 287 ZPO, § 293 S 2 ZPO

Instanzenzug: ArbG Ludwigshafen Az: 5 Ca 427/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 1 Sa 491/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Berechnung der Aufstockungsbeträge im Rahmen ihres Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.

2Der verheiratete Kläger ist französischer Staatsangehöriger. Er hat seinen Wohnsitz in Frankreich und war bei der Beklagten in deren Werk in W als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Als sog. Grenzgänger iSv. Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom waren seine Einkünfte aus der Tätigkeit bei der Beklagten nicht dem Lohnsteuerabzugsverfahren unterworfen. Die Besteuerung erfolgte nach französischem Recht auf der Grundlage einer jährlich abzugebenden Steuererklärung. Die Parteien vereinbarten am mit Wirkung zum die Fortführung ihres Vollzeitarbeitsverhältnisses als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell. Die Arbeitsphase dauerte bis zum , die sich anschließende Freistellungsphase bis zum .

3Der Altersteilzeitarbeitsvertrag der Parteien sah zum monatlichen Aufstockungsbetrag ua. Folgendes vor:

4Die Parteien wendeten auf ihr Arbeitsverhältnis den Tarifvertrag zur Altersteilzeitarbeit zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Rheinhessen e. V. und dem Verband der Pfälzischen Metall- und Elektroindustrie e. V. sowie der Industriegewerkschaft Metall vom an. Dieser sieht auszugsweise vor:

5Einzelheiten der Altersteilzeit wurden durch die „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Inanspruchnahme von Altersteilzeit in der D AG“ vom (GBV 2000) geregelt, die mit Wirkung ab dem durch die „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit in der D AG“ vom (GBV 2009) abgelöst wurde. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung sieht ua. folgende Regelungen vor:

6Auf der Grundlage der GBV 2009 errechnete die Beklagte auch für die sog. Grenzgänger den jeweiligen monatlichen Aufstockungsbetrag. Dies führte bei diesen dazu, dass sowohl bei der Ermittlung des pauschalierten bisherigen Nettoentgelts iHv. 85 % als auch bei der Berechnung des individuellen Altersteilzeitnettoentgelts eine fiktive Lohnsteuer nach der Mindestnettobetrags-Verordnung (§ 15 Satz 1 AltTZG) berücksichtigt wurde.

7Mit seiner Klage hat der Kläger zuletzt für den Zeitraum vom bis einschließlich August 2012 von der Beklagten die Zahlung eines zusätzlichen Aufstockungsbetrags iHv. monatlich 333,34 Euro, insgesamt somit 10.333,54 Euro nebst Zinsen begehrt. Er hat gemeint, die Berücksichtigung einer fiktiven Lohnsteuer im Rahmen der Berechnung der Altersteilzeitvergütung diskriminiere ihn aufgrund seiner Staatsangehörigkeit zu einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union.

8Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Arbeitsgerichts hat der - C-172/11 - [Erny]), berichtigt durch Beschluss vom , entschieden:

9Dabei hat der EuGH die Annahme des vorlegenden Arbeitsgerichts zugrunde gelegt, dass die deutschen Steuersätze höher seien als die französischen.

10Nach Erlass dieses Urteils schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Gesamtbetriebsrat am die „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit in der D AG“ (GBV 2012). Diese enthält auszugsweise folgende Regelungen:

11Unter dem kam es zum Abschluss des „Ergänzungstarifvertrags zur Gesamtbetriebsvereinbarung Altersteilzeit für die Beschäftigten der D “ (ETV), dessen Ziff. 2 Folgendes bestimmt:

12Die Beklagte ordnete den Kläger der Kategorie B der Anlage 1 zur GBV 2012 zu und nahm für die Zeit vom bis zum eine Nachberechnung der Altersteilzeitarbeitsvergütung des Klägers vor. Sie zahlte sodann dem Kläger die Differenzbeträge zwischen der „Aufstockung alt“ und der „Aufstockung neu“.

13Auch danach hat der Kläger ohne Berücksichtigung der Nachzahlung an seinem Klagebegehren festgehalten und gemeint, dass auch die Aufstockungsregelung in der GBV 2012 bzw. in dem ETV ihn aufgrund seiner Staatsangehörigkeit zu einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union diskriminiere, da das wirtschaftliche Ergebnis in etwa identisch sei. Auch nach dieser Neuregelung erhalte er eine im Verhältnis zur Nettovollzeitvergütung anteilmäßig geringere Nettoteilzeitvergütung als ein vergleichbarer Altersteilzeitarbeitnehmer, der nicht sog. Grenzgänger sei.

