Online-Nachricht - Mittwoch, 22.08.2012

Verfahrensrecht | Änderung widerstreitender Steuerfestsetzungen (BFH)

Der BFH hat zu der Frage Stellung genommen, ob der in § 174 AO verwendete Begriff "Steuerbescheid" nur nach inländischem Recht erlassene Verwaltungsakte oder auch damit vergleichbare Maßnahmen ausländischer Behörden umfasst. Hiernach soll ein Steuerbescheid bei Doppelberücksichtigung eines Sachverhalts auch dann geändert werden können, wenn der widerstreitende Steuerbescheid von einer Behörde eines EU-Mitgliedstaats stammt (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Eine Änderung nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO setzt voraus, dass ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen; in diesem Fall ist der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern. Die Frage, ob der in § 174 AO verwendete Begriff "Steuerbescheid" nur nach inländischem Recht erlassene Verwaltungsakte oder auch damit vergleichbare Maßnahmen ausländischer Behörden umfasst, ist im Schrifttum streitig. Der I. Senat des BFH folgt mit der nun veröffentlichten Entscheidung der letztgenannten Auffassung jedenfalls insoweit, als Maßnahmen von Steuerbehörden von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) in Rede stehen.
Sachverhalt: Im Streitfall ist dem Finanzamt, auf dessen Kenntnis es bei der Anwendung des § 173 AO ankommt, eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO nachträglich bekannt geworden. Denn das Finanzamt hat erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerbescheide erfahren, dass der Kläger in seinen Steuererklärungen Einnahmen aus der in den Niederlanden bezogenen Berufsunfähigkeitsrente angegeben und den steuerpflichtigen Einkünften zugeordnet hatte. Diese Tatsache führt deshalb zu einer niedrigeren Steuer, weil die daraufhin in den Bescheiden erfassten Einkünfte in Deutschland nicht hätten besteuert werden dürfen. Eine Änderung der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO schied aus, weil die unrichtige Angabe dem Kläger als grobes Verschulden anzulasten war. Fraglich war daher die Möglichkeit einer Änderung aufgrund einer widerstreitenden Steuerfestsetzung (§ 174 Abs. 1 AO).
Hierzu führte der BFH weiter aus: Die von Wortlaut (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO: "soweit nichts anderes vorgeschrieben ist") und Zweck der Norm her mögliche Einbeziehung ausländischer Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 AO ist unter dem Aspekt der unionsrechtskonformen Auslegung der nationalen Rechtsnormen jedenfalls insoweit geboten, als es um die Berücksichtigung von Steuerbescheiden geht, die von Steuerbehörden aus EU Mitgliedstaaten erlassen worden sind.
Anmerkung: Die Voraussetzungen für einer Änderung nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO würden im Streitfall nach Auffassung des BFH vorliegen, wenn die dem Kläger in den Streitjahren zugeflossene Berufsunfähigkeitsrente nicht nur in den vom Finanzamt erlassenen Steuerbescheiden erfasst, sondern auch im Rahmen der in den Niederlanden vorgenommenen Besteuerung zuungunsten des Klägers berücksichtigt worden wäre. Dies konnte der BFH den bisherigen Feststellungen des Finanzgerichts nicht entnehmen. Zwar habe das FG festgestellt, dass die vom Kläger empfangenen Rentenzahlungen in den Niederlanden steuerpflichtig waren. Keine Feststellungen wurden jedoch dazu getroffen, ob die Zahlungen in den Niederlanden tatsächlich besteuert worden sind. Dies sei aber Voraussetzung für eine Änderung der Steuerbescheide nach § 174 Abs. 1 AO. Das Finanzgericht wird die erforderlichen Feststellungen daher im zweiten Rechtsgang nachholen müssen.
Quelle: BFH online


 

Fundstelle(n):
NWB KAAAF-44492