BGH Beschluss v. - 3 StR 344/15

Schweigerecht des Angeklagten: Nachteilige Schlüsse aus dem Zeitpunkt der erstmaligen Einlassung des Angeklagten

Gesetze: § 136 Abs 1 S 2 StPO, § 243 Abs 5 StPO, § 261 StPO

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 33 KLs 18/15

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und mehrere Verfahrensbeanstandungen erhebt, hat bereits mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung erweist sich als rechtsfehlerhaft.

2Der Angeklagte hat eingeräumt, die in seinem Fahrzeug sichergestellten Betäubungsmittel erworben zu haben, um sie weiterzuverkaufen bzw. kostenlos weiterzugeben. Er hat aber bestritten, von der Waffe unter dem Fahrersitz - einer mit fünf Patronen geladenen Gaspistole, bei der das Gas durch den Lauf nach vorne austritt - Kenntnis gehabt zu haben. Diese habe er vielmehr zu Hause aufbewahrt. Seine Verlobte habe sie dann ohne sein Wissen ins Fahrzeug gelegt, da sie bei einem Kindergeburtstag nicht in der Wohnung habe vorhanden sein sollen.

3Die Strafkammer hat diese bestreitende Einlassung als widerlegt angesehen. Der Zeugenaussage der Verlobten, die die Angaben des Angeklagten bestätigt hat, hat das Landgericht keinen Glauben geschenkt. Es sei kein Grund ersichtlich, warum die Angaben der Zeugin, die diese bereits im Januar 2015 dem Angeklagten und dem Verteidiger mitgeteilt habe, nicht so schnell wie möglich den Ermittlungsbehörden zur Kenntnis gebracht worden seien. Dass die Zeugin ihre Angaben erstmals in der Hauptverhandlung gemacht habe, spreche für eine konstruierte und mit der insoweit ebenfalls erst in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung des Angeklagten abgestimmte Aussage.

4Diese Erwägung verstößt gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Diesem kann der Zeitpunkt, zu dem er erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, nicht zum Nachteil gereichen.

5Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (, BGHSt 32, 140, 144; vom   - 5 StR 122/92, BGHSt 38, 302, 305; vom - 3 StR 401/99, NJW 2000, 1426; Beschlüsse vom - 1 StR 125/00, NStZ 2000, 494, 495; vom - 3 StR 196/14, NStZ 2014, 666, 667). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung - und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt - nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. Beschluss vom - 3 StR 196/14, NStZ 2014, 666, 667 mwN).

6Dem Urteil kann entnommen werden, dass der Angeklagte sich erstmals in der Hauptverhandlung geäußert hat. Dass er die Ermittlungsbehörden nicht früher über die Angaben seiner Verlobten in Kenntnis gesetzt hatte, darf deshalb bei der Bewertung seiner Aussage keine Berücksichtigung finden. Dieser Rechtsfehler ist auf die Sachrüge hin zu beachten (Beschluss vom - 3 StR 196/14, NStZ 2014, 666, 667 mwN).

7Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung der Einlassung des Angeklagten und der sie bestätigenden Angaben der Zeugin nicht davon überzeugt hätte, der Angeklagte habe auch den Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verwirklicht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2015:131015B3STR344.15.0

Fundstelle(n):
HAAAF-66548