14Der Kläger hat zuletzt beantragt,

15Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifvertragsparteien und die Betriebsparteien hätten mit den Neuregelungen zur Berechnung des Aufstockungsbetrags in der Altersteilzeit zur Schließung der aufgrund der Entscheidung des eingetretenen Lücke wirksame Bestimmungen getroffen.

16Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger 8.218,54 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Mit seiner Anschlussrevision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren iHv. 2.115,00 Euro nebst Zinsen weiter.

Gründe

17A. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben.

18I. Entgegen der Ansicht des Klägers folgt sein Anspruch nicht bereits unmittelbar aus § 5 des Altersteilzeitarbeitsvertrags. Danach wird die monatliche Nettoteilzeitvergütung „gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung der D AG auf 85 % der pauschalierten monatlichen Nettovollzeitvergütung aufgestockt“. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, mit dieser Regelung hätten die Parteien lediglich eine deklaratorische Verweisung auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende GBV 2000 vereinbart, die eine Nettoaufstockung unter Zugrundelegung der Mindestnettobetrags-Verordnung vorsah (§ 15 Satz 1 AltTZG) und somit auf 85 % der pauschalierten Nettovollzeitvergütung. Diese Auslegung der vertraglichen Vereinbarung durch das Landesarbeitsgericht beanstandet der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr.

19II. Maßgebend für die Berechnung des Aufstockungsbetrags ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ausschließlich die GBV 2012.

201. Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass die in Ziff. 3 Abs. 3 GBV 2012 iVm. Ziff. 2 Abs. 4 ETV angeordnete Rückwirkung wirksam ist.

21a) Normen mit echter Rückwirkung sind zwar grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig ( - Rn. 44, BAGE 147, 373). Das durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage ist allerdings nur schutzwürdig, wenn die Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen. Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig ( - Rn. 77, BVerfGE 131, 20). Ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen erlaubt es, das Verbot einer echten Rückwirkung zu durchbrechen ( - Rn. 72 mwN, aaO;  - Rn. 45, aaO).

22b) Soweit die durch Ziff. 3 Abs. 3, Ziff. 8.3 GBV 2012 iVm. Ziff. 2 Abs. 4 ETV angeordnete rückwirkende Ablösung einer Nettoaufstockung durch eine Bruttoaufstockung - unter Berücksichtigung der auch für die Beklagte geltenden tarifvertraglichen Ausschlussfristen - überhaupt die betroffenen Arbeitnehmer rückwirkend belastet, führt hier der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht zur Unwirksamkeit der rückwirkenden Regelung. Die vom Geltungsbereich der rückwirkenden Regelung erfassten Arbeitnehmer sind nicht schutzwürdig. Erfasst werden nur Arbeitnehmer, die wegen der Berechnung des Aufstockungsbetrags Klage erhoben haben. Sie nahmen selbst an, die Berechnung des Aufstockungsbetrags sei europarechtswidrig, und durften damit nicht darauf vertrauen, dass die Normen wirksam sind und nicht (rückwirkend) geändert werden oder sich zumindest eine anderweitig auszufüllende Regelungslücke ergebe.

232. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er durch die rückwirkende Änderung der Nettoaufstockung in eine Bruttoaufstockung und die andere Berechnung nach der GBV 2012 für die „wegen der europarechtswidrigen Berechnung des Aufstockungsbetrags“ klagenden Arbeitnehmer (so Ziff. 2 Abs. 4 ETV) nach Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (nunmehr Art. 7 der Verordnung [EU] Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union) unzulässig diskriminiert wird. Es genügt nicht, dass diese Arbeitnehmer, bei denen es sich ausschließlich um sog. Grenzgänger wie den Kläger handeln dürfte, anders behandelt werden als Altersteilzeitarbeitnehmer mit Inlandswohnsitz, für die - bezogen auf den hier streitgegenständlichen Zeitraum - weiterhin die Regelung unter Ziff. 8.3 der GBV 2009 gilt. Selbst wenn, wie der Kläger meint, auf sein Altersteilzeitarbeitsverhältnis weiter die GBV 2009 anzuwenden wäre, hat er seiner Darlegungslast nicht genügt.

