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Finanzgericht Nürnberg Urteil v. - 1 K 645/12

Gesetze: KStG § 8 Abs. 4, AO § 174 Abs. 4, GewStG § 10a Satz 3, EStG § 10d

Beschränkung des Verlustabzugs nach § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG a.F. - wirtschaftliche Identität - neues Betriebsvermögen - Empfänger, Wirkung und Bindung einer verbindlichen Auskunft - Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 174 Abs. 4 AO

Leitsatz

1. a) Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG a.F. ist bei einer Körperschaft für den Verlustabzug nach § 10d EStG erforderlich, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat.

b) Wirtschaftliche Identität liegt insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt. Dies gilt dies entsprechend für den Ausgleich des Verlustes vom Beginn des Wirtschaftsjahres bis zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung.

c) Neues Betriebsvermögen überwiegt, wenn das über Einlagen und Fremdmittel zugeführte bzw. finanzierte Aktivvermögen das im Zeitpunkt der Anteilsübertragung vorhandene Restaktivvermögen übersteigt. Mehrungen bei den Posten Forderungen aus Lieferungen und Leistungen oder Bankguthaben sind nicht außer Betracht zu lassen. Zudem sind alle fremdfinanzierten Aktivvermögensmehrungen einzubeziehen. Zu erfassen sind auch die Fremdmittelfinanzierungen, die nicht direkt oder indirekt (z.B. durch Bürgschaften der Gesellschafter) durch die Gesellschafter gegeben wurden.

aa) Auf die steuerrechtliche Qualifikation als Anlage- oder Umlaufvermögen kommt es grundsätzlich nicht an. Allerdings sind Mehrungen des Umlaufvermögens aus dem Tatbestand auszuklammern, wenn sie sich als Ergebnis eines fortlaufenden Wirtschaftens mit dem nämlichen Betriebsvermögen darstellen, bzw. sich auf nicht die wirtschaftliche Identität des Unternehmens prägendes Umlaufvermögen beziehen. Nicht einzubeziehende Umlaufvermögensmehrungen in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei einer unverändert weiter geführten Tätigkeit ein "selbst erwirtschafteter cash flow" erzielt wird der Bestand an Geld, Bankguthaben, Finanzanlagen bzw. die Forderungen aus Lieferung und Leistungen ansteigt oder bereits vorhandene Finanzanlagen in funktional gleichartige umgeschichtet werden. Dagegen sind Mehrungen des Umlaufvermögens jedenfalls dann einzubeziehen, wenn entweder die Branche gewechselt oder der bisherige Geschäftsgegenstand erheblich erweitert wird.

bb) Als Aktivvermögen anzusetzen sind auch immaterielle Wirtschaftsgüter, und zwar sowohl bei der Bestimmung des eingebrachten Vermögens als auch bei der Bewertung des vorhandenen Vermögens, selbst wenn die immateriellen Wirtschaftsgüter bei der steuerlichen Gewinnermittlung nicht angesetzt werden dürfen.

cc) Überwiegend neues Betriebsvermögen liegt vor, wenn das zugegangene Aktivvermögen den Bestand des vorher vorhandenen Restaktivvermögens auch nur geringfügig übersteigt. Restaktivvermögen ist das zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung vorhandene Aktivvermögen, wenn die Betriebsvermögenszuführung nach der Anteilsübertragung erfolgt. Eine Verrechnung von Zu- und Abgängen zu einem betragsmäßigen Saldo ist nicht vorzunehmen.

dd) Das zugegangene Betriebsvermögen muss nicht stets "von außen" über Einlagen oder Fremdkapital finanziert werden, sondern kann auch im Wege der Anschaffung von Aktivvermögen aus selbst erwirtschafteten Mitteln erworben werden.

e) Ein Branchenwechsel liegt bei einer Änderung des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands oder bei einem Wechsel von einer aktiven Tätigkeit zu einer anderen aktiven Tätigkeit vor. Das Fehlen jeglicher Tätigkeit ist einem Branchenwechsel gleichzustellen.

f) Eine erhebliche Erweiterung des Geschäftsgegenstands ist anzunehmen, wenn der Geschäftsbetrieb in einer Weise ausgetauscht wird, die es ebenso wie ein Branchenwechsel rechtfertigt, das zugeführte Umlaufvermögen als prägend anzusehen und in die Betrachtung mit einzubeziehen.

g) Der Verlust der wirtschaftlichen Identität gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG a.F. setzt voraus, dass zwischen der Übertragung der Anteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Der erforderliche sachliche und zeitliche Zusammenhang setzt allerdings kein Zusammenwirken der alten und neuen Anteilseigner im Sinne einer Beherrschung eines Gesamtplans oder eine missbräuchliche Gestaltung voraus. Das Bestehen eines sachlichen Zusammenhangs ist im Fall eines offenkundigen zeitlichen Zusammenhangs widerleglich zu vermuten, wenn der Zeitraum ein Jahr nicht übersteigt

h) § 8 Abs. 4 Satz 1 a.F. KStG sieht den Ausschluss des Verlustabzugs nicht erst ab dem Zeitpunkt der Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale und dem damit eintretenden Verlust der wirtschaftlichen Identität vor.

2. a) Als Empfänger einer verbindlichen Auskunft ist derjenige anzusehen, dem das Finanzamt aus der Sicht des Bekanntgabeadressaten unter Berücksichtigung aller bekannten und erkennbaren Umstände die verbindliche Auskunft erteilen wollte.

b) Die Wirkung einer verbindlichen Auskunft kann auf eine noch nicht existierende Körperschaft erstreckt werden, wenn sie einem späteren Gesellschafter mit einer voraussichtlichen Beteiligung von mindestens 50% erteilt wird.

c) Eine verbindliche Auskunft bindet nur, wenn sich der mitgeteilte Sachverhalt mit dem verwirklichten deckt. Eine Bindungswirkung besteht somit nicht, wenn der Sachverhalt unrichtig oder lückenhaft dargestellt ist oder in wesentlichen Punkten abweicht.

3. Eine Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 174 Abs. 4 AO setzt nicht voraus, dass die Berücksichtigung des Sachverhalts in dem einen Steuerbescheid die weitere Berücksichtigung desselben Sachverhalts bei einem anderen Steuerpflichtigen, einer anderen Steuerart oder in einem anderen Veranlagungszeitraum denkgesetzlich ausschließt.

Fundstelle(n):
AAAAF-49588

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Finanzgericht Nürnberg, Urteil v. 16.06.2015 - 1 K 645/12

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