Strafverfahren: Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung eines Schuldunfähigen
Gesetze: § 20 StGB, § 297 StPO, § 302 Abs 1 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 10a KLs 3/13
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Diebstahls mit Waffen u.a. freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2Hiergegen hat der Pflichtverteidiger des Angeklagten rechtzeitig Revision eingelegt. Mit Schreiben vom , das am beim Landgericht eingegangen ist, teilte der Angeklagte jedoch mit, dass er „die Revision ... mit sofortiger Wirkung“ zurückziehe. Nach einem weiteren, an seinen Verteidiger gerichteten Schreiben des Angeklagten vom , in dem er mitteilte, doch bei der Revision bleiben zu wollen, beantragte der Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung und begründete das Rechtsmittel noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist mit der allgemeinen Sachrüge.
31. Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).
4a) Dabei ist ohne Bedeutung, dass das Rechtsmittel vom Verteidiger eingelegt wurde, die Rücknahme indes der Angeklagte selbst erklärt hat (vgl. § 297 StPO; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 368/07; vom – 5 StR 531/13 jeweils mwN). Die Rücknahmeerklärung wahrt auch die hierfür erforderliche Form (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 302 Rn. 7 mwN). Sie ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf eine Beendigung des Revisionsverfahrens und damit den Eintritt der Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils gerichtet.
5b) Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte bei Abgabe der Rücknahmeerklärung verhandlungs- und damit prozessual handlungsfähig war.
6aa) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner, aaO, Einl. Rn. 97, § 302 Rn. 8a). Dies wird – wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt – allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen (Meyer-Goßner, aaO, § 302 Rn. 8a mwN). Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung – wie ausgeführt – erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (). Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341; vom – 3 StR 368/07 mwN).
7bb) Hiervon ausgehend hat der Senat keine Zweifel an der Verhandlungs- und prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten bei Abgabe der Rücknahmeerklärung.
8Schon das Schreiben vom gibt keine Hinweise darauf, dass der Angeklagte Inhalt und Bedeutung der von ihm selbst handschriftlich verfassten Rücknahmeerklärung verkannt haben könnte. Sie ist sprachlich korrekt sowie inhaltlich eindeutig abgefasst und gibt die Daten des Urteils – einschließlich des vollständigen (auch staatsanwaltschaftlichen) Aktenzeichens – zutreffend wieder. Dementsprechend hatte ersichtlich selbst sein Verteidiger keinen Zweifel an der Wirksamkeit der Erklärung. Denn er hat – Bezug nehmend auf die ihm vom Landgericht übersandte Rücknahmeerklärung – ein mit der Revisionseinlegung gestelltes, erkennbar auf die Fertigung der Revisionsbegründungsschrift abzielendes Akteneinsichtsersuchen zurückgenommen (Bd. 17 Bl. 108, 112 d.A.); in seinem Schriftsatz vom erklärte er zudem, dass ihm sein Mandant mitgeteilt habe, die Revision „nunmehr doch“ durchführen zu wollen.
9Auch die vom Verteidiger in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltend gemachten – wie oben dargelegt indes nicht ausreichenden – „Zweifel“ an der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung aufgrund der „gesundheitlichen Defizite“ des Angeklagten, nämlich seiner „schizophrenen Erkrankung“, teilt der Senat nicht. Der Angeklagte hat – wie schon im landgerichtlichen Verfahren, in dem er sowohl die Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen (UA S. 10, 38) als auch eine Schweigepflichtentbindung für die ihn während der zunächst vollzogenen Untersuchungshaft betreuende Ärztin abgelehnt hat (UA S. 33) – auf die der freibeweislichen Klärung seines Zustandes bei Abgabe der Rücknahmeerklärung abzielende Anfrage des Senats mitgeteilt, dass er nicht dazu bereit sei, das ihn im Landeskrankenhaus am behandelnde Personal (Ärzte u.a.) von der Schweigepflicht zu entbinden. Allein die im landgerichtlichen Verfahren festgestellte, zur Annahme von Schuldunfähigkeit bei Begehung der Taten führende Erkrankung des Angeklagten bietet indes keinen hinreichenden Anlass, an der Verhandlungs- und prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten bei Abgabe der Rücknahmeerklärung zu zweifeln. Denn es liegen keine Anzeichen dafür vor, dass er auch diese Erklärung während eines akuten Schubs seiner „paranoidhalluzinatorischen“ und „schizophrenen Grunderkrankung“ (UA S. 23, 37; vgl. auch mwN) abgegeben hat.
10Bei Abgabe der Erklärung befand sich der Angeklagte bereits seit ununterbrochen in einem Landeskrankenhaus für Psychiatrie (UA S. 10). Schon bei seiner polizeilichen Vernehmung Ende Januar 2015 war seine Vernehmungsfähigkeit und Glaubhaftigkeit nicht geschmälert (UA S. 29). Auch während der (zeitweise) in Anwesenheit des psychiatrischen Sachverständigen durchgeführten Hauptverhandlung bestanden ersichtlich keine Bedenken hinsichtlich seiner Verhandlungsfähigkeit (vgl. dazu auch den Vermerk des Vorsitzenden der Strafkammer vom , Bd. 17 Bl. 142 d.A. sowie Meyer-Goßner, aaO, § 302 Rn. 8a am Ende mwN). Anhaltspunkte dafür, dass sich nach der Hauptverhandlung infolge fehlender medikamentöser Behandlung und „Auslösungsfaktoren wie zum Beispiel Stress oder auch Konsum von Alkohol und Drogen“ (UA S. 44; vgl. dazu auch UA S. 40, 45) erneut ein Krankheitsschub entwickelt und im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung bestanden hat, liegen nicht vor. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte, der geltend macht, bevorstehende Krankheitsschübe zu erkennen (vgl. UA S. 28, 39), sich selbst in seinem Schreiben vom nur darauf beruft, „in letzter Zeit etwas durcheinander gewesen“ zu sein. Deshalb kommt es, zumal die Verhandlungs- und prozessuale Handlungsfähigkeit des Angeklagten – wie ausgeführt – ohnehin allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen wird, auch nicht darauf an, dass der Verteidiger des Angeklagten mit dem weiteren Schriftsatz vom einen Auszug aus einem Gutachten vorgelegt hat, in dem die Frage, ob der Patient in seiner Geschäftsfähigkeit „beeinträchtigt“ sei, (ohne nähere Erläuterung) bejaht wird.
112. Eine Anfechtung der Rücknahme wegen Motivirrtums ist aus Rechtsgründen ausgeschlossen; die Rücknahmeerklärung ist nach ihrem Eingang bei Gericht unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341; vom – 5 StR 314/14; vom – 2 StR 103/15 jeweils mwN).
123. Da der Verteidiger des Angeklagten die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme in Zweifel gezogen hat, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 302 Rn. 11a mwN).
13Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Sie wurde bereits vom Landgericht getroffen (Bd. 17 Bl. 113 d.A.).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Bender
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2015:151215B4STR491.15.0
Fundstelle(n):
HAAAF-66065