24a) Nach Art. 45 Abs. 2 AEUV ist jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen verboten. Das Diskriminierungsverbot gilt gleichermaßen für Akte der staatlichen Behörden wie für alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und Verträge zwischen Privatpersonen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verbietet der sowohl in Art. 45 AEUV als auch in Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 (Art. 7 der Verordnung [EU] Nr. 492/2011) niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen ( - [Erny] Rn. 39 mwN;  - Rn. 33, BAGE 148, 290).

25Eine Vorschrift des nationalen Rechts oder eine vertragliche Bestimmung ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, als mittelbar diskriminierend anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf sog. Grenzgänger als auf Arbeitnehmer mit Inlandswohnsitz auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Grenzgänger besonders benachteiligt (vgl.  - [Erny] Rn. 41; vgl. zu Rechtfertigungsgründen  - [Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH] Rn. 36). Um eine Maßnahme als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie nicht bewirken, dass alle „Inländer“ begünstigt werden oder dass unter Ausschluss dieser nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (vgl.  - [Erny] aaO; - C-542/09 - [Kommission/Niederlande] Rn. 38;  - Rn. 34, BAGE 148, 290).

26b) Zwar liegt hier eine Ungleichbehandlung durch die Anwendung unterschiedlicher Aufstockungsregelungen vor. Unterscheidungsmerkmal für die Anwendung der GBV 2012 und nicht der GBV 2009 ist, ob ein Beschäftigter wegen der Berechnung des Aufstockungsbetrags bis zum Inkrafttreten der neuen Betriebsvereinbarung „wegen der europarechtswidrigen Berechnung des Aufstockungsbetrags“ Klage erhoben hat bzw. erheben wird. Da die klagenden Arbeitnehmer ausschließlich sog. Grenzgänger wie der Kläger sein dürften, knüpft diese Ungleichbehandlung mittelbar an die Staatsangehörigkeit an.

27c) Ob diese Ungleichbehandlung eine nicht gerechtfertigte weniger günstige Behandlung des Klägers gegenüber einem vergleichbaren Arbeitnehmer mit Inlandswohnsitz und damit eine unzulässige Benachteiligung iSd. Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 (Art. 7 der Verordnung [EU] Nr. 492/2011) darstellt, lässt sich - auch davon ist das Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend ausgegangen - nur durch einen Vergleich zwischen dem prozentualen Anteil der Nettoteilzeitvergütung an der Nettovollzeitvergütung des Klägers und eines vergleichbaren Altersteilzeitarbeitnehmers, der in Deutschland steuerpflichtig ist, feststellen. Unzutreffend ist dabei die Auffassung der Beklagten, das wirtschaftliche Ergebnis der Neuregelung für die klagenden Arbeitnehmer sei bedeutungslos, da man mit der Änderung der Berechnungsmethode den Vorgaben des EuGH nachgekommen sei. Zwar hat der EuGH an der bisherigen Berechnungsmethode der Aufstockungszahlungen nur die Einbeziehung pauschalierter deutscher Steuersätze auch für die französischen Grenzgänger beanstandet, da dadurch - in Bezug auf die steuerrechtlichen Regelungen in Frankreich und Deutschland - ungleiche Sachverhalte gleich behandelt würden. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass das wirtschaftliche Ergebnis bedeutungslos ist. Vielmehr hat der EuGH in seiner Entscheidung gerade auf die benachteiligende (wirtschaftliche) Auswirkung durch die fiktive Berücksichtigung der deutschen Lohnsteuer abgestellt ( - [Erny] Rn. 42 ff.).

28d) Im Rahmen der vorzunehmenden Vergleichsbetrachtung ist nicht auf die absolute Nettoteilzeitvergütung abzustellen. Denn auch dann, wenn der Kläger eine (aufgestockte) Nettoteilzeitvergütung in gleicher Höhe erhielte wie ein mit ihm hinsichtlich der Abzugsmerkmale vergleichbarer Altersteilzeitarbeitnehmer mit Inlandswohnsitz, kann eine weniger günstige Behandlung des Klägers darin liegen, dass er im Vergleich zu Arbeitnehmern mit Inlandswohnsitz einen geringeren Prozentsatz von der Nettovergütung erhält, die er in Vollzeit erhalten hätte, und somit die durch die Altersteilzeit entstehende Einkommenslücke größer ist. Stellte man bei der Vergleichsbetrachtung, wie die Beklagte meint, allein auf die absolute Nettoteilzeitvergütung ab, bliebe unberücksichtigt, dass - bei unterstellter geringerer Steuerlast des Klägers - die Einkommenslücke bei diesem größer wäre als bei einem vergleichbaren Altersteilzeitarbeitnehmer mit Inlandswohnsitz.

