Online-Nachricht - Mittwoch, 18.07.2012

Verfahrensrecht | Änderung eines Steuerbescheids (BFH)

Die Entscheidung des Finanzamts darüber, ob im Fall einer irrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid nach § 174 Abs. 4 AO nachträglich geändert wird, ist keine Ermessensentscheidung (; veröffentlicht am ).


Hintergrund: Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden.

Sachverhalt: Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb mit Wirkung zum einen Café-Betrieb mit sämtlichen in den Pachträumen befindlichen Inventargütern. Die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer machte die Klägerin in ihrer Umsatzsteuererklärung für 1995 in vollem Umfang als Vorsteuer geltend. Mit Schreiben an die Klägerin vom "stornierte" der Verkäufer seine Rechnung vom "in vollem Umfang" u. a. unter Hinweis darauf, dass für den Verkauf keine Umsatzsteuer angefallen sei (Geschäftsveräußerung im Ganzen). Das Finanzamt korrigierte daraufhin die Vorsteuer im Jahr 1997. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Revision führte schließlich zur Aufhebung des Urteils der Vorinstanz. Die in einer Rechnung offen ausgewiesene Vorsteuer, die der Aussteller lediglich gem. § 14 Abs. 2 UStG schulde, sei seit der Änderung der Rechtsprechung durch das  NWB WAAAA-96337 vom Leistungsempfänger nicht mehr als Vorsteuer abziehbar, so dass die Berichtigung der Rechnung für den Leistungsempfänger keine Bedeutung mehr habe. Die Rechnungskorrektur in 1997 rechtfertige demnach keine Vorsteuerkorrektur in diesem Jahr. Es komme nur noch eine Änderung des Steuerbescheids des Abzugsjahres, in dem die Vorsteuer zu Unrecht berücksichtigt wurde, nach Maßgabe der §§ 172 ff. AO in Betracht. Das Finanzamt änderte daraufhin gem. § 174 AO den Umsatzsteuerbescheid für 1995. Einspruch, Klage und Revision dagegen blieben erfolglos. 

Hierzu führte das Gericht aus: Das Finanzgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der hier zu beurteilende "bestimmte Sachverhalt" nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO den Erwerb des Cafés durch die Klägerin, die darüber erteilte Rechnung durch den Veräußerer vom und die Stornierung dieser Rechnung durch das Schreiben des Veräußerers vom umfasst. Das Finanzamt habe den Sachverhalt "irrig" i. S. von § 174 Abs. 4 Satz 1 AO beurteilt, weil es unzutreffend annahm, dass insoweit die vom Veräußerer übermittelte berichtigte Rechnung maßgeblich sei. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO erfasse auch die Fälle, in denen die Finanzbehörde aus "einem bestimmten Sachverhalt" die steuerrechtlichen Folgerungen ziehen will, sich aber darüber irrt, welchen Zeitraum diese Folgerungen betreffen. In der Literatur werde im Hinblick darauf, dass es sich nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO um eine sog. "Kannbestimmung" handelt, zwar teilweise die Auffassung vertreten, die Korrektur nach § 174 Abs. 4 AO stehe im Ermessen des Finanzamts (vgl. z. B. Frotscher in Schwarz, AO, § 174 Rn. 156, 125). § 174 Abs. 4 AO lasse indes ebenso wenig wie § 174 Abs. 3 AO Kriterien erkennen, die für eine Ermessensausübung leitend sein können. Der im Rahmen einer Ermessensentscheidung ggf. zu berücksichtigende Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes spiele im Rahmen von § 174 Abs. 4 AO keine Rolle, weil die Entscheidung nach dieser Vorschrift   anders als bei einer Entscheidung gegenüber einem Dritten nach § 174 Abs. 4 i. V. mit § 174 Abs. 5 AO gegenüber demselben Steuerpflichtigen ergeht. Lassen sich aber keine Maßstäbe für einen Ermessensspielraum dahingehend finden, unter welchen Umständen von Änderung einer Steuerfestsetzung abgesehen werden kann, so bedeute "können" in § 174 Abs. 4 Satz 1 AO ein rechtliches Können und im Hinblick darauf, dass das Finanzamt auf die Erfüllung des Steueranspruchs nicht verzichten darf, ein "Müssen".

Quelle: BFH online

 

Fundstelle(n):
NWB DAAAF-44344