Online-Nachricht - Dienstag, 02.10.2012

Verfahrensrecht | Keine Zwangsruhe bei Verfahren vor dem EGMR (FG)

Nach § 363 Abs. 2 Satz 2 ist ein Einspruchsverfahren zum Ruhen zu bringen, wenn wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei "dem Europäischen Gerichtshof" anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird. "Europäischer Gerichtshof" in diesem Sinne ist nicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg, sondern der EuGH mit Sitz in Luxemburg ( und 5 K 3607/11; jeweils Nichtzulassungsbeschwerde anhängig).

Hintergrund: Mit Beschluss v. (Az. NWB TAAAD-48007) hatte das BVerfG die Verfassungsbeschwerden hinsichtlich der Gewährung der steuerfreien Kostenpauschale für Bundestagsabgeordnete an alle Steuerzahler abgelehnt. Dagegen hatten die Beschwerdeführer den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angerufen (Az. 7258/11 und 7227/11).
Sachverhalt: Die Kläger in dem Verfahren vor dem FG Köln erhoben gegen ihre Einkommensteuerbescheide Einspruch, u.a. mit dem Ziel, die Bescheide hinsichtlich der Nichtberücksichtigung einer steuerfreien Kostenpauschale, wie sie den Abgeordneten gewährt werde, bis zur Entscheidung des EGMR in den Verfahren 7258/11 und 7227/11 vorläufig zu erlassen. Alternativ sollten die Einsprüche bis zur Entscheidung des EGMR zum Ruhen gebracht werden. Das Finanzamt lehnte eine vorläufige Festsetzung sowie wie ein Ruhen des Verfahrens ab. Eine Zwangsruhe komme nicht in Betracht, da der EGMR nicht zu den in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO genannten Gerichten zähle.
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus: Ermessensfehler seitens der Finanzverwaltung sind nicht ersichtlich. Das Finanzamt hat zutreffend bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO verneint, so dass Raum für eine Ermessensentscheidung nicht gegeben war. Die Entscheidung, § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht im Sinne des Klägers auszulegen, ist Teil der Rechtsanwendung und fällt nicht in den Ermessensbereich der Finanzbehörde. Selbst wenn man den Gesetzeswortlaut als nicht eindeutig ansehen wollte, so führte eine Auslegung des Begriffes Europäischer Gerichtshof dazu, hierin nur den EuGH, nicht aber auch den EGMR zu sehen, dessen vorrangige Aufgabe es ist, als Organ des Europarates die Einhaltung der Menschenrechtskonvention sicher zu stellen. Die Auslegung des Finanzamtes in diesem Sinne und damit die Ablehnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ist daher rechtmäßig.
 Anmerkung: Die Entscheidung des Finanzamtes, das Einspruchsverfahren auch nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen (§ 363 Abs. 2 Satz 1 AO) ruhen zu lassen, war nach Auffassung des Finanzgerichts ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift könne die Finanzbehörde das Verfahren ruhen lassen, wenn das aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Die Entscheidung, dass ein wichtiger Grund nicht gegeben sei, lasse im Streitfall keine Ermessensfehler erkennen. Das Gericht sah ebenfalls keine Gründe, das Gerichtsverfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis der BFH in einem von dem Kläger bezeichneten Verfahren über eine bereits anhängige Nichtzulassungsbeschwerde (Az. X B 183/11) entschieden hat. Der BFH habe sich bereits dazu geäußert, dass der EGMR nicht zu den Gerichten im Sinne des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zähle (vgl. NWB KAAAC-34392; Beschluss v. - NWB HAAAA-63235). Anhaltspunkte dafür, dass der BFH hiervon abweichen wird, seien nicht erkennbar, sodass eine Verfahrensaussetzung nicht zweckmäßig wäre.
Quelle: FG Köln online
Hinweis: Die Texte der o.g. Entscheidungen finden Sie auf den Internetseiten des FG Köln.
 


 

Fundstelle(n):
NWB EAAAF-44737