29e) Der Kläger hat nach diesen Grundsätzen keine Benachteiligung dargelegt. Die Beklagte rügt zu Recht, dass die vom Kläger vorgelegten französischen Steuerbescheide keine Grundlage für eine nachvollziehbare Vergleichsberechnung seien und das Landesarbeitsgericht sie nicht hätte verwerten dürfen. Die Verwertung des im Steuerbescheid für das Kalenderjahr 2012 angegebenen Steuersatzes im Rahmen der Vergleichsbetrachtung stellt eine Verletzung des Beibringungsgrundsatzes dar.

30aa) Der Kläger hat die Tatsachen darzulegen, aus denen seine ungünstigere Behandlung wegen der Staatsangehörigkeit folgen soll.

31bb) Zu seiner Steuerbelastung in dem streitgegenständlichen Zeitraum und insbesondere im Kalenderjahr 2012, das Ausgangspunkt für die (exemplarische) Vergleichsberechnung des Landesarbeitsgerichts war, hat der Kläger schriftsätzlich nichts vorgetragen. Er hat lediglich für das Kalenderjahr 2006 einen Steuersatz von 7,54 % unter Vorlage des französischen Steuerbescheids in eigener, auszugsweise deutscher Übersetzung behauptet und mit Schriftsatz vom eine individuelle Steuerbelastung für das Jahr 2008 iHv. rechnerisch 6,03 % (1.610,40 Euro von 26.691,46 Euro) in Ansatz gebracht.

32cc) Das hat das Landesarbeitsgericht übersehen. Es hat, indem es unterlassen hat, sich mit den Normen des französischen Steuerrechts zu befassen, seine tatrichterliche Ermittlungspflicht aus § 293 Satz 2 ZPO verletzt. Das ausländische Recht hat der Tatrichter von Amts wegen zu ermitteln ( - Rn. 18 mwN; vgl. auch  - Rn. 40). In welcher Weise er sich nach § 293 ZPO die notwendigen Erkenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Anforderungen sind umso größer, je detaillierter die Verfahrensbeteiligten eine ausländische Rechtspraxis vortragen. Vom Revisionsgericht überprüft werden darf lediglich, ob der Tatrichter sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. Gibt die angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber, dass der Tatrichter seiner Pflicht nachgekommen ist, das ausländische Recht zu ermitteln, wie es in Rechtsprechung und Rechtslehre Ausdruck und in der Praxis Anwendung findet, ist revisionsrechtlich davon auszugehen, dass eine ausreichende Erforschung des ausländischen Rechts verfahrensfehlerhaft unterblieben ist ( - Rn. 18 mwN). Das Landesarbeitsgericht hat ohne Auseinandersetzung mit den der Berechnung der Steuersätze zugrunde liegenden Parametern und Rechtsvorschriften lediglich einen von der französischen Finanzbehörde ermittelten Wert übernommen. Darin liegt keine Ermittlung von Rechtsnormen iSd. § 293 ZPO. Die dieser Berechnung zugrunde liegenden Rechtsnormen hat das Landesarbeitsgericht, das davon ausging, es komme auf die Einzelheiten der Bescheide und damit auch auf die dem errechneten Steuersatz zugrunde liegenden Umstände und Rechtsvorschriften nicht an, gerade nicht ermittelt.

33dd) Da nach der GBV 2009 für die Altersteilzeitarbeitnehmer mit Inlandswohnsitz eine pauschalierte, monatlich anfallende Lohnsteuer im Rahmen der Berechnung der Aufstockungsleistung zu berücksichtigen ist und nach dem Parteivorbringen eine solche Lohnsteuer im französischen Steuerrecht nicht existiert, hätte der Kläger unter Berücksichtigung der jeweiligen Steuersysteme Vergleichsparameter darlegen müssen, die gewährleisten, dass vergleichbare Sachverhalte miteinander verglichen werden. Dem hätte er dadurch nachkommen können, dass - ggf. durch Sachverständigengutachten - ein der deutschen Lohnsteuer unter Berücksichtigung der jeweiligen Steuerklasse entsprechender fiktiver französischer Steuersatz auf sein Arbeitseinkommen ermittelt worden wäre.

34ee) Nicht aufgeklärt ist, ob nach dem französischen Steuerrecht - im Gegensatz zum deutschen Steuerrecht - der Aufstockungsbetrag zu versteuern ist. Die Beklagte hat mit Schriftsätzen vom und darauf hingewiesen, dass dies nach ihrer Kenntnis von den französischen Finanzbehörden unterschiedlich gehandhabt werde. Eine eindeutige Auskunft enthält die vom Kläger erstellte deutsche Übersetzung des Schreibens der „Direction générale des Finances publiques“ vom nicht. Zum einen wird nur bestätigt, dass die französischen Steuerbehörden „davon ausgehen“, dass die Aufstockungsbeträge in Frankreich steuerpflichtig seien. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass „zur Zeit“ eine Klärung mit deutschen Behörden stattfinde. Das Ergebnis dieser Klärung ist vom Kläger nicht vorgetragen. Das Landesarbeitsgericht ist - ohne in der Begründung des Berufungsurteils darauf einzugehen - davon ausgegangen, dass die Aufstockungsbeträge in Frankreich zu versteuern seien.

35ff) Zudem hätte der Kläger im Rahmen der Vergleichsbetrachtung bei der Berechnung seiner (hypothetischen) Nettovollzeitvergütung und der eines vergleichbaren Arbeitnehmers mit Inlandswohnsitz sowie bei der Berechnung der Nettovergütung nach der GBV 2012 oder von seinem Standpunkt aus gesehen nach der GBV 2009 seine tatsächlichen Sozialversicherungssätze in Ansatz bringen müssen und nicht die Sozialversicherungspauschale iHv. 21 %. Hierzu hat er die für eine Vergleichsberechnung erforderlichen Tatsachen entsprechend § 130 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO nicht dargelegt. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich die Angaben aus den als Anlagen - zumal im Wesentlichen von der Beklagten - vorgelegten Abrechnungen selbst „zusammenzusuchen“ (vgl.  - Rn. 29, BAGE 141, 330). Für die Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO, der nach § 287 Abs. 2 ZPO für vermögensrechtliche Streitigkeiten entsprechend anwendbar ist, ist - abgesehen davon, dass es hier nicht um die Höhe einer streitigen Forderung, sondern um die Feststellung einer Benachteiligung geht - jedenfalls deshalb kein Raum, weil die exakte Ermittlung der Sozialversicherungssätze weder schwierig noch unverhältnismäßig ist.

36B. Die Anschlussrevision des Klägers ist unzulässig, da sie nicht den Begründungsanforderungen des § 554 Abs. 3 ZPO entspricht.

37I. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise verdeutlichen, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt. Sie hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Dadurch soll ua. sichergestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil auf das Rechtsmittel hin überprüft und die Rechtslage genau durchdenkt. Die Revisionsbegründung soll durch ihre Kritik an dem angefochtenen Urteil außerdem zur richtigen Rechtsfindung des Revisionsgerichts beitragen. Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung (st. Rspr., zB  - Rn. 8 mwN; - 10 AZR 165/14 - Rn. 11 mwN). Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Anschlussrevision (§ 554 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

38II. Gemessen daran ist die Anschlussrevision nicht ausreichend begründet. Der Kläger setzt sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht auseinander. Soweit er die Auffassung vertritt, die GBV 2012 und der ETV seien hinsichtlich der rückwirkenden Neuregelung der Berechnung des Aufstockungsbetrags nicht nur wegen einer unzulässigen Benachteiligung, sondern bereits wegen einer unzulässigen echten Rückwirkung bzw. aus Gründen des Vertrauensschutzes unwirksam, zeigt er nicht auf, inwiefern die rechtliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts rechtsfehlerhaft sein soll. Der Kläger setzt lediglich schlagwortartig seine eigene Rechtsauffassung gegen die des Berufungsgerichts, ohne sich mit dessen Ausführungen auseinanderzusetzen. Zudem lässt die Begründung des Klägers auch nicht erkennen, inwiefern die von ihm beanstandete Rechtsverletzung entscheidungserheblich sein soll, da auch das Landesarbeitsgericht - wenn auch aus anderen Gründen - von einer Nichtigkeit der Regelung ausgegangen ist. Insoweit lässt der Kläger die Richtung dieses Revisionsangriffs nicht erkennen.

39C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:171115.U.9AZR610.14.0

Fundstelle(n):
RAAAF-68840